15 - 10 - 95
Ich war in der
Kirche. XY predigte über den Dekalog. Mein Gedächtnis
verlässt mich. Aber
ich bin sicher, dass ich Eindrückliches behalten hätte.
Danach ein
Gottesdienst aus Sachsen. Auch er behandelte den Dekalog. Auch er
versuchte, in
den Gott vom Sinai den Gott von Golgatha hinein zu deuten. Ob er gar
nicht mehr
ahnt, dass er dabei mogelt? Aber habe ich etwas anderes getan, als ich
predigte?
Oh, wie habe ich
die mit Fremdwörtern gespickten wissenschaftlichen Arbeiten
bewundert, weil ich
sie meist nicht verstand und mir das anlastete.
Wie habe ich
einst Hermann Diem bewundert bei der Auslegung jener Jakobus-Stelle:
„Achtet es
für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet...“ In
der
Anfechtung frage der Teufel die Menschen: „Wo ist nun dein Gott?“ und
Gott
fragte den Menschen: „Wo ist nun Dein Glaube?“ Darauf wäre ich nie
gekommen.
Damals habe ich diesen Gedanken aber mit Freude aufgegriffen und als die Lösung des Problems angesehen. Heute
weiß ich, warum mein Verstand blockierte.
Ich erkenne
immer mehr, wie sehr das Christentum zu einem gnadenlosen Diktat
geworden ist.
Nicht, dass es offensichtlich lieblos und unbarmherzig wäre. Aber
gerade diese
Mischung aus Herrschaft und Liebe ist das Erschütternde; denn wie
eine Lüge,
der die Lüge auf die Stirn geschrieben steht, von niemandem
geglaubt wird und
erst dann gefährlich wird, wenn sie im Mäntelchen einer
Wahrheit daherkommt, so
auch hier: Herrschaft, die im Mäntelchen der Liebe daherkommt.
Diese Mischung
über Jahrtausende geglaubt, hat zwar Dome, Kathedralen und
Moscheen, hat
Kunstwerke höchster Schönheit zuwege gebracht, Huldigungen an
eine Gottheit und
dafür Menschen geopfert.
2 - 11 - 95
Es wird mir
immer klarer, dass auch ich, trotz Zugehörigkeit zur bekennenden
Kirche, im
Grunde auch einer Diktatur gedient habe und so in mir eine Diktatur
gegen eine
andere stritten, als ich mich der Weltanschauung der Nazis versagte.
Und das
von Herzen! Ich frage mich, was ich aus meiner jetzigen Sicht der Dinge
heute
unter den damaligen Umständen wohl tun würde? Nichts anderes
als damals; nur
nicht mehr unter Berufung auf „meinen Herrn“, sondern im Namen der
Menschenwürde, der Freiheit und der Demokratie und damit im Grunde
auf die
Weisheit der Liebe bauend. Ich war damals nicht bereit, für diesen
„meinen
Herrn“ zu sterben und wäre es wohl auch heute nicht für die
Weisheit der Liebe.
Um so mehr frage ich mich, was ist es, dass die Weltanschauungen immer
noch
ihre Märtyrer finden?
4 - 11 - 95
Der frei
gewordene Raum vor dem Balkon beherbergt meine Bibliothek, von der ich
mich
schon fast getrennt hätte, in dem ich die theologischen
Bücher bündelweise
verschnürt auf dem Dachboden und im Schuppen gestapelt hatte.
Eigentlich ist es
eine Katastrophe, dass mir alle die vielen Bücher, die zuerst
meiner Eltern
sauer verdientes Geld gekostet haben und danach meines, nun so
gänzlich wertlos
geworden sind. Da steht das Theologische Wörterbuch zum N.T. Ein
gigantisches
Werk. Wie wenig habe ich es gebraucht! Ob heutzutage noch jeder
Theologe ein
solches Werk hat? Die erste Lieferung erschien 1934, als ich in
Königsberg mein
2.Semester begann. Die letzte Lieferung kam dann gegen Ende meiner
Tätigkeit
als Pfarrer. Und nun? Soll ich sagen „Ende gut, alles gut !“ Auch ,
wenn ich
jetzt weiß, dass ich einer Theokratie gedient habe, die gut
getarnt hinter
Worten wie „Gnade“, „Barmherzigkeit“ und „Frieden“ ihre Herrschaft
ausübte?
Neulich fand wieder einmal ein „Großer Zapfenstreich" vor dem
Bundeskanzleramt statt. Welch ein Hohn auf die Liebe und welche Tarnung
des
Martialischen. Nein, ich kann nicht mehr zurück. Mag es
anmaßend sein, aber
auch ich habe den „Schatz im Acker“ entdeckt und weiß nun die
Stelle, wo er im
Acker liegt. Diese, meine Überlegenheit lässt mich nicht
traurig sein darüber,
nicht nur eine ganze große Bibliothek, sonder auch ein Lebenswerk
verloren zu
haben. Der Gewinn macht den Verlust vergessen.
Der Mord an
Rabin beschäftigt mich sehr, denn er ist eine Parallele zur
Kreuzigung Jesu.
Die Orthodoxie ist mörderisch. Wer hätte gedacht, dass hinter
den Ideologien,
die in diesem Jahrhundert Angst und Schrecken über diese Erde
gebracht haben,
nun letztendlich die wahre, nämlich religiöse Fratze aller
Totalitarismen zum
Vorschein kommt. Mit der Inthronisation JHWHs zum Weltenherrscher
begann die Theologie und zugleich die Mythologie.
Die Warnung, von JHWH keine
persönlichen Vorstellungen zu dulden, wurde in den Wind geschlagen
angesichts
der offensichtlichen Vorteile, die eine Personifizierung mit sich
brachte. Man
kann sich die Begeisterung für diesen Vorgang nicht groß
genug vorstellen.
Niemand darf sich zum Richter über die machen, die dieser
Faszination verfielen.
Wir Christen sind der gleichen Versuchung verfallen, unsere Väter
im Glauben
haben diesen Jesus doch auch zum Weltenherrscher gemacht.
Heute morgen hörte ich einen
baptistischen
Gottesdienst aus Bremen, Text: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch
hier die
gleiche Universitätstheologie wie auf unseren Kanzeln.
Psychologisierend,
aktualisierend. Aber was hätte ich daraus gemacht, wäre ich
spannender gewesen?
Ich will´s versuchen: Das uns bedingungslos geschenkte Leben wird
uns heute auf
der Stelle, aufs Neue offeriert und das, nachdem wir die bösen
Erfahrungen
gemacht haben, die uns die letzten drei oder vier Jahrtausende
Menschheitsgeschichte im Zeichen der Verachtung von Mensch und
Schöpfung
eingebrockt haben. Zu einem Neuanfang in der Wertschätzung von
Mensch und
Schöpfung ist es nie zu spät.
(Ab hier ist die
Datierung bis zum 3.7.96 verlorengegangen)
Wie soll das
zugehen? Von Kind auf programmiert im Glauben an einen Herrgott, einem
Gipfel
menschlicher Vorstellungskraft, lässt sich kaum mehr
herunterkommen, denn er (dieser Herrgott) lebt ja
nicht, weil er
lebt, sondern weil seine Anhänger glauben, dass er lebt und damit
das Rätsel
unseres Daseins gelöst sei. Was ist doch schon alles geschehen,
das diesem
Glauben Hohn sprach nach Art Jesu Ruf am Kreuz und der dann doch nicht
erlahmte. Im Grunde sind A.T. und N.T. dafür Zeugnis, dass die
Menschen ihren
Gott auf den Händen ihres Glaubens getragen haben, ohne die
geringste faktische
Gegenleistung dieses Gottes.
Aber sag ihnen
das und sie werden Amok laufen! Oder heute schon nicht mehr?
Doch, auch heute
noch wäre mit deutlichen Entzugserscheinungen zu rechnen. Aber
warum bei mir
nicht? Ich bin doch Pfarrer und war im höchsten Maße dieser
Ideologie
verpflichtet. Was ist da geschehen? Ob ein Gott als Schöpfer der
Welt
existiert, bleibt eine Frage. Hingegen die Welt - und ich in ihr -
erlebe ich
als Wirklichkeit. Das Geschenk ist also Wirklichkeit, auch wenn der
Schenkende
vor der Hand nur mein Elternpaar ist.
Schwieriger ist
es, den Wert dieses Geschenkes zu bestimmen; denn er hat im Bereich
biblisch
entwickelter Kultur ständig an Wert verloren. In der Frühzeit
als
Liebesgeschenk verstanden, verliert es schon früh diesen Glanz des
Paradiesischen und dann erst recht unter dem Einfluss der Philosophie
Platons
im N.T.
Genügt es, wenn
wir heute, bei den „Treibern der Schweine“ angelangt, den Rückweg
ins Paradiesische
suchen? Wer will aber dies Umdenken so in die Wege leiten, dass es zur
Herzenssache
aller Beteiligten wird und nicht wieder als „verordnet“ bei den
Menschen
ankommt.?
Ich frage mich?-
Die Art und Weise in der zur Zeit die Christologie mehr und mehr aus
den
Predigten verschwindet, ohne dass die Gemeinden es wahrnehmen, beweist,
dass
auch der evangelische Gottesdienst weithin ähnlich bewertet wird,
wie auf
katholischer Seite der Gang zur Messe. Der Normalbesucher kann
hinterher meist
nicht sagen, was er da gehört hat, es
sei denn es ist
anschaulich gewesen, sei es in Form eines Gleichnisses, sei es als Erzählung.
Die Reformation
verdankt ihren Erfolg im Grunde der kirchlichen und politischen
Situation ihrer
Zeit. Der Ruf nach Freiheit vom kirchlichen Joch begeisterte die Massen
und
einen Teil der Adeligen. Sie vollzog sich dann auch vorwiegend
territorial nach
dem Grundsatz: „cuius regio, eius religio“ und in den Köpfen der
Pfarrer. Ihr
stärkster Impuls für die Zukunft kam aus der Übersetzung
der Bibel ins Deutsche
mit all den sich daraus ergebenden Folgen.
Die Aufklärung
auf allen Gebieten des menschlichen Lebens hat uns heute wieder an
einen Punkt
gebracht, an dem aufs neue an den Fesseln der Ideologien gerüttelt
wird. Was
haben wir einzubringen an Gewichtigem, ähnlich dem der Bibel in
der
Reformation? Die jahwistisch-jesuanische Philosophie von der
Erwählung des
Menschen?
Wenn ich bedenke, welche jeweiligen
Anliegen über die evangelischen Kanzeln ihren Weg in die
Bevölkerung gefunden
haben, dann müsste doch auch diese Neueinschätzung des
Menschen und seines
Lebensraumes auf eben diesem Wege der Gemeinde nahe zu bringen sein.
Als der
Kunstdünger mit seiner vielversprechenden Wirkung bekannt wurde,
da waren es
auch Pfarrer die ihn in ihren Predigten propagierten. Was war mit den
Kriegspredigten, in denen „der heilige Kreuzzug der Germanen“ schon im
1.Weltkrieg, in Leverkusen jedenfalls, den Leuten von der Kanzel
eingetrichtert
wurde?
Wie stark ist
die Einflussnahme der kirchlichen Predigt auf ihre Zuhörer? Zur
Zeit ist sie gering,
denn ihr Tenor ist eine offene oder versteckte Forderung von
Verhaltensweisen,
von denen meist am Ende bei den Zuhörern nichts mehr haftet. Nach
dem Kriege
haben wir jungen Theologen in Leverkusen einmal den Versuch gemacht,
Journalisten über unsere Predigten in der Montagszeitung berichten
zu lassen.
Unsere Predigten waren so wenig anschaulich, dass ein Journalist neben und trotz seiner Notizen keine
klare
Vorstellung vom Ganzen mit nach Hause nahm, sodass das von ihm
Berichtete uns
ganz und gar nicht gefallen konnte und wir den Versuch abbrachen. Aber,
was tun
wir eigentlich, wenn wir predigen? Was tat ich.
als ich predigte? Ich verstand mich
bei allen Predigtvorbereitungen zunächst einmal als Interpret
eines biblischen
Textes, in dem Gott zur Sprache kommen wollte und zwar richtend und
aufrichtend;
richtend den grundsätzlich Gottes Zorn verdienenden Menschen und
aufrichtend
mit dem Opfer Christi als der gnädigen Versöhnung Gottes mit
dem Sünder. Jetzt
weiß ich, dass auch ich auf diese Weise der Huldigung dieser
behaupteten Gnade
Gottes mit Haut und Haaren verfallen war. Diese Haltung beherrscht
nicht nur
unser religiöses Leben, sonder auch unser tägliches Leben.
Schon die Anrede „Herr “ - also an einen Mann - zeigt
wie
dieser Herrschaftsanspruch sich von oben nach unten durchgesetzt hat.
Jedes
„Danke schön“ eines Kindes, als Antwort auf ein Geschenk, ist doch
weiter
nichts als eine ehrerbietige Empfangsbescheinigung. Das Ziel eines
Geschenkes
ist aber, Freude zu machen, das Herz des Beschenkten zu gewinnen, „das
kann
lange dauern“ bis sich die Freude zu Wort meldet, es kann sogar
gänzlich
ausbleiben. Herrschaft meint, nicht so lange warten zu können und
verlangt
darum das „Danke schön“. Derartiges ist uns schon in Fleisch und
Blut
übergegangen.
Ich habe eben,
an diesem Volkstrauertag eine Predigt gehört über den
bekannten Jeremia Text
„Kranich und Turteltaube kennen ihre Zeit, wann sie wiederkommen
sollen. Aber
mein Volk vernimmt’s nicht...“ Jeremia lamentiert wie alle seine
Kollegen und
so denn auch der Pfarrer in seiner Predigt. „Lamentieren“, was
heißt das? Nach
meinem Verständnis: Lärm schlagen ohne eigentlichen Grund. Im
Grunde fordert
Jeremia seinen Gott auf, endlich sein Volk zur Vernunft zu bringen. Was
meint
er damit? Wenn ich es mir verständlich zu machen versuche, dann
möchte er, dass
sein Volk in festem Gottvertrauen handele, so wie der Mörder von
Rabin
gehandelt hat, blindlings gehorchend.
Ich beschäftige
mich natürlich, wenn nicht gerade etwas anderes meine ganze
Aufmerksamkeit
verlangt, mit meinem Problem. So
frage ich mich heute morgen: Soll man die Menschen mit dem Wissen um
die
Wahrheit belästigen, wenn es ihren Glauben gefährdet? Aber in
meinem Falle
geschieht doch Aufklärung in einer Zeit, in der die Wirklichkeit
den Glauben
längst ausgehöhlt hat und offensichtlich die Kirche sich
rüttelt und schüttelt,
um die alte Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken: Seht doch wie gut
ich
bin! Dabei liegt ihr Schaden in der Botschaft, die sie unangefochten
von den
Stimmen ihrer Philosophen, stur beibehalten will. Sie nennt diese
Sturheit
„Glauben“ und behauptet im Tone der Begeisterung, eben dieses
Festhalten sei ja
gerade der Beweis für das Wirken des Geistes Gottes. Dem steht
unsereiner
machtlos gegenüber. Rückblickend müsste die Kirche doch
endlich begreifen, dass
ihr Gott nicht von seinen großen Taten lebt und gelebt hat,
sondern von dem
fanatischen Willen seiner Anhänger, die ihn - unter Umständen
mit Gewalt - auf
den Thron zwingen, um seiner habhaft zu bleiben. Dabei sehen sie den
„Splitter
im Auge“ der Nichtchristen, aber den „Balken“ im eigenen Auge sehen sie
nicht.
Es ist mir
bewusst geworden, dass die Inthronisation zum HERRN zugleich eine
Apotheose
war, sodass erst damit die Theologie
begann.
Es ist der 3.
Sonntag im Advent. Der Predigttext: Jes.40, 1 ff: „Tröste,
tröste mein Volk
spricht euer Gott!“ Wie oft habe ich darüber gepredigt!? Das ist
ohne Zweifel
zum Herzen dringend und darum so faszinierend. Aber ich kann nicht mehr
mit
einstimmen, weil ich jetzt weiß, dass es sich dabei schon bei
Jesaia im Grunde
um Jesaias Wunschdenken handelt - nicht bewusst - aber ausgelöst
von dem
Wunsche, seiner Gottheit, dem Volke zuliebe, tröstliche,
warmherzige,
erbarmende Äußerungen in den Mund zu legen. „Mut machen“
hieß es in der eben
gehörten Predigt. Ach, wie selbsterniedrigend, minderwertig
führen wir uns vor
diesem vermeintlich auf einem Thron sitzenden Herrscher auf, dass wir
ihm
solche Reden in den Mund legen zu müssen meinen. Wir Menschen
haben ihn als
Sündenbock (Adam und Eva: „Du bist schuld!“)auf den Thron gesetzt
und nun
müssen wir ihn auch, je nach Bedarf, von diesem Thron her reden
machen. Einem
Sündenbock huldigen heißt, die Eigenverantwortung loswerden.
Ich denke bei dem
„kyrie eleison“ und den Bitten um den Heiligen Geist im Gottesdienst an
die
Baalspriester auf dem Karmel, wie sie sich vergeblich bemühen,
qualvoll um den
Altar herum hüpfend und hinkend, ihren Gott in Aktion zu setzen.
Wie unsereiner
sich mühsam an die Wahrheit heranrobben muss, wird mir deutlich,
wenn ich lese,
dass ich den „Sündenbock“, also den, dem die beiden ersten
Menschen der
Schöpfungsgeschichte vorwurfsvoll die Schuld an ihrem Versagen
unter die Nase
reiben, schließlich zum allmächtigen Weltenherrscher
avanciert sehe.
Dreitausend Jahre huldigen wir Menschen diesem Gott, ihn faktisch an
seinem
Versagen festnagelnd. Die Bitte um den Heiligen Geist ist doch
eindeutig die
Forderung, das bei der Schöpfung Versäumte schleunigst nach
zu holen. Die
frühen Christen meinten, wer weiß welche Offenbarungen bei
den Propheten
entdeckt zu haben. In Wahrheit sind beide, Propheten und Christen, nie
über
Adam und Evas Schuldzuweisung hinausgekommen..
Natürlich habe
ich wieder eine Predigt gehört und bin, wie letztlich immer,
schmerzlich dabei
betroffen. Nun bin ich der Sache auf den Grund gegangen und weiß,
wie alles
zustande kam und zusammenhängt. Im Weihnachtsbrief habe ich vom
„Hans Guck in
die Luft“ gesprochen. Das Bild gefällt mir immer mehr. Man kann in
der Predigt
die Stellen markieren, an denen die Pfarrer abheben, ähnlich dem
Schneider von
Ulm. Dann fliegen sie und nehmen ihre Gemeinde mit.
Meine Einsichten
vertiefen sich, je mehr ich mich damit beschäftige. Jetzt ist mir
klar geworden: wie sich mit der Inthronisation zum Weltenherrscher auch
das willige
Zugeständnis der Menschen an den Unbekannten - der
ihnen Land und Leben gegeben hatte, er sei für sie der einzige,
der als Gott
ernsthaft in Frage käme - verwandelte in den
Totalitätsanspruch des Monotheismus.
Das von den Menschen dem Unbekannten freiwillig Zugestandene, kehrte
sich um in
eine diktatorische Forderung von Seiten dieses Gottes. Ich frage mich,
ob dies
vielleicht die tiefste Ursache für den Antisemitismus ist? Die
diesem Gott von
Menschen auferlegte Arroganz führte zur Arroganz des
Fundamentalismus jeglicher
Prägung.
Nun habe ich
doch noch einmal versucht, mich überzeugend darzustellen.
Ursprünglich als
Brief an Frau Pollmann gedacht, wurde daraus ein „Offener Brief an
meine
Kirche“. Am Ende heißt es jetzt: „Herrgott oder Vatergott? Die
drei Religionen
alttestamentlichen Ursprungs am Scheideweg zwischen Fundamentalismus
und
Humanismus“.
Im heutigen
„Weg“ wird über Prof. Lüdemann(Göttingen) berichtet,
dass er in einem „Spiegel“
- Interview es für „schizophren und scheinheilig“ halte, dass
Pfarrer in der
Ordination auf Glaubensbekenntnisse verpflichtet würden, die sie
als
wissenschaftlich ausgebildete Theologen nicht glauben könnten.
Seine
Landeskirche zeigt nun die Zähne und hat ihn aus der
Prüfungskommission
ausgeschlossen. Arme Kirche! Dein Glaube schmilzt nun dahin wie Butter
in der
Sonne. Der Präses meiner rheinischen Kirche, Peter Beyer, hat auch
seine
Meinung dazu geäußert. Er meint, Lüdemann brauche seine
Kirche; denn „Theologie
ist mehr als Textkritik und Wissenschaft. Sie muss Lebenspraxis
reflektieren.“
Ich selber hörte
den Gottesdienst des Deutschlandfunks. Gedanklich brillant. Abraham,
das
Vorbild des Glaubens, ein Mensch wie wir, auf der Straße des
„Prinzips
Hoffnung“. Warum nicht: des Wunschdenkens?
„Hoffnung“
ist auch so ein „Fremdwort“ wie „Liebe“. Feuerbach hat den
Sachverhalt
richtig erkannt. Ich wundere mich, dass man ihn hat am Leben gelassen.
Oder ist es
heute schon wieder gefährlicher als damals, Wahrheit zu entdecken
und zu sagen?
Jetzt weiß ich, warum die Konfirmierten so zahlreich der Kirche
den Rücken
gekehrt haben. Jetzt weiß ich, warum so viele Gemeindeglieder nur
noch die
Taufe, die Konfirmation, die Trauung und die Beerdigung für ihre
Kirchensteuern
von der Kirche einfordern. Die natürliche Abneigung des Menschen,
sich
programmieren zu lassen, macht sich da bemerkbar. Eigentlich ein
Lichtblick.
Warum dann aber „ ja“ zu den kirchlichen Handlungen? Es ist doch nicht
nur der
träge Gehorsam der Steuerzahler. Es macht doch offenbar auch
Spaß, selbst die
Beerdigung. Liegt es daran, dass es sich dabei um echte Akzente im
Leben der
Menschen handelt, deren weltanschauliche Übermalung weniger
wichtig ist? Ach -
was habe ich mich abgequält 100en von Kindern „das Christliche“
begreiflich
zu machen. Dabei sagt es ganz offen, dass es gar nicht begriffen werden
soll,
sonder nichts anderes verlangt als vertrauendes Einstimmen. Auswendig
lernen!
Auswendig lernen! Das hätte genügt. Statt dessen habe ich
mich abgequält, das
Evangelium als höchste Weisheit verständlich
zu machen!
Ich habe das
Manuskript noch einmal überarbeitet und alles Fettgedruckte
beseitigt.
Gottfried Keller hat mich darauf gebracht. In seinem „Grünen
Heinrich“ moniert
er diese Art und Weise, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erzwingen oder
zu
locken. Wer wüsste besser als ich, was da hinter steckt? Wie tief
sind wir doch
diesem "Macht zu gewinnen über andere Menschen" verhaftet! Dabei habe ich erst gestern aus der
Erkenntnis Mut geschöpft, dass unsere Jugend ihre natürliche
Abneigung gegen
die Programmierung des Menschen heute mehr denn je behalten hat. Ihr
Fernbleiben von der Kirche nach der Konfirmation spricht Bände.
Und ihr
Verhältnis zur Schule leidet auch heute noch darunter, dass diese
von ihrem
Ursprung her Religionsschule war. Ganz zu schweigen von der Erziehung
der
Kinder in den Elternhäusern. Auch da wird im Grunde programmiert.
Für das
Nachdenken darüber, wie man dem Kinde einen Vorgang am besten
verständlich und
einverständlich machen könnte und für die dazu
erforderliche Geduld, ist keine
Zeit. Gehorchen lernen ist einfacher.
Es war
Weltanschauung. Von Elternhaus, Schule und Gesellschaft regelrecht
eingelernt
und mit dem Siegel des einzig Wahren versiegelt und jedem Zugriff
entzogen. Was
ist das in uns Menschen, dass wir neben dem Wunsch nach Freiheit
offenbar auch
dem Gegängelt-Werden gegenüber nicht abgeneigt sind? Ist es
nur die
Bequemlichkeit, um nicht zu sagen die Faulheit derer, die anderer Leute
Geistes-Arbeit sich zu Eigen machen? Das kann es doch nicht sein,
handelt es
sich doch dabei um einen ganz natürlichen Vorgang der
Wissensübermittelung.
Dann kann diese Verbindung von natürlicher Liebe zur Freiheit und
der Sucht
sich ein- oder unterzuordnen sich nur auf ein Weltbild beziehen, das
Allgemeingut sein muss, soll es unter Menschen zur Verständigung
kommen. Beides
gehört also zu unserem Leben: Der Wunsch, nicht gefesselt zu
werden und das
Bedürfnis, sich einzuordnen. in die Gesellschaft, sei es in die
Familie, sei es
in eine Gruppe Gleichgesinnter. Jedenfalls spielt dabei das
Schutzbedürfnis des
Menschen eine Rolle. Ein Ort an dem er seines Lebens sicher ist, an dem
er mit
Treue rechnen kann, wo sein Gut ihm nicht streitig gemacht wird, wo
seine Würde
nicht verletzt wird, wo er weder hintergangen noch überfordert
wird, wo - kurz
und gut - seine Mitmenschen seine Freunde sind, wo einfach Burgfrieden
herrscht. Das ist schon früh erkannt worden und hat seinen
Niederschlag im
Dekalog gefunden. Beides ist im Menschen natürlich beisammen: das
Verlangen
nach Freiheit und das Verlangen nach Geborgenheit. Wie lässt sich
das mit
einander vereinbaren, das Zentrifugale mit dem Zentripetalen im
Menschen? Nur
so, dass ein Mensch, der das Elternhaus verlässt es weder als
Freibeuter noch
als Paradesoldat tut, sondern als Mensch, der - mit den Defiziten von
Freiheit
und Geborgenheit vertraut gemacht - weiß: Geborgenheit alleine
macht träge,
faul und dumm und Freiheit alleine macht arrogant und unmenschlich.
Ich lese auf Anraten meines Sohnes
Joachim noch einmal den „Grünen Heinrich“ von Gottfried Keller in
der ersten
Fassung. Ich lese ihn mit großer Überraschung, weil ich
feststellen muss , dass
Keller schon auf Abstand zum Christentum geht in seiner Freiheit, zu
beobachten
und daraus dann seine Erkenntnisse zu gewinnen. So hat auch er schon
das
Problem erkannt, das sich uns Menschen stellt, wenn wir versuchen,
andere
Menschen auf unserem Weg mitzunehmen, ohne sie zu manipulieren. Er -
der grüne
Heinrich - steht als Beobachter am Weg, als der Festzug an ihm
vorbeizieht und
am Ende schließt er sich ihm an. Selbstbestimmung ist des
Menschen natürlichste
Regung und Sinn unseres Daseins.
Die Grundelemente dafür ergeben
sich aus dem Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit und
Freiheit. Denn in der
Geborgenheit sind wir Menschen frei von den Bedrohungen unseres Lebens
und
fühlen keine Fesseln. Erst wenn in
der Geborgenheit dem Menschen Fesseln angelegt werden
wenn ihm in ihr das
Recht zur Selbstbestimmung genommen wird, dann meldet sich das
Bedürfnis nach
Freiheit.
Kann denn in der Geborgenheit so
etwas wie Unterdrückung und Unterwerfung geschehen? Es ist immer
der Terror,
der psychische Krebs, die Lust über andere Menschen Macht zu
gewinnen, der wie
eine Krebszelle die anderen Zellen angreift und zerstört. Dabei
bedient sich
diese Zelle der typischen Instrumente aller Herrschaft: der Drohungen
und der
Versprechungen. Mit diesen Instrumenten wird den Unterdrückten ihr
Selbstbestimmungsrecht abgekauft oder abgetrotzt.
Im Zusammenhang mit dem Gedanken,
dass die Selbstbestimmung ein wesentliches Moment der Freiheit ist,
erinnerte
ich mich an Kierkegaards Versuch, den Vorgang des Glaubens sehr
vereinfacht als
den Schritt vom „posse“ zum „esse“ zu beschreiben, der dann ja eine
Entscheidung
innerhalb des menschlichen Denkens fordert. Mir ist klar geworden, dass
der gleiche
Vorgang auch bei der Selbstbestimmung des Menschen geschieht. Wenn sich
der
„grüne Heinrich“ am Ende dem Festzuge anschließt, dann tut
er das völlig frei aus
innerer Zustimmung zu dem, was er da gesehen hat. Die freikichlichen
Gemeinschaften fordern in der Bekehrung diesen Akt der
Selbstbestimmung. Damit
wird deutlich, dass die Selbstbestimmung als solche noch lange keine
Garantie
dafür gibt, dass ich mich nicht für die Fremdbestimmung
entscheide, also der
Freiheit meines Denkens abschwöre.
Die Selbstbestimmung ist aber ein
Vorgang im Denken des Menschen. Auch bei Kindern schon? Wenn der
Säugling
weint, ist es sicher noch nicht vom Denken gelenkt, sondern vom
natürlichen
Hunger und wenn er das Laufen lernt, vom Wunsche es den Erwachsenen
nachzumachen.
Das Alles werden die Psychologen doch längst schon erarbeitet
haben. Was zerbreche
ich mir darüber den Kopf? Für mich ist die Selbstbestimmung
von einer gedanklichen
Verarbeitung des Erlernten und Erlebten nicht zu trennen. Entscheidend
ist der
Augenblick , in dem ein Mensch freigegeben wird oder sich frei macht
aus dem
Garten oder dem Gefängnis des Elterhauses. Unser Bestimmtsein zum
Leben ist
zugleich auch die Basis unserer Selbstbestimmung. Unser Leben ist also
in
unsere Hände gegeben.
In der Literatur, in der modernen
Literatur begegne ich auf
Schritt und Tritt der Kritik am dogmatischen Glauben, überall
bekomme ich das
Unbehagen zu spüren. Im Morgenprogramm des WDR 3 stand eine
Besprechung des
lüdemannschen Buches auf dem Programm. Mit der provozierenden
Behauptung: „Das
Grab war nicht leer!“ wollte er Aufsehen erregen und den Schleier
zerreißen,
der das Wissen der Theologen vom Glauben ihrer Gemeinden trennt. Van
den Hoeck
und Ruprecht haben die zweite Auflage seines Buches über die
Auferstehung abgesetzt.
Was der Rezensent da brachte, war für mich nicht neu. Auch bei
Lüdemann der Versuch,
mittels 1. Kor. 15 die Auferstehung als Kombination von erlebter
Wirklichkeit
Jesu und Vision zu verstehen. Er tangiert meine Erkenntnis nicht. Das
„nach der
Schrift“ bei Paulus nimmt auch er - nach meinem Dafürhalten -
nicht ernst
genug.
Heute ist mir erst bewusst
geworden, wie weitreichend die Sicht des Jahwisten war. Angesichts des
Lebenskundeunterrichts in Brandenburg stellte ich mir die Frage, was
die Lehrer
denn für alle Schüler gleichermaßen Zutreffendes
unterrichten könnten? Da fiel
bei mir der Groschen, dass dies Elternerlebnis auf der ganzen Erde als
der
gleiche Vorgang erfahren wird und niemand etwas dagegen haben
könnte, wenn an
ihm Liebe veranschaulicht würde, ebenso wie der Umgang mit und die
Sicht der
Schöpfung als einem wunderbaren Geschenk jedermann zwanglos zu
einem
selbstbestimmten Mitmachen bewegen könnte.
Ich habe jetzt den lückenlosen
Beweis dafür, dass dieser Jesus
tatsächlich die Gotteskindschaft „elterlich“ gesehen hat. Das
heißt: wie Eltern
keines ihrer Kinder rückgängig machen, wenn es nicht so
geworden ist, wie sie
es sich gewünscht haben, so bindet sich Jesu Vatergott an seine
Geschöpfe. „Er
lässt seine Sonne scheinen über Gute und Böse und
lässt regnen über Gerechte
und Ungerechte“.
Er ist glücklich über jeden, der
seine Selbstbestimmung darin sucht, auch seinerseits, seine „Sonne
scheinen zu
lassen über Gute und Böse und regnen zu lassen über
Gerechte und Ungerechte“,
denn „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen
ist!“
Das habe ich in meinem Leben erst
jetzt richtig verstanden. Im Blick auf einen Herrgott war es eine
Überforderung,
nicht hingegen bei einem guten irdischen Vater.
Ich gerate immer mehr in den Bann
der Erkenntnisse meiner Arbeit. Ich entdecke in diesen Tagen wie die
Dorfbewohner sich erneut im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner
werden“
engagieren. Oberstes Prinzip dabei ist die Sauberkeit. Wie die Lehrer
einen
Aufsatz lesen, so lesen die hiesigen Dörfler das Aussehen ihres
Dorfes nach
Fehlern ab.
Fehler sind: Unkraut (heute
Wildkräuter), Schmutz auf der Straße, Flecken an
Häusern, ungeputzte Fenster.
Manche sind geradezu darauf fokussiert. Dieses Saubermann-Denken, ist
im
Prinzip das Freund-Feind-Denken, das exemplarisch mit der Theokratie in
der
Bibel seinen Ursprung hat. Zuvor waren gut und böse, ungiftig und
giftig,
stumpf und scharf, angenehm und unangenehm, heiß und kalt als
Erscheinungsformen des Lebens angenommen worden. Es war lediglich der
Menschen
Unerfahrenheit oder Unachtsamkeit, wenn sie zu Schaden kamen. Die Tiere
merken
es sich genau, wo ihnen etwas wehgetan hat. Mit der Personifizierung
von Gut
und Böse begann auch das Freund-Feind-Denken und ein
ständiger Krieg gegen
alles, was dem Menschen unbequem, unangenehm oder auch hinderlich war.
Der
ärgste Feind aber war schließlich der Tod. So ging man das
Hinderliche wie
einen Feind an mit dem Ziel es zu zerstören. Aber heute wissen
wir, dass diese Sicht der Dinge
falsch war und wir
mit dem Unkrautvertilgungsmittel kein Paradies auf Erden schaffen
werden,
sondern eher ein Wüste. Des Jahwisten und Jesu Erkenntnis, dass
unser
Lebensraum nur unsere Lebensgrundlage bleibt im Beieinander aller
Dinge, der
dem Menschen willkommenen und der unerwünschten. Des Menschen
Unterscheidungsvermögen ist subjektiv und führt in die Irre,
wo es
verallgemeinert wird. Heute wissen wir, wie gerade auf den Gebieten,
auf denen
große Erfolge erzielt wurden, in der Bekämpfung von
Bakterien z.B., nach kurzer
Zeit die Ernüchterung kam. Man musste zur Kenntnis nehmen, dass
diese entweder
sich an ihr Bekämpfungsmittel gewöhnt hatten, oder das Feld,
das sie
freigegeben hatten von anderen, noch viel gefährlicheren Bakterien
überflutet
wurde. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen hat heute für
den, der mit Ohren
hört, in denen Biblisches und Weltliches ständig beisammen
sind, seine
unüberhörbare Aktualität. Die Welt bekehrt sich zum
Jahwisten und zu Jesus,
während die Kirchen noch weit, sehr weit davon entfernt sind. Ich
bemerke
übrigens, dass außer mir kein Mensch die Vorgänge im
Nahen-Osten, in
Nordirrland, in Algerien, in Indien, u.s.w. ernsthaft unter dem
religiösen
Gesichtspunkt sieht. So kommt es, dass sie die letzte und tiefste
Ursache für
all die Feindschaft, die Theokratie, nicht in Rechnung stellen und das
Ganze
nur als ein momentanes Unglück ansehen. So sieht auch Israel
wahrscheinlich
nicht, dass es mit der letzten Wahl, in der Gegenüberstellung des
JHWH zu
seinem Kontrahenten, dem Herrgott, zur vielleicht letzten Schlacht
angetreten
ist. Netanjahu versucht die Fortsetzung der Friedenspolitik, also die
jahwistische Linie mit den Zionisten. Aber die Hartliner unter ihnen,
besonders
Scharon, verweigern sich ihm. Diese Regierung währt nicht lange.
Aus meiner
Sicht ist die Basis des Zionismus wertlos: Israels Erwählung
fundiert in der
Landnahme und in der Königszeit Davids. Als an zufällige
historische Ereignisse
gebunden, trifft sie die hegel-lessingsche These. Es ist traurig zu
wissen wie
Millionen Menschen ihr Herz an Ereignisse hängen, die ihren Wert
unwiederbringlich
verloren haben, es sich aber nicht eingestehen wollen und darüber
ihrem gelebten
Leben die Wertschätzung versagen, die es verdient.
Wieder ein Gottesdienst mit Jes.
40: dem „Tröste, tröste mein Volk“. Und wieder nur den Honig
aus der Blüte
gesogen. Als ob hier von mütterlichem Trösten die Rede ist.
Ich benötigte als
Junge eine Zeitlang Hilfe bei meinen Schularbeiten. Die evg.
Kirchengemeinde in
Wesel hatte dazu im Jugendheim der Langen Beguinen Straße einen
Raum zur
Verfügung gestellt, in dem ein eigenst dazu angestellter
Jugendpfleger die
Aufsicht über eine Handvoll Jungen führte. Ich weiß
nicht mehr, was ich falsch
gemacht hatte, aber ich musste bestraft werden. Dazu ging der Pfleger
mit mir
in sein Schlafzimmer, das gleich neben unserem Arbeitszimmer lag. Dort
musste
ich mich über sein Bett beugen und die Stockhiebe hinnehmen. Das
geschah bei
diesem Pfleger ohne jede Leidenschaft, nicht im Zorn. Dann nahm er mich
wieder
mit in den Arbeitsraum, setzte mich auf seinen Schoß und
streichelte mir die
Wangen, offenbar der Meinung eine echte biblische, pädagogische
Handlung
vollzogen zu haben und das in Anwesenheit der anderen Schutzbefohlenen.
Ist das noch „intellektuell
redlich“ gepredigt, wenn man nur noch von dem Streicheln der Wange
redet, ohne
die vorangegangenen Züchtigungen zu erwähnen?
Auf der theologischen
Datenautobahn weiter zu fahren, vermag ich nicht mehr.
Gestern und vorgestern wurde der
Papst in Deutschland von seinen Anhängern hochgehalten. Im
Fernsehen machte er
einen müden Eindruck. Deutlich ein alter Mann. Allerdings war er
über die
Vorgänge auf dem Markt der Theologie informiert. Er wusste etwas
vom Trend zur
„Beliebigkeit“. Natürlich warnte er davor. Zu viel Freiheit sei
doch
gefährlich. Darüber bin ich noch nicht im Klaren: Muss das
Korrektiv der
Freiheit die Herrschaft sein? Oder ist es meine Selbstbestimmung, mit
der ich
meines Bruders Hüter sein will? So, wie die Theologen darauf
bedacht waren,
dass der Sinn des Lebens von einer Instanz außerhalb unseres
Kopfes kommen
müsse, wenn wir sichergehen wollten, keiner Selbsttäuschung
zu erliegen, so
scheint es, haben sie auch das Korrektiv der Freiheit nicht im Menschen
lassen
zu dürfen gemeint, sondern aus ihm heraus in Herrschaft verlagert.
30 -06 - 96
In einem der Gottesdienste, die
ich heute morgen gehört habe, wurde über die
Josephsgeschichte gepredigt. Dabei
fiel mir auf, dass sie deutlich an das Gleichnis vom verlorenen Sohn
erinnert.
Die Brüder bieten sich letztlich Joseph als Sklaven an, so wie der
heimkehrende
Sohn als Tagelöhner dem Vater. In beiden Fällen wird diese
Selbsterniedrigung
vom Tisch gewischt und deutlich gemacht, dass es sich hier nicht um
einen
Gnadenakt handeln soll, sonder um die Vernichtung des geschehenen
Unrechts.
Ein Gottesdienst aus Arolsen. Es
ging um die Taufe. Der Text: „lebendige Steine“. Für mich ist
diese ganze
Schönfärberei des Christseins und seiner inwendigen Gegenwart
Gottes bei Leid
und Unglück so deprimierend, dass ich
immer mehr Joachim recht gebe, wenn er meint, in diese Front
liebenswürdiger
Glaubensblindheit gäbe es keinen Eingang mehr. „Im Land der
Blinden“ halten
sich die Blinden für gesund und wollen dem Fremdling
die Augen aus dem Kopf nehmen,
weil sie den Sehenden für krank halten. Im letzten Augenblick
entkommt er der
Gefahr.
22 - 07 - 96
Die Sache Lüdemann ist im „Weg“
wieder breitgetreten worden. Diesmal von unserem rheinischen
Präses Beyer. Ganz
im Tone gläubiger Arroganz. Dabei hatte ich ihm als Antwort auf
seine
Gratulation zu meinem Geburtstag das Plädoyer geschickt. Aber
solche Herren
schweben so hoch oben, dass sie entweder von ihren Vorzimmern von jeder
Anfechtung verschont werden oder mit einem kurzen Blick schon das Ganze
zu
kennen meinen. Ihres Glaubens so gewiss, wie der „Hans guck in die
Luft“ des
Erdbodens unter seinen Füßen.
Wieder ist mir
etwas durch den Kopf gegangen. Dieses Beieinander von religiösen
und nationalistischen
Tendenzen in fast allen derzeitigen Konflikten unter den Völkern.
Ob Irland,
ob Jugoslawien, ob der nahe Osten, ob Afghanistan, ob Algerien, ob
Tschetschenien, ob Kaschmir, ob Äthiopien oder der Sudan,
überall findet sich
diese Mischung. Steckt dahinter der gleiche Wunsch, den Hitler im
Herzen trug:
„Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“? Oder ist es auch der
Menschheit Wunsch:
Eine Menschheit, ein Glaube, ein Gott? Dazu wurde schon der Turm von
Babel
errichtet: Als überall sichtbares Wahrzeichen der Einheit. Das
muss wohl sein,
denn auch die DIN-Maße und der Rechtschreibe-Duden frönen
dem gleichen Erfordernis.
Und doch wird mir unbehaglich dabei. Bei der Orthographie denke ich
unwillkürlich an die Orthodoxie, denn sie haben gemeinsam die
Unterscheidung
von richtig und falsch, das aber kommt in die Nähe von gut und
böse und führt
auch in der Rechtschreibung zur Beurteilung von Menschen.
20 - 08 - 96
Jetzt ist mir
klar: Der Schritt vom JHWH zum HERRN war für die israelitischen
Stämme nur ganz
schwer nach zu vollziehen. Aber der Traum vom Reich, von der
Königsherrschaft
Gottes hatte etwas Faszinierendes, etwas Zentripetales, wie der Turmbau
zu
Babel und das besonders in Augenblicken, in denen sich die Stämme
aus den Augen
zu verlieren drohten. Darum konnte sich dieser Traum auf die Dauer
durchsetzen.
Aber er konnte immer nur als Traum wachgehalten werden, und im festen
Glauben
an die Landnahme und an die Königszeit als göttlichem
Handeln. Traum ist er bis
heute geblieben. Er hatte nie Verbindung zur Wirklichkeit. Wie kommt
es, dass Träume Menschen um den
Verstand
bringen, oder tut es nur der Traum von der Macht, der Gedanke in der
Überfülle
des Lebens, seiner Erscheinungsformen und Unberechenbarkeiten die
Übersicht zu
behalten, Herr der Lage zu bleiben? Der Wunsch, das Leben zu fesseln,
dem
ewigen Fluss Einhalt zu gebieten mit Gewalt.?
25 - 08 - 96
Ein
altkatholischer Gottesdienst aus Köln.. Das „predigende
Schlüsselbund“ diente
zur Veranschaulichung der Stellung des Papstes. Seine
Schlüsselstellung wurde
akzeptiert, nicht ihr Gebrauch: Nicht Herrschaft, sondern Dienst. Sag
das mal
dem Papst, der seine Herrschaft als Dienst versteht und nicht mehr
wahrnehmen
kann, dass die Herrschaft in ein homerisches Gelächter ausbricht,
wenn ihr das
Gesicht eines Dieners geschenkt wird. So bemäntelt, ist ihr
Flötenspiel
verlockend.
28 - 08 - 96
Ich lese das
Rowohlt Bändchen über Spinoza und bin bewegt davon, wie auch
er das Joch der
Bibel abzuwerfen bemüht war, eingemauert in einem Gefängnis
von jüdischer,
reformierter und katholischer Orthodoxie. Wenn sie wüssten, was
sie tun, sie
würden vor sich selbst davonlaufen... Wo sind die Psychologen, die
uns von der
Angst vor der Fülle des Lebens befreien. Nicht der Wille zu einem
Zentrum,
einem Turm oder auch zu einem Idol oder Gott hält uns zusammen, im
Gegenteil:
Der eine Gott hat auf dieser Erde mehr Unheil angerichtet als alle
Naturkatastrophen. Nicht der Zwang zum Zusammenleben macht Frieden,
sondern der
Wille dazu jedes einzelnen Menschen.
30 -8 - 96
Zugegeben: Der
Duden muss sein. Aber ein Blick auf die Menschen unseres Landes zeigt
doch die
Hemmungen, die diese Orthographie ganz allgemein bei den Zeitgenossen
dem
Schreiben gegenüber hervorruft. Auch hier geht eine Kluft durch
unsere Reihen,
die der Eingeweihten einerseits und der Laien andererseits, wie in
einer
Kirche. Ist Orthographie eine Kunst oder gar ein Glaube? Nicht
jedermanns
Sache? Treibt die Menschheit einer Vereinheitlichung entgegen: Eine
Menschheit,
eine Sprache, eine Rechtschreibung, ein Maß, ein Format. Ich sehe
ein, dass uns
dieser Weg vorgezeichnet ist, dazu noch eine Währung. Das
hätte ich beinahe
vergessen. Und jetzt schon ein Gott und mit ihm eine Willensbildung?
Ich
schnaufe bei diesem Gedanken! Und doch sehe ich die
Zwangsläufigkeit in dieser
Entwicklung. Im Blick auf die Sprache lässt sich der Vorgang
vermeiden, wenn
neben der Muttersprache überall auch die Weltsprache gelernt wird.
Einheitliche
Maße und Währungen sind denkbar. Die Rechtschreibung eine
Kunst und die
Religion? „Jeder nach seiner Façon“?
31 - 08 - 96
„Jetzt wackelt alles!“ soll Ernst Troeltsch in einem seiner
Kollegs um
die Jahrhundertwende
ausgerufen haben. Daran wurde ich erinnert, als ich las, dass aus
Amerika ein
energischer Einspruch gekommen ist gegen die Behandlung der
„Scientology“
Gesellschaft in Europa. Was geschieht? Die Psychoanalyse hat entdeckt,
dass der
Mensch in seiner Jugend geprägt wird, wie von einer
Prägemaschine und sich,
weich wie Wachs, prägen lässt durch ständige
Wiederholung bestimmter
Behauptungen. Diese Methode ist so alt wie die Lehre von einem die Welt
beherrschenden HERRgott. Als die ständige Erinnerung an ihn nicht
mehr am Leben
abgelesen werden konnte, wie beim VATERgott, sah man sich gezwungen
mittels
ständiger Widerholung und Erinnerungszeichen die neue Sicht der
Dinge
einzuprägen. Darin gründet die Macht der biblischen
Religionen im öffentlichen
Leben bis heute. Darin liegt auch die Ursache für ihren Kampf
gegen die
Geburtenbeschränkung. Was tut die „Scientology “? Sie hat
entdeckt, dass sich
das Prägeverfahren auch verkürzen und sogar bei Erwachsenen
erfolgreich
durchführen lässt, natürlich auch mit Zuckerbrot und
Peitsche. Beispielhaft ist
Aarons Verfahren, als er widerwillig - wegen Moses langem Ausbleiben
vom Volk
gedrängt - Zeit zu gewinnen sucht und von der Bevölkerung
alle ihre
Kostbarkeiten verlangt, damit rechnend, dass es der Aufforderung gewiss
nicht
nachkommen würde. Er hatte sich geirrt. Für einen Herrgott
geben die Menschen
alles, was sie haben, auch ihre innere und äußere Freiheit.
Es war wieder
Saunatag. Der Sprecher im Radio erzählte: Im Orient kommt ein Mann
zum Arzt. Im
Vorzimmer hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Sind Sie Moslem,
dann gehen Sie
durch die rechte Tür“. Er gelangt wieder in ein Vorzimmer mit
abermals zwei
Türen mit der Aufschrift „Männer“ bzw. „Frauen“. Er geht
durch die Tür für
Männer und sieht sich wieder zwei Türen gegenüber. Auf
der rechten ist zu lesen
„Für solche, die mehr als 500 verdienen“. Da unser Freund sich
überfordert
sieht, geht er lieber durch die linke Tür. Aber da ist er wieder
draußen.
Zum
Prägeverfahren in den Religionen ist mir eingefallen, dass hier
die Ursache für
den Widerstand von Katholiken und Moslems gegen eine Geburtenregelung
liegt.
Über die Unzahl von geprägten Kindern führt ein
sicherer, unblutiger, „gehorsamer“
und scheinbar „lebensfreundlicher“(?) Weg zur Übermacht.
Sind wir
Evangelischen so naiv, dass wir das nicht merken? Wir haben nicht
diesen Willen
zur Macht, sondern den Glauben, dass der HERR seine Kirche erhält
und nehmen
darum nicht, wie es scheint, diese Erhaltung und Erweiterung der Kirche
als
Gottes Stellvertreter auf Erden selbst in die Hand, oder jedenfalls
nicht in
diesem Selbstbewusstsein. Darum meint die „Junge Kirche“ sich so
abzappeln zu
müssen, in neuen Betätigungen meditativer, spielerischer,
musikalischer,
tänzerischer und liturgischer Art, um etwas von ihrer
Anziehungskraft wieder zu
gewinnen, im Konkurrenzkampf mit den anderen Religionen. Sie hat das
Liebeswerben
Gottes um den Menschen in der Christologie verloren. Nun versucht sie
so zu
tun, als ob sie es noch hätte. Die anderen Religionen biblischen
Ursprungs
haben längst schon auch diese vergnügliche Seite ihrer
Religion in die eigene
Hand genommen und zeitlich geregelt, der Gnade des HERRgotts auch den
Tribut
der Freude gewährend.
02 - 09 - 96
Das „dritte Reich“ ist
zusammengebrochen. Der
Kommunismus nahezu auch. Ich will ja gar nicht meiner Kirche schaden.
Ich will
und kann sie aus ihrer Not, in der ihr Glaube immer weniger mit der
Wirklichkeit zu versöhnen ist, befreien. Kein Mensch redet noch
von „Sünde“,
schon gar nicht mehr von „Erbsünde“. Aber das sind doch die
Fundamente des
jüdisch-christlichen Glaubens. Sie sind weggeschmolzen, auch im
Unterricht
unserer evangelischen Kirche.
Nun hängt das
Ganze in der Luft und erweist sich als das, was es ist, nur noch als
Traum von
einer Weltregierung über eine Welt, die von Menschen schon nicht
mehr regierbar
erscheint. Und doch ist im Leben der Natur ein riesiger Ordnungswillen
vorhanden, der beispielsweise den Lebewesen immer aufs neue die Organe
schafft,
die notwendig zum Leben sind und an der besten Stelle sitzen, an der
sie ihren
Dienst tun müssen. Was ist Leben? Man kann nicht sagen: Es wird
regiert, denn
es sucht sich seinen Weg selber und
schafft sich selbst die Instrumente um ihn sich zu bahnen und fand so
bisher
immer einen Weg zu leben als Baum und Strauch, als Tier und Mensch,
auch als
Virus und Bazillus. Die Frage nach Gott ist zur Frage nach dem Leben
geworden.
Nein, noch genauer, denn die Ursachen des Lebens sind ja die
Lebensbedingungen: Die Sonne mit ihrer Wärme, die Erde mit ihrer
Anziehungskraft, einer bestimmten Temperaturspanne und einem hohen
Vorkommen
von Wasserdampf und Sauerstoff sowie einer Unzahl von Chemikalien und
der
Elektrolyse. Mehr weiß ich auch nicht.
Ich jedenfalls
habe mein Leben von meinen Eltern. Dem Vorgang der Zeugung hat das
Leben die
Lust beigegeben, um Fortsetzung zu gewährleisten. Was ist die
Triebkraft zu so
viel Kreativität? Das Notwendige? Das
Hindernis das überwunden werden muss ? Ich weiß auch nicht
mehr weiter und
denke, dass andere sich darüber
schon
besser den Kopf zerbrochen haben. Jedenfalls den Sinn des Lebens an der
Geburt
eines Kindes abzulesen, war mehr Weisheit als die des Plato und des
Aristoteles.
Ich lese Spinoza und sehe auch da das Bemühen, wieder den Glauben
auf den Boden
der Wirklichkeit zurück zu holen. Er nennt die Wirklichkeit
allerdings
„Natur“ und sucht in ihr die Gottheit.
05 - 9 - 96
Ich habe gestern
zum ersten Mal den ganzen Komplex der Theokratie das Gebäude des
„Du sollst“
genannt und damit dem kreativen „Ich will“ gegenübergestellt. Die
Schuldzuweisung an Gott seitens Adams und Evas in der jahwistischen
Schöpfungsgeschichte besagt doch: Hättest Du Deine Sache
besser gemacht und uns
das Wissen um gut und böse gleich mitgegeben, dann wäre das
nie passiert. Die
Propheten schließen sich diesem Vorwurf an und fordern
folgerichtig ein neues
Herz oder den neuen Geist für den Menschen und die Kirche bettelt
noch heute in
jedem Gottesdienst darum, Gott möge doch dies Loch endlich stopfen
und den Menschen
das ethische Wählen erlassen,
indem er
selber das Richtige ihm eingibt, das er, der Mensch längst als
notwendig kennt,
aber dann doch lieber von Gott getan wissen möchte, die eigenen
Kräfte dazu
unterschätzend. Oder: Das Gesetz ist
das Gute - und damit basta(?) - und mit dem Kopf durch die Wand. Auch
hier
findet sich wieder dies naturhafte Beieinander von gut und böse,
das dem
Menschen die meisten Sorgen macht und alle seine geistigen Kräfte
mobilisiert.
Dies Lernen-Müssen, dies Wissen-Müssen, dies im
Gedächtnis-Behalten-Müssen,
dann dies Beurteilen-Müssen, dies Wählen-Müssen und
Entscheiden-Müssen. In
einem Wort: Dieser unaufhörliche Zwang, sein Leben selber durch
tausend
Gefahren hindurch steuern zu müssen und dann noch im Falle des
Irrens dafür
verantwortlich gemacht zu werden, das macht den Wunsch „ zu sein wie
Gott“, dem
das alles abgeht, ganz natürlich.
06 - 09 - 96
Ich las heute in
Goethes „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ dazu: „Ich verlange
nicht,
dass Sie jemals billig gegen mich
sein
sollen, versetzte jener, aber so viel muss ich
Ihnen sagen: wir anderen, die wir von der Gesellschaft
abhängen,
müssen uns nach ihr bilden und richten, ja wir dürfen eher
etwas tun, das ihr
zuwider ist, als was ihr lästig wäre, und lästiger ist
ihr in der Welt nichts,
als wenn man sie zum Nachdenken und zu Betrachtungen auffordert. Alles,
was
dahin zielt, muss man ja vermeiden
und
allenfalls das im stillen für sich vollbringen, was bei jeder
öffentlichen
Versammlung versagt ist.“ Warum ist „Nachdenken lästig“? So
lästig, dass manche einem die
Freundschaft aufkündigen,
wenn unsereiner sie zum Nachdenken bewegen will.
Ich denke immer
noch darüber nach, warum die Forderung, nachzudenken, so
emotionale
Reaktionen auslöst. Ich kann verstehen, dass einer,
der sich eine Meinung von Gott, einer Partei, von
der Politik,
von der Erziehung seines Kindes, von seiner Frau gebildet hat, gerne
diese Dinge
so ansieht und behandelt wie das in der Schule Gelernte. Es sind in der
Regel
ja auch gängige Münzen in
der
Gesellschaft, so dass der
Angesprochene, der auf der Einbahnstraße seiner Mitmenschen
fährt und darin
seiner Sache sicher zu sein glaubt, sich irritiert sieht. Da zum
Nachdenken
aufgefordert zu werden, hieße doch den Fließverkehr
verlassen zu müssen und
zunächst erst einmal zu lernen mit
kritischen Augen zu sehen. Aber, das ist der Knack- Punkt dabei, mit
dieser
Denkpause des Einzelnen wäre der Sog der Konventionen, der gesamte Fließverkehr
betroffen. Deshalb
„Belästigung“ und kraft des Sogs, Zerstörung aller solcher
Hindernisse.
11. 09 - 96
Überdies ist mir
jetzt auch klar geworden, wo in Zukunft die Aufgabe der Kirche liegen
könnte. In
gewisser Weise behält die „Zwei Reiche Lehre“ ihre Berechtigung.
Die Aufgabe
des demokratischen Staates bleibt wie sie ist: Mit dem Willen zur Liebe
regieren. Das tut er, jedenfalls bei uns in Deutschland.- Dies
Kompliment hat
ihm aber noch keiner gesagt.- Das ist schwierig in einem Volk, in dem
die Menschen
weithin im Willen zur Macht erzogen werden. Genau da wäre die
Hilfestellung der
Kirche erforderlich, indem sie Eltern und Kinder im Willen zur Liebe
prägt,
Ihnen bewußt macht, dass ihr
und aller
Menschen Leben ein Geschenk ist, das leicht zerbrechlich und darum sehr
behutsam behandelt werden sollte, nicht nur das eigene, sonder auch das
aller
anderen. Besser wird es nie mehr auf dieser Erde in Worte gefaßt
werden als mit
dem „und deinen Nächsten wie dich selbst“. Solche Menschen sind
dann auch leichter
zu regieren. Das Problem, wie bringt man Geborgenheit und Freiheit
zusammen, beschäftigt
mich noch immer. Ich muss es noch
einmal von einer anderen Seite her anfassen. Leben tritt in eine an
sich
lebensfeindliche Welt ein. Vergleichbar dem Licht, das in die
Dunkelheit
eintritt und sie beseitigt. Das Licht kann zwar die Dunkelheit
beseitigen. Aber
die Dunkelheit kann nicht das Licht beseitigen. Sie kann immer nur da
hin, wo
das Licht weggeht. Das Licht ist also eine Kraft, während die
Dunkelheit das Nichts
ist. Ähnlich ist es doch auch mit dem Leben. Es ist eine Kraft,
die ähnlich dem
Licht oder auch vermöge des Lichtes einmal
in eine leblose Welt eindrang und sich durch Fortpflanzung
bis heute
kraft des Lichtes hat erhalten, ja vermehren und höher entwickeln
können. Dabei
stieß es auf lebensfreundliche und lebensfeindliche
Gegebenheiten,
mit denen es
zu leben gezwungen war und noch gezwungen ist und aufs Sterben. Das
Leben -.so
pauschal von ihm geredet - steht nun vor der Frage, ob es sich
darüber freuen
kann oder ob es diesen Kelch, zu kurzem Trank an die Lippen gesetzt
und dann
weggerissen, verfluchen soll? Nun muss man
dem Leben zugestehen, dass es
bemüht ist „langes Leben“ zu gewähren bis hin
zu einer genüßlichen
Sättigung mit einem echten Ja zum Sterben. Im Großen und
Ganzen hat Max Frisch
wohl recht, wenn er seinen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ enden
lässt mit dem Satz: „Leben ist
schön“.
12 - 09 - 96
Die Bibel sieht es auch so, wenn sie
behauptet, das Leben sei uns geschenkt, in der Absicht, unser ganzes
Herz für
den unbekannten Schenkenden und sein Geschenk zu gewinnen. Wir wissen
heute,
dass unser Leben primär der
Sonne und
ihrem Wirken auf dieser Erde zu verdanken ist, also keinem denkenden
Wesen.
Aber das Geschenk ist da auch in Gestalt dieser Erde. Wir ernähren
uns von ihr,
wir bauen unsere Häuser darauf und rechnen mit ihr als der
festesten Währung.
Kein Geringerer als Luther hat gesagt, das sei unser Gott, auf das wir
unser
ganzes Vertrauen setzen. Damit sollte alles klar sein.
Mich
beschäftigen noch immer die beiden menschlichen Verlangen,
einerseits nach
Geborgenheit und andererseits nach Freihheit. Es sind
Wunschträume. Nirgendwo
lebt ein Lebewesen auf der Erde ungefährdet und nirgendwo
ungefangen. Man kann
immer nur von relativer Geborgenheit und Freiheit reden. Was ist dann
noch das
Schöne am Leben? Ich behauptete von der Liebe, sie regiere nicht,
sondern sie
liebe und schütte ihr Füllhorn über alle Menschen aus.
Ich behauptete, das
Licht sei eine Kraft, vor der Dunkelheit nur fliehen oder sich
verstecken kann.
Sollten Licht, Liebe und Leben das gemeinsam haben, dass
sie unwiderstehliche Kräfte sind vor
denen die Dunkelheiten, Hass und Feindschaft unter den Menschen,
Krankheit und
Tod auf der Flucht sind oder sich verstecken müssen und erst
wieder
hervorkommen können, wo Licht, Liebe und Leben gegangen sind?
Wenn es so wäre,
hätte die Wertschätzung des Lebens ihre volle Berechtigung:
14 - 09 - 96
In dem Liede „Ein Heller
und ein
Batzen, die waren beide mein...“ heißt es auch „und draußen
auf der Heide da
singt der vogelfrei!“. Es hat lange gedauert, bis ich den
ursprünglichen Sinn
dieses Satzes begriffen habe. Ein Vogelfreier war im Mittelalter ein
von Kirche
und Gesellschaft Geächteter. Draußen auf der Heide war weit
und breit kein
Verfolger zu sehen. Da stiehlt sich die Lebensfreude auch eines solchen
Menschen über seine Lippen. Unsere Lieder scheinen nur anderer Art
zu sein.
Auch sie lösen sich spontan von unseren Lippen, wenn weit und
breit keine
Gefahr droht.
15 - 09 - 96
Was ist der
Unterschied in der Erziehung in Gestalt von Prägung und in Gestalt
von Einüben
in die Selbstbestbestimmung? „Messer, Gabel, Scher und Licht
dürfen kleine
Kinder nicht!“ Das ist ein Gesetz und soll eingeprägt werden.
Darum fehlt auch
die Begründung, die erklären müsste, warum das so ist.
Das Kind dahin zu
bringen, dass es im Wissen um die
Verletzungen und Zerstörungen, die mit diesen Hilfsinstrumenten -
es sind
immerhin Hilfsmittel des Menschen - verursacht werden können,
bedarf es einer
sorgfältigen Einübung im Umgang damit und
zugleich einer Willensbildung, diese
Dinge nur notfalls als Waffe zu gebrauchen. Letzteres ist ein
schwieriger
Vorgang, der zudem viel Geduld erfordert. So wird statt dessen in der
Regel,
das Gesetz in den Raum gestellt und immer wieder hergesagt und notfalls
mit
einem Klapps auf die neugierigen Hände geahndet., bis das Leben
dem Kinde unter
der Hand beibringt, dass im Grunde
alles Mögliche dem Leben dienlich und dem Leben abträglich
sein kann. So liegt
es letzten Endes am Willen des Kindes, welchen Gebrauch es mit den
Gegenständen
macht. Damit ist deutlich, dass der
Willensbildung des Kindes die größere Aufmerksamkeit
geschenkt werden muss.
Der Wille zur Macht oder der Wille zum behutsamem Umgang mit allem
Lebendigen
und seiner Lebensgrundlage...
Die heutigen
Predigten über den jahwistischen Schöpfungsbericht rissen den
Vorgang aus seinem
Zusammenhang und bedienten sich nur des Gartenteils. Der eine Pfarrer
tat es,
mit dem Wunsch einer Schauspielerin, die zufällig zu Besusch bei
ihm war und
beim Anblick der Schönheit des
Ortes und seiner Umgebung gerufen
haben soll: „Bewahrt euch dieses Paradies!“ Der andere Pfarrer
gestand
zunächst
zu, dass es zwei
Schöpfungsgeschichten
gäbe.
Ging darauf aber
nicht weiter ein. Dagegen versuchte er den Gartenteil der Geschichte
als
Ausblick aus diesem Elend auf eine zukünftige Herrlichkeit seinen
Zuhörern und
-Innen vorzustellen.
Ich lebe mit
Menschen zusammen, die beten für eine junge Frau, die von einem
Hirntumor befallen, lebend, keinen
Umgang mit ihrer
Umgebung mehr hat. Sie beten für einen Krebskranken und lauter
ähnlich
schrecklich Fälle. Ich frage sie, ob sie ein solches Leben, das so
viel Elend
enthält, noch für schön halten? Ich werde
verständnislos angesehen, wenn ich
durch meine Frage das Leben belaste. Habe ich mich verlaufen? Aber ich
muss weiter fragen: Was ist denn das
Schöne am Leben? Dass unsereiner
zeitweilig das Elend in dieser Welt vergessen kann? dass
ich in Verbindung mit dem Licht eine
Speerspitze des Lebens gegen das Nichts bin? Oder frage ich so
kritisch, weil
ich alt bin und keine Rücksicht mehr auf die Lebenden nehmen zu
müssen glaube?
16 - 09 - 96
Wie ich das
Leben auch ansehe, biblisch als Geschenk oder realistischer als ein
Produkt des
Sonnenlichtes, das seine Kraft auch im menschlichen Leben gegen das
Nichts
setzt, ich komme immer zu dem selben Resultat, wenn ich frage: Wie
äußert sich
diese einseitige Kraft, von der der Mensch lebt, im Leben des Menschen?
Die
Antwort lautet so oder so: In der Liebe, die auch das Nichtige
entmündigt, dem
Zerstörerischen keinen Raum, kein Mitspracherecht, keine
Daseinsberechtigung
zuerkennt.
17 - 09 - 96
Wenn wir das
Leben als Produkt des Lichtes erkennen und entdecken, dass
auch ihm die Kraft innewohnt da zu sein und
sich durch einen Urwald lebensfreundlicher
und lebensfeindlicher Wegbegleiter
seinen Weg bahnt
und dann noch Leben weitergibt, dann fragt man sich doch, wohin
führt das,
angesichts der Explosion dieses Lebens in Gestalt von Menschen auf
dieser
Erde?Der Gedanke liegt nahe, dass dies
dann doch auch wie bei den Pflanzen und Tieren von
den jeweiligen
Lebensbedingungen abhängig ist. Sollte
der Fortbestand des Lebens auf dieser Erde nun nicht mehr nur alleine
der
Natur, sonder auch unserem Denkvermögen obliegen?
18 - 09 - 96
Ich lese zur Zeit im „Willen zur
Macht“ und
finde dort einen Gesprächspartner, der im Willen zur Macht im
Grunde den Willen
des Lebens zum Leben meint, der nun in der Tat keine Dekadenz, keine
Ermüdung
kennt und sich derer bedient, die der Weitergabe des Lebens die besten
Chancen
geben. Das ist aber neben der natürlichen Auslese nun auch Sache
des Menschen.
Da aber sind es die, die sich diesem gigantischen Willen zum Leben mit
ihrer
ganzen Liebe einfügen.
19 - 09 - 96
„Der Weg“ ist
wieder gekommen. Heute ...... es mich an, was da zu lesen ist:
„Behinderung als
gute Gabe Gottes annehmen“. Eine Meditation eines Oberkirchenrates Hans
Ulrich
Stephan. Dann Klaus Berger: „Die Welt wird als bedroht und korrupt
verstanden,
voll von lebensfeindlichen Mächten. Und mitten in dieser
bösen
Welt tut sich ein
Weg des Lebens auf, eine Macht, die nicht in den Untergang zerrt“.
20 - 09 - 96
Im Laufe meiner
Predigtarbeit stieß ich auf ein Phänomen, das in meiner
Gedankenwelt so noch nicht
erkannt war. Licht und Finsternis galten mir als zwei Mächte, die
mit einander
im Streit lagen und im Kompromiss grau erzeugten. Aber es ist
anders. Licht ist
eine Kraft, die sich überall durchsetzt und Finsternis oder das
Nichts ist das,
was bleibt, wo kein Licht ist oder hinkommt. Nun hat unser Leben mit
allem, was
diesem Leben dient, sein Dasein von diesem Licht, sagen wir ruhig, von
der
Sonne, unserem Lebenslicht. Damit hat es aber auch die Eigenschaft des
Lichtes,
seine Macht, wo und wann es auftritt Leben zu sein, zwar sich selber
verbrauchend, aber fähig, neues Leben mit neuen Kräften immer
wieder
weiterzugeben. Getragen von der gigantischen Macht des Lichtes hat es
im Laufe
der Jahrtausende die Erde begrünt und mit Tier und Mensch
bevölkert und von
seinen, des Lichtes Produkten ernährt.
Da ist in der
Tat „der Willen zu Macht“, den Nietzsche offenbar unter den Menschen
vermißt
und sie darum der Dekadenz und des Nihilismus bezichtigt. Nun ist es
aber so,
dass die Menschheit sich weithin
unter
der Herrschaft eines großen, außerirdischen, geistigen „Du
sollst“ zu leben
versteht, m. a. W. Ein anderer hat an ihrem Leben sein Interesse, so
dass sie sich der tragenden
gigantischen Kraft,
der sie zugehören, nicht bewußt sind und ihr darum auch
nicht zuarbeiten. Im
Gegenteil! Genüßlich
plündern sie den
Schatz aus, den das Licht angesammelt und den Menschen zum Leben
bestimmt hat.
Dabei ist erst wenigen bewußt, dass der
Wille zum Leben, diese gigantische Kraft, nun auch die
Mitarbeit der
menschlichen Köpfe braucht mit ihrem Willen zur Liebe des Lebens.
02 - 10 - 96
Ich habe auch
in Leverkusen schon in der Allianz- Bibelwoche mit der Freien Gemeinde
und den
Baptisten
zusammengearbeitet, ohne mehr als die eine Erfahrung gemacht zu haben,
dass die Kirche ihr Fischteich ist,
aus dem sie ihre Gefolgschaft holen. Ich frage mich, woran das liegen
könnte?
So gesetzlich die Kirche in ihrer Unterweisung von Kindern ist oder zu
meiner
Zeit noch war, so liberal ist sie in ihren Predigten und ihrer
Einflußnahme auf
den konfirmierten. Menschen. In ihrem Glauben, dass ohne
den Heiligen Geist eben nichts in der Kirche gehe,
hütet
sie sich vor einer Willensbildung ihrer Glieder. Das ist bei den freien
Gemeinden anders. Sie fordern geradezu diese Willensentscheidung und
haben
damit natürlich Erfolg. Die Selbstbestimmung des Menschen
lässt sich kaufen, weil es so
bequem ist, nicht
dauernd das Ruder seines Schiffes in der Hand halten zu müssen.
Bei Flugzeugen
und Schiffen, meine ich, gehört zu haben, gibt es so was. Im
Alltagsleben kann
unsereiner sich das nicht leisten, weder beim Kochen noch beim Einkauf,
am
wenigsten beim Autofahren. In der Religion ist das anders. Da werden
die Kinder
schon wie Lokomotiven auf Schienen gestellt, Weichen gibt es nicht,
sondern nur
Hebebühnen, mit denen das Fahrzeug auf ein anderes Geleise
gestellt oder von
den Schienen herunter genommen sein will.
Wenn ich das so
schreibe und dann nachlese, dann klingt das so wenig freundlich. Dabei
liebe
ich meine Kirche nach wie vor. Ohne sie und ihr Bemühen, uns junge
Theologen
der Bekennenden Kirche aufs Beste bibelkundig zu machen, hätte ich
nie die
Zusammenhänge entdeckt, die mich jetzt in den Zustand versetzt
haben, mein
Dasein im Sonnensystem mit dem Jahwisten und Jesus als Segen für
mich und meine
Mitwelt zu verstehen, auch mit seiner Grenze.
Die Freiheit
eines evg. Pfarrers ist groß. Hermann Diem kam einmal aus Amerika
zurück und
lobte unsere beamtete Stellung als Pfarrer, weil sie uns in der Predigt
unabhängig mache vom Wohlwollen unserer Zuhörer. In Amerika
müsse ein Pfarrer
immer auch darauf bedacht sein, dass sein
Salär direkt aus der Hand
seiner Zuhörer in die Kirchenkasse fließe. Man hat uns auch
an der theologischen
Fakultät Philosophie studieren lassen. Die Geschichte der
Aufklärung gehörte
zur Kirchengeschichte. Warum sind uns da die Augen noch nicht
aufgegangen? Nur
weil unsere Lehrer sie unter dem negativen Vorzeichen von Entgleisungen
behandelten? Warum waren wir uns in der Bekennenden Kirche so sicher,
von der
Wahrheit getragen zu sein? Karl Barth hat seine riesige Dogmatik darauf
gegründet. Schneider hat sich dafür zu Tode prügeln
lassen. Ist das ein
Geheimnis unserer Selbstbestimmung, die entweder immer offen bleiben
will für
neue Erkenntnisse oder sich festlegt bis zum Gehtnichtmehr?
09 - 10 - 96
Hat das auch mit
dem Beruf zu tun? Was wäre geworden, wenn ich schon früher
die ganzen
Zusammenhänge gesehen hätte? Ist es ein Glücksfall, dass ich erst jetzt, im Ruhestand, die ganze
Wahrheit zu Gesicht bekam? Mit der frühen Erkenntnis, in den
Schöpfungsgeschichten den Glauben an die Landnahme Israels als
Liebeswerben
Gottes wieder zu finden, habe ich nie Schwierigkeiten gehabt. In meinem
Gleichnis vom Hochzeitsabend eines jungen Ehepaares fand ich alles, was
ich
über die Liebe Gottes zu sagen hatte.
„Am Abend der
Hochzeit, als alle Gäste gegangen sind und das junge Paar alleine
ist, da wendet
sich der Ehemann in höchster Konzentration seiner jungen Frau zu
und eröffnet
ihr, dass er ihr nun sein
schönstes
und wertvollstes Geschenk für die ganze Ehe machen wolle. In
feierlicher Form
überreicht er ihr einen Schlüssel, den
Haustürschlüssel. Die junge Frau kann
sich keinen Reim darauf machen, was daran so Besonderes sein soll und
nimmt ihn
mit einiger Verwunderung. Im Laufe der Zeit entdeckt sie bei ihren
Gängen in
die Stadt auch noch andere Männer, die ihr schöne Augen
machen. So kommt sie
eines Tages nicht mehr heim. Jahre vergehen. Dann trifft es sich, dass die beiden, sich begegnen - ganz
zufällig..
Sie ist ziemlich heruntergekommen. Das sieht der Mann auf den ersten
Blick.
Dennoch bittet er sie zu einem kurzen Gespräch ins nächste
Cafe. Nach einigen
belanglosen Worten, kommt er zur Sache und fragt sie: „Warum hast Du
mich
verlassen?“ Hatte sie auf diese Frage gewartet? Denn jetzt bricht es
wie Groll
aus ihr heraus: „Du! Du alleine bist schuld daran! Hättest Du mir
den
Haustürschlüssel nicht gegeben und mich vor diesen
Erfahrungen bewahrt, wäre
noch alles gut und schön.“ Traurig sieht der Mann die Frau an.
Dann sagt er:
„Tant pis“, legt Geld auf den Tisch und geht.
Die Geschichte
könnte aber auch ganz anders enden:
Auf seine Frage
schweigt sie zunächst betroffen. Dann aber gesteht sie
zögernd und fast unter
Tränen: Sie habe in der Vergangenheit den Wert des Schlüssels
begriffen und
trage ihn ständig in ihrer Tasche bei sich als Erinnerung an ein
verscherztes
Glück. „Verscherzt“? fragt der Mann. „Komm heim! Du musst dich
erst einmal
umziehen und schön machen!“
13 - 10 - 96
Meine Kräfte lassen merklich nach. Ich habe auch nicht mehr
den
Mut, noch jemand
anzuschreiben. Selbst die Kraft fehlt mir, das „Seriendruckprogramm“
zu
erlernen. Ich frage mich, was der Weisheit Schluss meines Lebens
ist? Mit dem
Jahwisten und mit Jesus statt Gottesdienst, Lebensdienst getrieben zu
haben?. Luther
hat mir nichts mehr zu sagen. Aber sein Wort, dass der
oder das unser Gott sei, auf den oder das wir unser
ganzes
Vertrauen setzen, ist so sicher wie die Sonne, der wir das Leben
verdanken.
Auch er stand mit beiden Füßen auf dieser Erde und
verließ sich darauf. Auch er
träumte von einem Gott und rechnete
doch in Wahrheit mit Sonnenauf- und untergang.
Er nahm sich selbst nicht beim Wort. So konnte sein letztes
Wort
auch nur eine devote Verneigung und Huldigung vor seinem Gott sein:
„Wir sind
Bettler“. Armer Blinder!
Wir sind gewohnt, das Leben als Kampf zu verstehen, nicht als ein wunderbares
Geschenk. Ist das notwendig, dass der
Konkurrenzkampf tragendes Moment unseres Daseins ist? Gewiß,
für Nahrung,
Kleidung und für ein Dach über dem Kopf zu sorgen mag man als
einen ständigen
Kampf ums Dasein verstehen. Aber andererseits findet sich unsereiner
normalerweise
an einem Ort, an dem ihm bereits ein fester Boden unter den
Füßen geschenkt
ist, dazu die Luft zum Atmen und vieles mehr, das er sich selber nicht
mehr
erarbeiten muss. So gesehen, ist er mit seinem „Kampf ums Dasein“
Mitarbeiter
in einem ...
29 - 10 - 96
... größeren,
hilfreichen Zusammenhang. Er kämpft nicht auf verlorenem Posten.
Im Gegenteil ,
denn das Leben ist auf dem Vormarsch. Im Sonnenlicht hat Leben schon
Jahrmillionen hinter sich in
all den Gefährdungen eines explodierenden Weltalls. Natürlich
kann diese Zuverlässigkeit
von heut auf morgen zu Ende sein. Plündern wir unter diesem Aspekt
die Vorräte
unserer Erde? Ich merke erst jetzt, wie schwer es ist, mit einem
umfassenden
und in die Tiefe gehenden Wissen um unser Dasein leben zu müssen.
Auch da endet
mein Nachsinnen bei der Hoffnung, die damit rechnet, dass
die Zuverlässigkeit des Sonnensystems auch
weiterhin noch lange anhalten möge. Immerhin, diese
Zuverlässigkeit trägt uns
und unsere Tätigkeit sogar, wenn sie unserem Lebensgrund
abträglich sein
sollte. Ist uns das bewußt?
Muss uns das bewußt sein? Es
könnte doch
hilfreich sein, zu leben im Willen, dieser Zuverlässigkeit zur
Hand zu gehen.
Es ist also eine Willensentscheidung. Wir haben zu lange in der
Erwartung eines
Heiligen Geistes gelebt. Auch das geht auf das Konto des
„Gottesstaates“.
30 - 10 - 96
Mit unserer Zeitung kam
heute
morgen wieder eine Menge Regenbogen -Reklame. Diese Überschwemmung
auch im
Fernsehen und in der Regenbogenpresse hat doch ihre psychische Ursache
darin,
dass der sogen. Konkurrenzkampf als
etwas Lebensnotwendiges und
Natürliches von unsereer Gesellschaft uns in Fleisch und Blut
geimpft wurde. Natürlich
ist dieser Kampf. Das beweist schon ein Blick auf Wald, Feld und
Wiese
und in
das Tierleben. Die Bibel hat dafür in der Geschichte von Kain und
Abel ein
Exempel statuiert. Sie hat aber auch zugleich die Frage gestellt, ob
dieser
Kampf auch bei Menschen ein Grundgesetz des Zusammenlebens sein
müsse? Die
frühisraelitischen Denker haben dies zu Ende gedacht
und im Konkurrenzdenken den Willen zum Mord aufgedeckt. Natürlich,
im wahrsten
Sinne des Wortes, mag es sein. Aber menschlich?
04 - 11 - 96
Gottesstaat -
Staatskirche - Kirchenstaat - Die Kämpfe zwischen Kaiser und Papst
im Mittelalter um
die Vorherrschaft. Die hierarchische Struktur an den
Universitäten, an den
Banken, in den Schulen und Fabriken und in den Elternhäusern. Der
Herrgott hat
sich vermöge seiner zwei Gesichter, bei den Menschen durchgesetzt.
Wie anders
hätte es sein können, wenn nicht die herrschaftliche Sicht
Gottes das Muster
für das Zusammenleben der Menschen geworden wäre? Also nicht
von Oben nach
Unten, hier Gebende und dort Bittende, sonder bedingungslos Gebende,
wie rechte
Eltern, die ihre Kinder lieben und mit dem Geschenk des Lebens nicht
einer
Bitte des Kindes nachkommen, auch nicht, wenn sie ihr Kind mit ihrem
Wissen ins
Leben einführen. Unsere Kindergärten und Schulen sind im
Grunde die Fortsetzung
des Elternhauses. Da geht es also und die Universitäten
nähern sich dem an.
Aber in der Regel beginnt für unsere Kinder nach der Ausbildung
das
Antichambrieren und das Aussortierenwerden nach Fähigkeit und
Leistung. Hier
hört offenbar der Spaß auf, den Menschen im Geben zu tragen.
Nun muss er selber für sein
Leben sorgen und seinen
Platz in der Gesellschaft suchen, an dem er aus eigener Kraft leben
kann. Wie
wird er das tun im Blick auf den Umgang mit dem Leben überhaupt
und mit Mensch
und Tier ins Besondere?
05 - 11 - 96
Ich bin mit
meinem Philosophieren am Ende. Wozu das alles? Mit wem rede ich
eigentlich in
diesem Tagebuch? Ist das die Folge davon, dass ich
hier mit niemandem über das, was mich so brennend
beschäftigt, reden kann? Ist der Computer mein geduldiger
Zuhörer, bei dem ich
mich ausweinen und vor allem aussprechen kann? Dabei lass ich das
Weinen und die
Depressionen garnicht mal raus, aus Angst, es könne doch zur
Unzeit gelesen
werden. Ich denke oft an Paul Gerhard, der seine schönen Lieder in
Sorge und
Leid gedichtet hat.
Und an meinen
Hund, der mir, um mich nicht zu ängstigen, bis zuletzt verborgen
hat, wie krank
er war.
Gestern habe ich
mich verbiestert als ich mit dem Gottesstaat begann und
schließlich versuchte,
mir vorzustellen wie ein Gemeinwesen wohl aussehen würde, in dem
es kein Oben
und Unten, keine Unterscheidung der Menschen in brauchbare und
unbrauchbare
Menschen gäbe. Worum es mir geht, ist die auffällige
Erscheinung, wie Kirchen
den Staat in ihre Gewalt bringen oder ihn in ihr behalten möchten.
Deutlich im
Islam, aber auch in den christlichen Kirchen. Ich frage nach den
Ursachen. Ist
es der Traum vom Reich Gottes auf Erden, der das so penetrant durch die
jüdisch-christliche Geschichte bis in unsere Zeit getragen hat?
Im Streit um
die Kruzifixe in den Schulen denken die Kirchen, Gott solle mundtot
gemacht
werden und gehen darum auf die Barrikaden. Oft ist aber in den Schulen
nur noch
dieses Stück Holz von Gott da. Ist er nicht in den Herzen der
Lehrer, dann ist
er auch nicht in der Schule. Man hat den Eindruck, das Kruzifix sei zum
Geßlerhut geworden.
|