Otto Wilhelmy

Tagebuch 1c vom 6.5.98 - 12.1.99

06 - 05 - 98

Lange habe ich gebraucht, bis ich den Deuterojesaia richtig einzuordnen vermochte. Ich fand eine Neuerscheinung über ihn, eine Dr.-Arbeit für DM 180,-. Ich kaufte sie und erhielt dafür ein schmales Bändchen mit theologischem Fachchinesisch. Auf meine Fragen bekam ich keine Antwort. Ich musste selber entdecken, dass er im Unterschied zum Jesaia seinen Messias nicht als einen Sproß Davids erwartete, sondern als einen Menschen, in dem sich das „ewige Wort Gottes“ verkörperte und die Person damit schuldlos machte: den Propheten, den „Knecht Jahwes“. Dann musste ich auch noch die Hürde nehmen, diesen Deutero-Jesaia mitsamt seinem Gottesknecht wie alle anderen Propheten im Dienste der Theokratie zu sehen und nicht im Dienste der herrschaftfeindlichen Jahwezeit.
Niemand half mir, als ich schon in den fünfziger Jahren entdeckte, dass die Schöpfungsgeschichten die Botschaft der Landnahme auf die ganze Erde und die Menschheit ausdehnten. Erst als ich meine Studie über den hist.Jesus beendet hatte, griff ich nach v.Rads „Die Weisheit Israels“ und fand mich bestätigt.
Erst im nachhinein entdeckte ich in der Literatur die Belege für die Richtigkeit meiner Erkenntnisse. So bei Albertz, in seiner „Religionsgeschichte des A.T.“, dass die frühisraelitische Religion „herrschaftfeindlich“ gewesen sei. Ich musste es selber herausfinden, dass sie ihre Gottheit „elterlich-väterlich“ verstanden hat und dass dieser Jesus niemals von der „Königsherrschaft Gottes“ geredet haben kann. Erst danach suchte ich im Theologischen Wörterbuch unter "patär" und fand dort die Stelle, an der der Verfasser unter Bauchschmerzen zugeben muss, dass es so war. In einem letzten Aufbäumen gegen diese Erkenntnis, versucht er seinen Patriarchen vor einem „moluskelhaften“ Erweichen zu bewahren   Unter „basilaia theou“ fand ich das Eingeständnis: Es sei nicht sicher, dass Jesus diesen Ausdruck gebraucht habe.
Die Bestätigung meiner Sicht der Dinge war drin in meiner theologischen Bibliothek. Aber ich fand sie nur wie eine Nadel in einem Heuhaufen.
 

07 - 05 - 98

Gegenwärtig vollzieht sich der „Wille zur Macht“ in Gestalt von Zusammenschlüssen großer Konzerne. So heute die Nachricht davon, dass Merzedes sich mit Chrysler in den USA zusammentut. BMW greift nach der engl. Nobelkarosse R.R. (Ich weiß nicht, wie es geschrieben wird.). Ich sehe das Ganze als äußerste Kraftanstrengung der Menschheit - nein, nicht der Menschheit - sondern derer, die Macht haben als Politiker, Banker oder als Industrielle einer drohenden Katastrophe zu entkommen. Oder tun sie im Grunde doch nur das, was David angebahnt hat, als er das „Feindbild“ in die Religion einführte und damit den Konkurrenzkampf zum Lebenselement machte? Ach wie ist das alles so deprimierend, wenn unsereinem die Zusammenhänge deutlich sind. Ganz unwillkürlich denke ich an die Psalmen mit ihren maßlosen Huldigungen: „Der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen. Der dein Leben vom Verderben erlöst und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit! Der deinen Mund fröhlich macht, dass du wieder jung wirst wie ein Adler“!   Sagen wir lieber statt „Huldigung“ Werbung und wir haben den steuerermäßigten Abklatsch im Heute.
 

08 - 05 - 98

Ich frage mich: Sehe ich die Dinge noch richtig? Ist es ein Alterspessimismus, der unter der Regie meiner Sicht der Zusammenhänge mit der biblischen Entgleisung der David-Zeit, Verwandtschaften und Verbindungen herstellt, die niemandem einsichtig gemacht werden können?
Erst gestern ging es mir wieder so. Ich geriet zufällig in eine Sendung, in der eine Kontroverse zwischen einem Kritiker an den Schlagern der Volksmusik und deren Befürwortern behandelt wurde.. Unter den Letzteren Roberto Blanko und seine Frau. Nun muss   ich gestehen, dass auch mir unbehaglich zu Mute ist, wenn ich diese oft gefühlsduseligen, primitiven und frömmelnden Texte und Melodien mir anhören muss. Muss ?
Weil ich ja nicht alleine vor dem Fernseher sitze und auch ein Mensch bin, der sich lieber das anhört als einen bis zur Unkenntlichkeit verschnittenen Spielfilm, in dem die Sprache der Schauspieler jede Rücksicht auf das rein akustische Hören der Zuschauer vermissen lässt . R.B. begegnete seinem Kontrahenten von Anfang an aggressiv, indem er ihn fragte: Wo er denn lebe? So als ob die Welt nur aus Freunden dieser Musik bestünde. Natürlich bekam er damit den Applaus des anwesenden Publikums. In der Tat, die Mehrheit hört diese Musik gerne und ihre Texter, Komponisten und Sänger berauschen sich am Applaus der Massen, gar nicht von ihren Gewinnen zu reden. Aber ich denke dabei an einen Mann, der 1940 bei einem Treffen seiner Abiturientia, vor sie hintrat und gerufen haben soll: „Freunde! Es ist eine Lust in Macht zu waten!“   Mir läuft es immer kalt über den Rücken, wenn ich merke wie diese Freude an der Macht ihre Orgien feiert. Ob es sich um die Vereinigung von Merzedes und Chrysler handelt oder um das überdimensionale neue Konzerthaus in Baden -Baden. Im Grunde - und das ist nun wieder meine Sicht der Dinge - ist dieser immer mehr sich steigernde „Wille zur Macht“ ein Produkt der Theologie der Zeit Davids. In der Misere der Folgezeiten wurde der Lebenswille in Israel mit grandiosen Zukunftserwartungen erhalten und diese Handhabung wurde vom Christentum und dem Islam übernommen. Es ist ihnen ja verheißen, dass sie schließlich die ganze Erde besitzen werden. Die Kirchen sind schon „global“ etabliert. Das Netz der Industrien wächst gerade „global“ und die UNO versucht „global“ Macht zu gewinnen in Konkurrenz zu den USA, die sie mit ihrem Waffenpotential zu haben meinen.
Wenn ich dann mit meinem „Jesus von Nazareth: Der Mensch ohne den Willen zur Macht und ohne Feindbild.“ komme, dann trifft mich die Frage: „Wo leben Sie eigentlich?“ und macht mich stumm und ich denke: Sie sind mit ihren Atombomben, ihren Kirchen und ihrer Volksmusik wie Drogenabhängige, die nicht mehr wissen wollen, wo sie leben.
 

09 - 05 - 98

Heute morgen hörte ich im DLF eine Reportage aus dem „schnellen Brüter“ in Kalkar. Der Berichterstatter ging durch riesige Räume. Seine Schritte hallten, von den Wänden zurückgeworfen. Leer, die Schaltzentrale schon einiger Details beraubt.
Es war ein Hörerlebnis des Endes. Ich dachte an Wackersdorf und sein Ende. Ist der Bach des Lebens nur auf ein Hindernis gestoßen, das er umgehen kann oder überfließen wird und sind wir Menschen eines Tages für andere Wesen auch nur noch so etwas, wie die Dinosaurier für uns? Oder - was ja auch sein könnte - dass das Leben mit uns Menschen seine Kreativität erschöpft hat. Das Aussterben von Pflanzen und Tierarten deutet darauf hin, dass auch der Mensch aussterben könnte.
Oder liegt es jetzt an uns, unsere Zukunft uns zu bewahren, solange diese, aus der Sonne geborene und von ihr beschienene Erde es uns erlaubt?
 

11 - 05 - 98

Gestern abend hörten wir wieder Karoline Reiber mit ihrer „Volksmusik Hitparade“. Der frömmelnde Gipfel war natürlich ein „Ave Maria“. Märsche fuhren den Männern in die Beine. Ich dachte darüber nach, ob gerade diese Welle volksmusikalischer Faszination beweist, dass nicht nur die Intellektuellen wissen „wo sie leben“ sondern auch die vielen, die die Zusammenhänge nicht durchschauen und sich auch nicht die Mühe geben sie durchschauen zu wollen. Gerade weil sie wissen um Hiroschima, Nagasaki und Tschernobyl, weil sie wissen um das Waldsterben und den Smog, weil sie um Arbeitslosigkeit und zunehmender Imunschwäche des Menschen wissen, sind sie dankbar, wenn die Volksmusik hier und Jazz, Rok und Pop da, sie gerade dieses Wissen vergessen zu machen versuchen. Roberto Blanko aber meinte, am Beifall seiner Zuhörer die allgemeine Lebensfreude der Menschen ablesen zu können. Wer weiß nun von uns beiden wirklich „wo wir leben“? War es im „dreißigjährigen Kriege“ doch ähnlich. In allen schwierigen Zeiten waren die verhärmten Menschen für alles dankbar, was ihre Not zu liften vermochte. Ich lese gerade das Buch „Tschernobyl“ von Swetlana Nikolajowitsch. ...
 

12 - 05 - 98

... Sie hat bei den Menschen, die in die verstrahlte Umgebung des Reaktors zurückgekehrt sind oder als flüchtige Russen aus Kasachstan und Kirgisien hier eine neue Heimat gefunden haben, recherchiert und diese Menschen selber zu Wort kommen lassen. Dabei kommt für mich etwas zum Vorschein, was ich überhaupt nicht gewußt habe, dass nämlich in Kasachstan und Kirgisien Krieg herrscht und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt ist. Krieg zwischen zwei verfeindeten kasachischen bez. kirgisischen Gruppen, ähnlich den Vorgängen in Aphgahnistan. Vor allem Russen fliehen von da in ihre Heimat und sind glücklich auf dem verstahlten und verlassenen Land um Tschernobyl eine neue Heimat gefunden zu haben, bereit, hier an der Verstahlung zu sterben als dort von blurünstigen Horden ausgeraubt und getötet zu werden. „Wo leben wir?“
Gestern brachte mir ein Apotheker einige Medikamente. Er beklagte sich ein wenig über die derzeitige hochsommerliche Wärme und die Hitze in seinem schwarzen Auto. Das neue, das er bald bekommen solle, sei mit einer Klimaanlage versehen, die die Außenluft filtere und im Auto ständig für beste und kühle Luft sorge, ähnlich den Hochhäusern mit ihren völligen und luftdichten Verglasungen und ihren Klimaanlagen für die Innenräume. Ist das der Anfang zu einem neuen Leben in klimatisierten Häusern und klimatisierten Atemmasken vor dem Gesicht? Die Kosmonauten machen es schon vor und im Fernsehen sah ich neulich Japaner auf den Straßen Tokios mit Mundschutz durch die Straßen gehen.
Muss das sein? Dort ein Leben in der Verstrahlung und hier ein Leben in der Luftverschmutzung? Muss das sein?
 

14 - 05 - 98

Fortschritt ist der Impuls des Lebens. Er hinterlässt eine deutliche Spur seiner Exkremente. Wie die Nomaden, die nur ernten und dann weiterziehen zur nächsten
Grünfläche, die Sonne Wind und Regen ihnen präsentiert.. Aber es wird eng, wegen der ungehemmten Fruchtbarkeit der Herden. Sie zu unterbinden, wie bei den Tauben des Kölner Doms, hieße die sicherste Quelle der Macht ungenutzt lassen.
Die Folge wird sein, dass die Konfrontation der Massen die Zukunft bestimmen wird.
 

15 - 05 - 98

In Indonesien spielt sich gerade jetzt eine solche Katastrophe ab. Aus dem Aufstand der Studenten ist jetzt ein Aufruhr der Massen geworden. Präsident Suhartos harte Hand führt jetzt nach 30 Jahren seiner Herrschaft zum Tode. Am schlimmsten davon betroffen sind die Chinesen, die in Indonesien als Geschäftsleute eine ähnliche Rolle spielen , wie bei uns die Juden vor Hitler, als wir sie noch als Mitmenschen eigener Art schätzten. Ob bei uns das sich wiederholen könnte? Mir bangt, wenn ich sehe wie sich die Bilder gleichen. 1932 ein Heer von Arbeitslosen und die Konfrontation der extrem Linken mit der kompakt rechten Masse der Deutschen. Im Grunde die gleiche Situation heute. Das Herz unseres Volkes - und nicht nur unseres - schlägt rechts, so weit es sich christlich zu sein versteht, entsprechend der Königsherrschaft Gottes. Darum die Neigung bei allen Schwierigkeiten mit Gesetzen, Verordnungen und Strafverschärfungen zu reagieren anstatt nach der Ursache zu fragen und vorbeugend zu handeln. Die Adenauer-Republik habe ich bei mir gerne „Haselnuß Republik“ genannt; nach dem Liede „Schwarzbraun ist die Haselnuß“. Auch heute wieder dies Feindbild von den Roten und der Wunsch, die radikal Rechten zu sich ziehen zu können. Wird es einen neuen Rattenfänger geben? In Österreich haben sie einen Jörg Heider. Oder wird eines Tages das „christliche“ Deutschland in Panik ob des Machtverlustes, sich der Bundeswehr bedienen zum Machterhalt?
 

16 - 05 - 98

Jedenfalls eine gefestigte, den Wert und die Methodik einer Demokratie im Herzen tragende sind wir noch nicht. Schwarz, Braun, Rot sind übrigens Geschwister wegen des „Willens zur Macht“ nach der gleichen Methode, geboren von der gleichen Mutter, der Sehnsucht nach Macht versprechenden Normen: Schwarz im Religiösen einem Herrgott dienend, Braun im Nationalen der Rasse, dem Blut und dem Boden dienend und Rot der ganzen Menschheit zu gute. Aber alle sind zur Not gewillt, mit „Zuckerbrot und Peitsche“ den Menschen ihre Selbstbestimmung zu Gunsten dieser Normen abzukaufen und damit statt echter, Mitverantwortung tragende Freunde, nur Sklaven zu gewinnen. Der Kritische Punkt ist der, an dem die Geduld zu Ende ist und man meint, Warnungen und guten Ratschlägen durch Gesetze, Drohungen und Strafen einerseits und mit großen Versprechungen andererseits nachhelfen zu müssen. Wehe denen, die in Menschen den Verdacht wecken, dass sie zu etwas gezwungen, oder für dumm verkauft werden. Dafür hat der Mensch das feinste natürliche Empfinden und die erste Erfahrung dieser Art, seine Selbstbestimmung ihm abzukaufen, versteht er als allgemeine Spielregel und macht sie sich zu eigen.
 

24 - 05 - 98

Die Morgenandacht von HR 3 war heute bestimmt von der Erinnerung an die erste Versammlung in der Paulskirche in Frankfurt 1848. Die kath.Kirchengemeinde hatte sich damals gegen den Gebrauch ihres Domes für diesen Zweck gesperrt. Ihre Kirche sei ein geweihter Raum und für so weltliche politische Zwecke nicht zu haben. Der Kirchenvorstand der luth. Gemeinde habe mit Freuden zugestimmt und damit schon damals zu erkennen gegeben, dass das Königtum von Gottes Gnaden ein Auslaufmodell werde. Damit kam der Sprecher des Senders meiner Erkenntnis schon sehr nahe, so dass ich nun auch noch diese Auffassung der Monarchie als Produkt des Gottesstaatsgedankens Davids verbuchen kann.
 

25 - 05 - 98

Immer mehr drängt sich mir der Gedanke auf, dass ich nach allem, was ich geschrieben habe, nun auch noch über die Umerziehung des Menschen nachdenken muss .
Erziehung „ohne den Willen zur Macht“ und „ohne Feindbild“. Weiter oben habe ich schon von der Bedeutung des ersten Schreies eines Kindes geschrieben. Vielleicht darf es bei dem Kinde erst gar nicht dazu kommen, dass es bemerkt, mit seinem Geschrei ein Machtmittel über die Eltern zu besitzen. Das ist aber nur zu bewerkstelligen, wenn sich die Eltern von Anfang an an eine feste Ordnung im Umgang mit dem Kinde binden, so dass es sich in diese Ordnung hineinlebt. Ich bin kein Fachmann. Deshalb frage ich zögernd, ob am Anfang auf ein Geschrei, dessen Ursache nicht sofort erkannt wird auch eine Verweigerung notwendig ist, so dass das Kind schon früh die Zwecklosigkeit seines Geschreis erfährt? Das da bei bei dem Kinde entstehende Feindbild von den Eltern wird leicht wieder gelöscht, wenn die
Ordnung die Liebe der Eltern wieder herstellt. Wenn ich mich recht erinnere, so haben unsere Vorfahren in dieser Beziehung bedenkenloser als ich, ihre Kinder entwöhnt und sogar behauptet, das stärke ihre Lungen.
 

05 -06 - 98

Heute ist Freitag. Anfang der Woche entgleiste bei Eschede in der Lüneburger Heide ein ICE mit 200 kmh und prallte auf eine Brücke. 95 Tote. Zufällig kenne ich den Ort. 1932, in der Oberstufe des Gymnasiums verbrachte ich meine Ferien fast immer in Barnstorf, meinem Geburtsort. Für die An - und Abreise bediente ich mich einer Transportfirma, die regelmäßig aus dem Ruhrgebiet Metallwaren in den Raum Bremen transportierte und umgekehrt Tabakwaren der Firma Brinkmann ins Ruhrgebiet. Ihre Fahrer kamen auf dem Rückweg immer durch Barnstorf und machten dort bei einem Gastwirt Halt, bei dem sie zu jeder Tages- und Nachtzeit ein gutes Essen bekamen. Ich hatte mich für die Hinfahrt zu ihnen gesellt. Wir hatten wieder einmal überladen und schon im Raum Herford am Hänger einen Reifen wechseln müssen. Als dann zwischen Celle und Ültzen der zweite Reifen ausfiel, standen wir in der Heide bei Eschede den Rest des Tages, eine Nacht und den folgenden Tag, bis der neue Reifen per Expreß in Celle ankam und wir weiterfahren konnten.
So mussten wir an einem Sonntag unsere Ladung in Ültzen löschen. Von da ging es in der Nacht nach Bremen, wo die Tabakwaren schon bereitgestellt waren. Erst dann auf der Rückreise kam ich noch bei Nacht in Barnstorf an mit unvergeßlichen Erfahrungen wie sich zeigt. Und nun dies Unglück und noch dazu auch ein Radreifen allerdings anderer Art.
Warum diese Geschwindigkeiten? Man sagt: Der Konkurrenzkampf mit dem Flugzeug mache es nötig. Es ist, als ob unser Leben von Natur aus ein Kampf ums Überleben sei. Dabei weiß jeder, dass uns nur ein Stückchen Leben gegeben ist, das große Leben aber, das, das die Sonne allenthalben gewährt, ist kein Kampf und schon gar kein Konkurrenzkampf. Aber was ist es dann? Ich kann es nicht besser ausdrücken als mit den Worten: Ein gigantisches Etwas, das da zu sein vermag, wo nichts ist. Ich bin mir bewußt, damit etwas in Sprache umsetzen zu wollen, für das es noch keine Ausdrucksform gibt. Aber es lässt   sich nachweisen. Zwischen Licht und Finsternis besteht der entscheidende Unterschied, dass Licht eine Kraft ist und Finsternis die bare Ohnmacht; denn sie kann das Licht nicht beseitigen oder hindern ...
 

06 - 06 - 98

... und kann nur da hin, wo das Licht nicht ist. Sie lauert tagsüber hinter jedem Heizkörper im Zimmer. Aber hervorkommen kann sie erst, wenn das Licht gegangen ist.
Licht und Leben haben das gemeinsam. Unter dieser Voraussetzung muss die Frage nach dem Sinn des Lebens noch einmal gestellt werden, auch im Blick auf die Eile mit der wir meinen, unser Leben mit Erlebtem füllen zu müssen. Unser Leben als ein Stück dieser gigantischen Macht verstehen, sollte uns doch gelassener machen und uns davor bewahren, „es für einen Raub zu halten“ ( Phil. 2)., den es eiligst zu nutzen gelte, ehe er uns streitig gemacht wird. Es ist ein Geschenk, ob es nun von der Sonne oder von Gott kommt. Dieses „aus Gnade“ der Bibel erst macht es uns streitig und zwingt uns zu der Eile, die gleich einer Kernspaltung die Menschheit erfaßt hat und kaum zu bremsen ist.
 

07 - 06 - 98

Trinitatis. Wir waren im Gottesdienst. Als ich die wenigen Gottesdienstbesucher sah und die vielen leeren Bänke ,dachte ich un willkürlich an unseren Ilex vor unserem Haus. Groß und breit wie ein Tannenbaum, aber nur noch an den Enden seiner Zweige mit grünen Blättern geschmückt, sonst aber kahl und krank von der Minierfliege. Der Text aus dem Römerbrief : „ Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte......“. Zu Beginn des Gottesdienstes wurde angekündigt, dass von nun an, wie überall schon im Land ein Mtglied des Kirchengemeinderates die Lesung des Evangeliums innerhalb der Lithurgie übernehmen solle. Ich wußte aus eigener Erfahrung mit meinen Presbytern in Leverkusen, was das für die Betroffenen an Selbstüberwindung bedeutete. Wir waren in Leverkusen aus zeitlichen und praktischen Gründen gezwungen, die beiden Gottesdienste meiner Gemeinde zeitlich so ineinander zu verkeilen, dass immer nur ein Pfarrer beide Gottesdienste zwischen 9 und 11 Uhr halten konnte. Darum übernahmen die Presbyter im Falle des späteren Gottesdienstes (10 - 11) die ganze Eingangslithurgie, so dass der Pfarrer des anderen Gottesdienstes eine ¼ Stunde später eintreffen konnte und nur die Predigt hielt. Das war notwendig. Aber ...
 

08 - 06 - 98

... was dann in der ganzen evangelischen Kirche der Bundesrepublik üblich wurde, die Presbyter an der Lesung der Liturgie zu beteiligen, war nicht notwendig, sondern entsprang der Erinnerung an das „allgemeine Priestertum aller Gläubigen“. In Fortsetzung der Reformation hatte der Pfarrer mit seiner Predigt eine Führungsaufgabe, die die Gemeinde durch die Predigt über den Heiligen Geist im Alltag tätig machen sollte. In Predigt, Unterricht und Seelsorge war der akademisch gebildete Theologe gefordert. Nur der war mündig, diese Arbeit zu tun. So wurde der Pfarrer so etwas, wie die Lokomotive der Gemeinde, die sie wie einen Zug hinter sich her zog. Das will man heute ändern und die Gemeinde mündig machen, die Botschaft des Evangeliums auch ohne Studium zur eigenen Sprache zu bringen, indem man sie zwingt, ihre Sache selber in den Mund zu nehmen. Ohne Studium?   Die biblische Sprache ist eine Fremdsprache ( Lateinisch in der kath. Kirche ) in einer Welt, in der die Natur, die Gegenstände und die Ereignisse ständig ihre ewige Sprache mit dem Menschen sprechen. Einer der diese Fremdsprache nicht studiert hat, vermag sie nur nachzusprechen, wenn sie ihm vorgesprochen wird, nicht aber in ihr reflektierend zu denken. Darum die Gebote, Glaubensbekenntnisse, Lieder und Katechismen, alles vorgefertigtes kirchliches Gedanken- und Sprachgut. Darum die ständige Wiederholung von auswendig gelernten Bibelstellen. Darum dann auch das Netz religiöser Beanspruchung von der Geburt bis zum Tode. Im Unterschied dazu sind z.B.Tag und Nacht verläßliche, mit uns gleichzeitige Gegebenheiten unseres Lebens. Sie belasten unser Gedächtnis nicht, so wenig wie Frühling , Sommer, Herbst und Winter, wie Hunger und Durst , wie das Wissen darum, dass jeder am besten fährt, wenn er „sich in die Haut seines Nächsten versetzt“. Da zu bedarf es jeweilig keines Glockengeläutes um sich in Erinnerung zu bringen, keiner Sonn- und Feiertage. Die Hemmschwelle die die armen Gemeinderatsmitglieder überwinden müssen, wenn sie dort vorne stehen, ist der Zwang in eine Rolle steigen zu müssen, der sie nicht gewachsen sind; selbst dann nicht, wenn sie auch nur etwas vorlesen sollen. Verlangte das Lernen im kirchlichen Unterricht, nur eine Fremdsprache nachsprechen zu können, so sollen sie nun auch noch allmählich an die Stelle des Pfarrers treten können.
 

09 - 06 - 98

Machen wir so eine Gemeinde mündig? In diesem Zusammenhang ist mir auch klar geworden, dass die Urchristenheit ihre Schwierigkeiten hatte mit diesem neuen Glauben, und darum unseren freien Gemeinden ähnelte, die ihre Gemeindeglieder in den Vollzug des Gottesdienstes einbeziehen, indem sie die Zuhörer ermutigen mit artikulierten und unartikulierten Stimmen die Gegenwart des Heiligen Geistes kund zu tun. Die neue Sicht der Dinge war ja nicht so selbstverständlich weiter zu geben, wie ein alltägliches Palaver. Mit den Evangelien wurde das anders. Nun konnte man Geschichten erzählen und das konnte auch in der Regel der Ungeschulte.
 

12 - 06 - 98

 Ich las unlängst, dass die orthodoxen Kirchen im ökumenischen Rat unzufrieden sind und erwägen ihn zu verlassen. Heute lese ich von der georgischen Kirche, dass sie diesen Schritt vollzogen hat. Sie sei verärgert darüber, dass sie noch immer für Katholiken und Protestanten als Missionsgebiet angesehen werde. Eine Denomination stiehlt der anderen die Gläubigen. So fischen die Gemeinschaften schon immer in den Gewässern der Kirche und nicht in gottlosem Wasser. Hat die Mission noch eine Aufgabe, wenn die drei Religionen biblischen Ursprungs fast die ganze Erde unter sich aufteilen? In den USA sind sie schön vermengt bei einander und einig im Willen zur Macht über die ganze Menschheit. Über die USA haben jetzt schon Christentum und Judentum diese Macht. Nur der Islam bildet einen eigenen Machtkomplex , der seinerseits die Oberhand zu gewinnen sucht, und der verbliebene Kommunismus. Was macht die Menschen im Glauben an den einen Gott in ihrer Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden so uneins? Das ist doch inkonsequent.
 

14 - 06 - 98

Der Gottesdienst in unserer Kirche befaßte sich mit der Liebe. „Er hat uns zuerst geliebet“ nach 1. Joh. 4,19. Mein Gedächtnis verzeichnet nur eins von den neuen Liedern und am Schluß: „Ich bete an die Macht der Liebe“. Er sprach über die Liebe wie? Ja wie? Als ob das, was mit dem Wort „Liebe“ gemeinmt ist, so Allgemeingut sei wie die Deutsche Mark.
 

15 - 06 - 98

Ist Licht eine Kraft, die sich nach Belieben ausbreitet im Dunkel der Welt und ist Leben ein Produkt dieses Lichtes, das mit ihm diese Kraft teilt, dann ist Wissen eine Fähigkeit dieser Kraft. Dieser Rückhalt macht es so stark. Ist aber die Dunkelheit nur das, was bleibt , wo Licht und Leben und Wissen nicht sind, wir sagen dazu das Nichts. Dann ist Glaube nihilistisch und muss   notgedrungen seine Kraft in sich selber suchen und sich selber autorisieren, notfalls sich selber opfern. Das macht ihn so aggressiv.
 

16- 06 - 98

Man könnte weiter folgern: Ins Licht gehören die Wahrheit und die Liebe, dagegen die Lüge und die Herrschaft ins nihilistisch Dunkele. Liebe: „Wie die Blumen sich entfalten, wenn sie der Sonne stille halten.“
Unter dem Eindruck meiner Lebenserfahrung frage ich mich, kann das Zusammenleben der Menschen auf gewaltsame Eingriffe oder verlockende Versprechungen im Umgang mit der Selbstbestimmung des Menschen verzichten? Geht es ohne diese Manipulation? Wenn ich es nicht leiden kann von meinen Mitmenschen zu etwas gezwungen zu werden, was mir gegen den Strich geht, dann gilt das doch auch umgekehrt, dass der andere Mensch auch nicht von mir zu etwas gezwungen sein will, was ihm gegen den Strich geht. Wenn ich nicht verführt sein will, dann der andere Mensch doch auch nicht. Für Erwachsene mag das gelten. Ist es bei Kindern anders? Muss da eingegriffen werden mit „Zuckerbrot oder Peitsche“, wenn eine Katastrophe vermieden werden soll? „Bist du nicht willig so brauche ich Gewalt!“ oder Lockmittel. Dass ein Lockmittel auch eine Form ist, die Selbstbestimmung eines Menschen aus ihrer Richtung zu holen, ...
 

19 - 06 - 98

... ist offenbar allgemein bekannt, sonst hätte sich die Redensart von „Zuckerbrot und Peitsche“ nicht so geläufig einbürgern können. Nun zu der Frage, ob es bei Kindern anders sei? So weit ich sehe ist das durchgängig die Erziehungsweisheit unserer biblischen Kultur. So lernen schon die Kinder von den Eltern den „Willen zur Macht“ und indirekt damit Feindschaft, wo immer sie sich der Selbstbestimmung ihres Kindes in den Weg stellen und sie ihm so oder so abzukaufen versuchen.
Das Zuckerbrot ist die Gewalt in der Maske der Liebe.
Aber nun zu etwas ganz anderem. Das Neue Testament hat sich das ganze Alte Testament uneingeschränkt zu eigen gemacht. Es behauptet , dieser Jesus Christus sei der von „Gesetz und Propheten“ erwartete Messias. Warum haben die Juden das nicht akzeptiert? Der hist. Jesus muss demnach dann doch wohl offensichtlich nicht mit dem „Gesetzt und den Propheten“ in Einklang gestanden haben.
Er muss im Gegenteil diese aufs bitterste bekämpft und in den Augen der Juden zu Recht ein Gotteslästerer gewesen sein. Dort Christus, hie Gotteslästerer! Wer sagt da die Wahrheit? Man müßte herausfinden , was die Ursache für diese geradezu unüberbrückbare Einschätzung Jesu von Christen und Juden war. Was hat diesen Jesus bei seinen Jüngern zum Christus gemacht.? War es wirklich Jesaia 53? Markus, Matth., Lukas und Johannes berufen sich im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer auf Jes.40, dem Anfang des Deuterojesaia mit seinen Knecht-JHWH-Liedern.
 

20 - 06 - 98

 Ohne Zweifel Jes. spielt dabei eine Schlüsselrolle. Ein Prophet hat also diesen Jesus zum Christus gemacht. Theokratisches Denken hat ihn so eingefangen. Da der Lebende offensichtlich lieber starb als sich dem zu beugen, konnte man nur den Toten dazu zwingen. Das Christentum ist im Grunde die Fortsetzung der Theokratie Israels mit einem Messias.
 

22 - 06 - 98

25 - 06 - 98

Nationales Denken und konfessionelles Denken sind Geschwister. In beiden ist das die jeweiligen Anhänger Verbindende eine Antwort auf die Frage: Wer ist mein Nächster? Darum finden sich in den zur Zeit zahlreichen Konflikten zwischen den Völkern, die aus Sorge um ihr Überleben nach Selbständigkeit streben, fast immer Nationales und Konfessionelles bei einander.
 

29 - 06 - 98

Je länger ich über die theologischen und historischen Probleme der Bibel nachdenke, um so deutlicher wird mir, wie das Unbehagen dieses Jesus an der Theokratie Davids dann auch bei Paulus entsprechend zu Worte kommt, in seinem „ohne des Gesetzes Werk“ und später dann auch bei Luther. Beide setzen sich damit in Gegensatz zu der herrschenden Amtskirche. Sie verfehlen aber wie seine Jünger die Erkenntnis dieses Jesus, dass  auch die Propheten ausnahmslos im Dienste dieser Theokratie stehen. Jesus hat „das Gesetz und die Propheten“ abgelehnt.
 

30 - 06 - 98

Dieses Unbehagen Jesu an der Theokratie hat seither als Unbehagen an der jeweiligen Amtskirche ihre Geschichte begleitet. Paulus, Luther, Hölderlin, Kierkegaard, Dostojewski u. v. a. Selbst das Judentum ist davon nicht verschont geblieben. So hat Martin Buber es für besser gehalten die herrschaftliche Härte der „Gesetze“ in seiner Übersetzung des A.T.s in „Weisungen“ zu mildern. Offenbar nicht bedenkend, dass er damit etwas tat, ohne die Zustimmung seines HERRN, dessen Gnade erst nach der Katastrophe zur Hand sein will. D.h.: Wenn die Gesetze nur Weisungen wären, bliebe es dem Menschen überlassen, sie zu befolgen oder sie nicht zu befolgen, eine eventuelle Katastrophe läge in seiner eigenen Verantwortung. Gesetze aber verlangen Gehorsam weil die Verantwortlichkeit beim Gesetzgeber liegt, und im Falle einer Katastrophe auch er die Verantwortung zu tragen hat.
 

01 - 06 - 98

Anders als so kann ich mir den penetranten Widerstand des Papstes gegen die Abtreibung und die Geburtenregelung nicht erklären, angesichts der Übervölkerung dieser Erde. Für eine daraus resultierende Katastrophe ist der Herrgott verantwortlich mit seinem: „Du sollst nicht töten!“ Nicht er, der Papst.
 

02 - 07 - 98

Was meinte die Dialektische Theologie mit der „Theologischen Existenz“ des Menschen? Sie beruft sich dabei auf Kierkegaard und meint wie er, diesen schwer zu erfassenden Vorgang, den Jeremia beschreibt als das von Gott selber in „unser Herz geschriebene Gesetz“. Im Zeitalter des Computers legt es sich nahe von der Programmierung des Menschen im Sinne des Willens Gottes zu reden. Schon die Schöpfungsgeschichte legt dieses offensichtliche Manko dem Schöpfer zur Last.
Die Religionen biblischen Ursprungs haben dieses Manko zu beseitigen versucht, indem sie ihre Menschen von der Geburt an in ein engmaschiges Netzwerk biblischen Gedankengutes und Gottesdienstes zwangen. Der Gipfel dieser Theologischen Existenz war und ist das Mönchtum, in dem das ganze Leben als Gottesdienst gedacht ist. Seitens der evangelischen Kirche fand dieser Versuch in neuerer Zeit in der Bekennenden Kirche ihre Freunde. Bonhoeffer übte in seinem Predigerseminar mit den Seminaristen die Meditation über biblischen Texten. Das Wort Gottes sollte so Eingang finden in das Herz des Menschen. Ich weiß das, weil ich mich selber auch darin versucht habe und Erfolg hatte. Aus meiner heutigen Sicht war diese Übung auch nur ein intensiveres Bemühen sich den Glauben der Kirche anzueignen und dem Heiligen Geist besser Gelegenheit zu geben, sein verborgenes Wirken in mir zu tun.
Der theologischen Existenz stellten die Nazis ihre nationalsozialistsche entgegen und der Kommunismus seine kommunistische. Es ging um den Totalitätsanspruch auf den ganzen Menschen, wie ihn die Bibel in der Lehre von dem einzigen Gott, der die ganze Liebe seiner Geschöpfe verlangt, vorbildlich konzipiert hat.
 

20 - 07 - 98

In der Zwischenzeit habe ich mich in meine neue Festplatte eingearbeitet. Sie ist nur wenig anders als die erste.
Aber an meinem Essay habe ich eine Reihe von Verbesserungen eingefügt. Es kommen mir immer wieder neue Zusammenhänge. So war ich nahe daran, die Überschrift zu ändern und zu schreiben: „Jesus von Nazareth: Der Mensch mit dem Heiligen Geist, ohne den Willen zur Macht und ohne Feindbild“. Aber dann wurde mir klar, dass der Heilige Geist im Zusammenhang mit den Schöpfungsgeschichten noch keine Rolle spielte. Er ist erst ein Erfordernis der Theokratie. Seine Aufgabe ist, die Orthodoxie vom Gottesstaat in den Köpfen Israels zu installieren, und so ein vermeintliches Defizit bei der Schöpfung zu beseitigen. Aber geändert habe ich die Überschrift dann doch: „Jes.v. N.: Der erste Mensch ohne den Willen zur Macht und ohne Feindbild".
Über dies ist es zu einem Briefwechsel zwischen mir und unserem Dekan gekommen. Er hatte mir zu meinem Geburtstag ein Buch geschenkt, das ich ähnlich wie im Vorjahr „Der Narr in Christo“ von Gerhard Hauptmann als eine Anspielung auf mein Nachdenken über den hist.Jesus verstehe. Der Titel: „Lama Ana arika Govinda“ von Ken Winkler. In meinem Dankesschreiben erinnerte ich ihn daran, dass er mir vor einigen Jahren versprochen hatte, sich mit mir und meiner Sicht der Dinge zu unterhalten. Die Antworten darauf sind auch nur dogmatische, auf allen Kanzeln zu hörende Argumente, unberührt von meinen Nachweisen bleibt er bei diesem Gemengsel aus Vatergott und Herrgott.
Es ist doch eine Kröte, von einem guten Vater zu denken, er wolle seine Kinder auf ihre Ehrlichkeit testen. Ich hätte ihn am liebsten gefragt, ob er bei seinen Töchtern absichtlich Geld offen habe liegen lassen, um sie in ihrer Ehrlichkeit zu erproben? 
Wenn es um den Herrgott geht, schlucken seine Gläubigen auch die dicksten Kröten.
Eine der dicksten liefert der Jak. Brief : „Achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet.!“ Und dann wird aufgeführt, welche Früchte solch ein Verhalten bringt.
 

21 - 07 - 98

Anfechtungen? Es geht um ein Fechten. Gott verhält sich uns gegenüber als Feind, mit der Absicht, uns dadurch widerstandsfähiger zu machen. Es ist also ein Lernprozeß, in den der Mensch, der angefochten ist, gerät. Aber was soll er da lernen? dass Gott sein Feind ist, doch wohl nicht.? Dann kann nur gemeint sein, dass der Betroffene hinter dem Feindbild von seinem Gott, das er jetzt gerade haben muss , die gute, erzieherische Absicht eines Vaters sehen soll, ihn auch mit dieser Erfahrung vertraut zu machen. Also doch: Die Prügel als Liebkosung. „Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er“. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen! Der Name des Herrn sei gelobt!“ „Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten, das man hat muss scheiden!“ O wei! O wei! Wohin sind wir geraten, wenn schwarz als weiß und Brutalität für Liebe gehandelt wird. Sieger bleibt immer der HERR und der Mensch ist immer der Unterlegene.
 

28 - 07 - 98

In den vergangenen Tagen beherrschte ein Briefwechsel mit unserem Dekan meine Tätigkeit um den hist. Jesus. Aus seinen Antworten sprach seine theologische Existenz : Die Kombination von Herrscher und Vater in seiner Gottheit. dass hier ein gefährliches Gift in unser Denken geraten ist, vermag er nicht zu verstehen. Der Herrgott muss der deus absconditus bleiben. Seine Verborgenheit macht ihn erst zur Gottheit. Ich kenne diese ungesicherte Sicherheit aus langjähriger Erfahrung. Wie kommt man durch diese Wand einer Gottheit aus Thesen, Antithesen und Synthesen, die „Alles in Allem“ ist, die immer schon da ist, wo wir hinkommen, die sich auch keinen noch so gründlichen und sicheren Beweisen beugt? Was sind das für Menschen, die sich ihm verschrieben haben? Ist das des Pudels Kern, dass er vom Menschen auf den Thron gesetzt, nun auch vom Menschen in dieser Position gehalten werden muss ? Ich erkenne mich selber darin nicht wieder, obwohl ich doch lange genug auch einer von diesen Menschen war. Wie konnte das zugehen, dass diese, meine theologische Existenz zerbrach? Sie zerbrach, als ich erkannte, dass es auch in der Bibel ein Denken der natürlichen Existenz gab, als ich erkannte, dass so mancher Erzähler seine Weisheit eindeutig nicht Offenbarungen, sondern dem Leben selber ablas. Damit begann eine Zeit in meiner Predigtarbeit, in der ich hin und her-gerissen den Spagat versuchte einen Kompromiß zwischen Glauben und Wirklichkeit zu finden. Ich unterrichtete zum Beispiel meine Konfirmanden beim Umgang mit den Schöpfungsgeschichten darüber, wie die damaligen Erzähler schon das Licht als Ursprung allen Lebens erkannt hatten, sagte ihnen, diese Erzähler hätten damals noch nicht gewußt, dass dieses Licht alleine von der Sonne her käme. Für sie gab es ja Licht auch ohne Sonne. Ich erzählte ihnen auch vom Urknall, der neusten Sicht der Dinge. Es war mir überhaupt ein Vergnügen den jungen Menschen die Tendenzen der Erzähler zu zeigen. z.B. Die Unterschiede in den Weihnachtsgeschichten. Wie Matthäus seinen Jesus von Bethlehem nach Nazareth bringen muss. Während Lukas seinen Jesus von Nazareth nach Bethlehem bringt. Und das alles, um dem gerecht zu werden, dass dieser Jesus als der Jesus von „Nazareth“ nach Weisung des A.T.s in Bethlehem geboren werden musste. Auch in meinen Predigten habe ich nie von „dem Jesus“, dem hist. Jesus gesprochen, sondern immer deutlich gemacht, dass es der Jesus in der Darstellung des Erzählers Matth. Lukas oder Johannes sei.
Ich habe die Erzähler interpretiert, ihr Denken und ihre Absicht waren mir wichtiger als alle dogmatischen Gatter. Das war nicht Absicht, mir nicht einmal bewußt, sondern ein innerer Zwang, dem Text zu gehorchen, wo es für jedermann einsichtig war und ihm nicht zu gehorchen, wenn er den Boden des Erfahrbaren und allen Menschen Zugänglichen verließ. So habe ich die Pfingstgeschichte ihres Sprachenwunders beraubt, in dem ich der Gemeinde zeigte, wie Lukas etwa um 70 n. Chr. bereits um das ganze Mittelländische Meer herum christ. Gemeinden wußte. Wie sollte die Botschaft da hin gekommen sein? Ganz einfach, wenn jemand aus diesen Gemeinden bei der Pfingstpredigt des Petrus dabei gewesen war. Darum zählt er die Völker ums Mittelmeer alle auf und versammelt sie unter der Predigt des Petrus.
In der Weise habe ich die ganze Bibel als ein Produkt ihrer Erzähler oder Verfasser gelesen und dabei kein schlechtes Gewissen gehabt.
 

29 - 07 - 98

Gestern abend habe ich mir aus meiner Predigtsammlung eine Kasette angehört. 1964 1. Kor. 6,9 - 20.. Ein typisches Beispiel, dem Paulus abgelauscht. Der setzt auch gleich von Anfang an mit dem Lob Gottes ein, der „uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesus von denToten.“ Damit setzt er an die Spitze seines Briefes diesen Trost und geht erst dann zu den anderen, weniger erfreulichen Anliegen seines Briefes über. Ganz nach dem Muster des 90. Psalms. Auch er beginnt mit : „Herr, Gott! Du bist unsere Zuflucht für und für“. Dann erst steigt er in die Abgründe unseres menschlichen Lebens.
 

30 - 07 - 98

Offensichtlich ein Trick.? Oder der typische Vorgang einer Huldigung? Erst der Kotau vor dem Herrscher und dann die Selbsterniedrigung des Untertan.

21 - 08 - 98

Das große Loch in meinen Eintragungen entstand durch den Briefwechsel mit unserem hiesigen Dekan. Ich habe den Briefwechsel abgebrochen, weil der Kollege in seiner theologischen Existenz und noch dazu als Pfarrer, mit dem Rücken an der Wand, nur noch „standhaft“ sein kann, wenn er nicht sich selbst, seiner Kirche und seinem Gott untreu werden will. „Standhaft“ - ich wähle dieses Wort, weil es die Not der Fundamentalisten aufdeckt, an der Stelle ihres Gottes handeln zu müssen.
Sie müssen einerseits seine Macht auf dieser Erde, wo sie schon vorhanden ist, erhalten und erweitern, und da, je nach Notwendigkeit seine Gnade, Güte und Barmherzigkeit oder auch seine Strenge und seinen Zorn seinen Menschen gegenüber ausüben. - Die kath.Kirche hat das begriffen, entsprechend dem jüdischen Tempelgottesdienst -. Andererseits müssen sie da, wo diese Macht über die Menschen verloren zu gehen droht, als die „Standhaften“ sie wieder zurückerobern. Sie stehen und handeln für ihren Gott. Wo sie fallen, fällt ihr Gott. - Was ist da in der evg. Kirche anders? In den Sakramenten handelt auch der evg. Pfarrer als Mensch an Stelle Gottes. Die Predigt ist keine Handhabe, sondern der Versuch, die Stimme Gottes in Menschenmund zu Gehör kommen zu lassen.
 

22 - 08 - 98

 Ein „Sprachereignis“! Wo ist da die Handhabe der Stellvertretung Gottes durch Menschen? Landnahme und Königszeit Davids und Salomos waren für Israel hist. göttliche Geschehnisse, deren Sprache die Menschen im „Höre Israel“ als Liebeswerben JHWHs deuteten. Dieses menschliche Deuten wird von den Propheten als real gesprochenes Wort JHWHs verstanden, so dass sie nun auch ihrerseits meinten ihren zum ADON beförderten JHWH, zum Reden bringen zu dürfen und zu müssen. So reden sie an ihres Gottes Statt. Hier hat die christl. - evg. Predigt ihre Wurzeln.
 Für Israel stellt sich der Zusammenhang noch ein wenig anders her. Die stellvertretende Handhabe Gottes durch den Menschen im Umgang mit den Menschen vollzog sich durch die Priester im Tempel-Gottesdienst in Gestalt der Opfer, Riten und des Hersagens oder Absingens der vorgefertigten Huldigungen. Als dann aber der Tempelgottesdienst ihnen verwehrt wurde und verwehrt blieb bis heute, fand der israelitische Gottesdienst ein Unterkommen in den Synagogen, das aber den Tempelgottesdienst nicht ersetzen kann. Hier liegt das Schwergewicht des Gottesdienstes bei den Thorarollen und ihr Erinnern an das „Gesetz“ Gottes. und der Sehnsucht nach Heimkehr in das „gelobte Land“. Auch hier ein Sprachgeschehen.
 

24 - 08 - 98

Der Briefwechsel mit unserem Dekan hat mir erneut bewußt gemacht, wie schwer es ist, durch den religiösen Panzer eines Menschen in das dahinter liegende, natürliche. auf Erfahrung und Wissen beruhende Denken des Menschen zu stoßen. Er meint, meine Gegenüberstellung von Liebe und Herrschaft sei „Wunschdenken“. dass die frühisraelitische Gottessicht „herrschaftfeindlich“ ist, hat er garnicht zur Kenntnis genommen. Auch meine Belege dafür, dass dieser Jesus die Bezeichnungen „König“, „Richter“ und „Herr“ für seinen Gott nicht gebraucht hat, lassen ihn kalt. Da steht unsereiner „machtlos schräg gegenüber“. An   ähnliche Vorgänge Jesu in seinem Leben mag ich nur ungern erinnern, um nicht anmaßend zu erscheinen. Auch das Unbehagen seiner Familie an ihm ist mir nicht fremd. Den Meinen, mit der Bibel im pietistischen Freundeskreis aufgewachsen und mit Bibeltexten und Liedversen   vollgepfroft , einem Pfarrer gleich, bin ich mit meinen Bibelzitaten ein lästiger Zeitgenosse. Sie verlieren ihre Geduld mit mir, wenn ich darauf aufmerksam mache, wie ihre Zitate völlig neben ihrem Leben liegen weil sie nicht gelebtes Wissen sind. . Wie tief diese Erkenntnis mich trifft, vermag ich diesem Tagebuch nicht anzuvertrauen.
 

26 - 08 - 98

Peter Scholl Latours „Lügen im Heiligen Land“ war in den letzten Wochen meine Lektüre. So war ich existenziell ins gegenwärtige Weltgeschehen verstrickt: Über dieses Buch und mit meinem Essay. Wie ertrage ich es, in dieser Situation, mit meinem Wissen um die Zusammenhänge noch bei Verstand zu bleiben? Die letzte erstaunliche Entdeckung, die ich gemacht habe, ist die Erkenntnis der „Selbstbeherrschung“ des frühisraelitischen JHWH. Die Selbstbeherrschung eines Gottes, der über seine Menschen nicht herrschen will. Und dann wir, seine „Ebenbilder“, ganz und gar nicht selbstbeherrscht, sondern über Jahrtausende glücklich, Gottes „Tagelöhner“ zu sein, merken nicht, damit de fakto in die Hände menschlicher Brutalität und Selbstverstümmelung gefallen zu sein.
 Ich mag nicht mehr schreiben, aus Sorge, ich selber könne meine Selbstbeherrschung verlieren und nur noch schreiben, wie andere Zigarretten rauchen.
 

29 - 08 - 98

Jelzin beugt sich der Duma und verlangsamt den Reformprozess. Die westlichen Darlehen scheinen in den Sand gesetzt. In der Sprache Waigels: „Man sät doch nicht auf einen gefrorenen Acker“. Die Arroganz marktwirtschaftlicher Dogmatik. Neben der „theologischen Existenz“ die Religion der Marktwirtschaft und ihre marktwirtschaftlichen Existenz. Auch da das Feigenblatt der Liebe: „soziale Marktwirtschaft“. Die biblische Betrügerei und ihre Kinder.!
Die Meinen machen es sich einfach, wenn sie den zunehmenden Zerfall der Ehen auch in unserem Dorf damit erklären, dass es den Leuten zu gut gehe. Heute morgen habe ich sie gefragt, ob das dasselbe sei , wie die Behauptung, die Vollendung sei der Moment vor der Verzweiflung.? Nach einigem Nachdenken gaben sie zu, man könne es auch so sagen. Der Satz stammt aus einem Roman , von dem ich nur noch den Titel weiß: „Der schwarze Prinz“
Welcher Kontrast zu den Schöpfungsgeschichten! Dort die Vollendung als Moment vor dem zufriedenen Ruhen Gottes, hier Verzweiflung. Warum dieser Gegensatz? Künstler und Denker kennen die Freude an der Vollendung ihrer Arbeit, sicher auch Techniker und Unternehmer.
Dennoch ist nicht zu leugnen, dieses Grauen vor dem „Nichts mehr zu tun“! - vor der Arbeitslosigkeit - gibt es. Ist es im Grunde das Grauen vor dem Ende des Lebens?
 

03 - 09 - 98

Oder nur die Panik, in eine Falle oder in eine Sackgasse geraten zu sein? In unserem Dorf ist ja nichts zu verbergen. So hat dieser Tage eine junge Frau Mann und Kinder verlassen, und ist mit ihrem Freund, auch einem aus dem Dorf, in ein Nachbardorf gezogen. Und das trotz bester Lebensverhältnisse. Beinahe Tür bei Tür finden sich lädierte Familien. Ich suche immer gerne nach den Zusammenhängen und finde sie bei meinen Freunden in der Bibel, die auch schon ein drückendes Joch haben abwerfen wollen. Von Jesus über Paulus bis Luther findet sich in diesem „ohne des Gesetzes Werk“ das Aufbegehren gegen die Theokratie. Danach findet sich bei Hölderlin, Kierkegaard und Dostojewski dasselbe im Blick auf die verfaßte Kirche als ihrer Repräsentantin Aber es ist nie gelungen davon frei zu kommen. Warum nicht? Weil zum Wesen des Menschen das Herrsein seiner selbst gehört, auf seinem Höhepunkt als Selbstbeherrschung begrifflich erfaßt`?. Im Käfig der öffentlichen Meinung, der Sitte und der Moral, der Moden und der Klassen und nicht zuletzt auch der Konfessionen ist in der Erziehung der Kinder meines Wissens noch nie der Versuch unternommen, sie systematisch zur Selbstbeherrschung anzuleiten. Das autogene Training, eine Entdeckung unserer Zeit, ist der Versuch da zu im Blick auf den überforderten Menschen. Wer dieses Training einmal geübt hat, weiß wie schwer es dem Erwachsenen wird, auf diese Weise Herr seiner selbst zu werden und das nur im Umgang mit seinem eigenen Geist und Körper.

04 - 09 - 98

Wie viel schwieriger ist das erst im Umgang mit Menschen, mit Säuglingen und Kleinkindern, die von der Selbstberherrschung noch keine Ahnung haben. Wenn der Geduldfaden bei uns reißt ihnen gegenüber, ist oft genug auch unsere Selbstbeherrschung am Ende. Das ist der wunde Punkt, der auch bei der Emanzipation der Frauen eine Rolle spielen könnte. Ist die Geduld der Frauen mit uns Männern am Ende? Wollen sie nicht mehr Kindsmütter und Hausfrauen des stärkeren Geschlechtes sein? Stehen auch sie im Begriff, die Selbstbeherrschung zu verlieren, nachdem der Mann sie längst verloren hat und als Kämpfer und Kriegsheld „keinen schöneren Tod kennt, als den vom Feind erschlagen zu werden“? Die Frauen galten doch bisher als die friedfertigeren und versöhnlicheren Menschen.

05 - 09 - 98

Geht das Mütterliche an ihnen verloren? Säuglinge und Kleinkinder sind von Natur aus herrschsüchtig. Man sagt ihnen nach, dass sie immer ihren Willen haben wollen. In der Regel sind es die Mütter, die in Selbstbeherrschung geduldig dem zu steuern, es nicht zu brechen versuchen.

06 - 09 - 98

Heute nacht hatte ich wieder meine Not mit dem Schlaf. Ich erwacht um 2 Uhr aus natürlichem Anlaß. Danach versuchte ich wieder in Schlaf zu kommen über ein penetrantes tiefes Atmen. und dem ständig wiederholten Willen zum Schlaf. Das ist der Rest von meinem autogenen Training: „Mein Atem ist tief und regelmäßig“ und „ich will Schlafen!“. Ich bemerkte längst, dass dem Gähnen und dem Atmen das gleiche Bedürfnis nach Sauerstoff zu Grunde liegt. So habe ich mich nun schon die letzen Jahre wieder in den Schlaf gebracht. Aber oft vergeblich. Wenn mich eine Sorge oder ein Gedanke beschäftigt, dann ist es schwer in diesem Kampf, zwischen dem munteren Denken und dem Willen zum Schlaf, dem Schlaf den Sieg zu erstreiten. Ich komme mir dann vor wie ein Reiter auf einem störrischen Pferde, das nur mit Zähigkeit gezügelt werden kann. Hier erlebe ich an mir selber, wie schwer die Selbstbestimmung in Selbstbeherrschung umzusetzen ist. Ob Paulus das im Auge hatte, als er schrieb: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Das Gute, das ich will, das tue ich nicht. Aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich!“ Dabei hat er natürlich von seiner Herkunft her Gut und Böse ins Spiel bringen müssen und damit den eigentliche Sachverhalt verfehlt, die Selbstbestimmung in Selbstbeherrschung umzusetzen. Der Gedanke, der mich nicht zur Ruhe kommen ließ, war die Frage nach dem Wesen des „Mütterlichen“.

13 - 09 - 98

Der Herbst beginnt. Die ersten Blätter färben sich und fallen von den Bäumen. Der Gottesdienst in unserer Kirche belehrte uns über die Liebe Gottes. Text: „Gott ist Liebe“! Wenn ich schon nichts behalten und begriffen habe, wie viel weniger die wenigen anderen Gottesdienstbesucher. Unter diesem Wort suhlt sich eine kirchliche Arroganz im schwarzen Talar in der Dummheit ihrer Zuhörer. Das Programmieren im Geiste Gottes, das der Schöpfung fehlt und darum ihr erst den Adel ( Jesu Schatz im Acker ) verleiht, hat seit David der Mensch übernommen. Ich weine bittere Tränen in meinem Herzen, wenn ich so erkenne, wie unaussprechlich dämlich die Menschheit sich selber die Schlafmütze über alle ihre Sinne gezogen hat oder sich hat ziehen lassen. Ich muss   die kleine Erzählung: „Im Land der Blinden“ gleich jetzt hervorholen und sollte sie hier eigentlich einfach abschreiben. Denn sie ist die Darstellung meines Lebens. Ein Bergsteiger in den Anden Amerikas versteigt sich und stürzt ab in ein Tal, das vor langer langer Zeit durch gewaltige Veränderungen der Bergwelt, vom der übrigen Welt getrennt wurde. Hier findet der Verunglückte Menschen, die vor Generationen an einer Augenkranheit erkrankten und blind wurden und nun schon gar nicht mehr wissen, dass sie einmal sehend waren. Der Verunglückte Fremde wird bei ihnen aufgenommen. Sein Sehvermögen wird aber von ihnen als böse Krankheit gedeutet und es wird ihm nahegelegt, seine Augen sich entfernen zu lassen, um als einer der Ihren unter ihnen leben zu dürfen. Je länger je mehr wird er ihr Gefangener. In letzten Augenblick vor seiner Blendung entkommt er diesem Grauen. (H.G.Wells „Das Land der Blinden“ in „Der gestohlene Bazillus“ 1969 bei Diogenes in Zürich) Ich bin dieser Entkommene. Ich bin mehr als das. Ich bin einer von diesen im Land der Blinden Geborenen und habe das Augenlicht erhalten..
 
In der großen Politik der U.S.A., der UNO und der E.U. fällt mir auf, wie sie immer behutsamer mit den verbliebenen kommunistischen Staaten umgehen und mit solchen, die sich nach mehr oder weniger demokratischen Wahlen wieder kommunistische Regierungen gegeben haben. Kommt diese Behutsamkeit daher, dass erkannt ist, dass besser zu leben ist mit geordneten kommunistischen Staaten als mit solchen, in denen Mord und Totschlag herrscht. Unser westdeutscher Umgang mit der DDR nach deren Zusammenbruch war typisch christlich-radikal. Es wurde alles zerstört, was nach DDR roch. Ganz wie zur Zeit der Blutrache als noch ein Stamm den anderen auszurotten versuchte. Herr Saubermann und Frau Unkrautvertilgung waren am Werk. Was geht die Christen Jesu Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen an? Der behutsame Umgang mit dem Kommunismus beweist, wie aller Orten erkannt ist - nur nicht bei uns -, dass er mit seiner Weltanschauung einem echten menschlichen Bedürfnis Rechnung trägt, genau so wie das Besitzdenken der westlichen Welt. Gefährlich aber werden beide, wenn sie zu Glaubenslehren werden und sich mit dem Willen zur Macht einander bekämpfen.

14 - 09 - 98

Heute nacht träumte ich von der Beerdigung eines Dekan oder Superintendenten. Ort der Handlung war eine große Kirche ähnlich der Willibrordi Kirche in Wesel, in der ich 1926 konfirmiert wurde. Nach und nach füllte sich die Kirche. Mein Freund   Willi Ruloff saß neben mir. Als es schon in den Bankreihen eng wurde, tauchten die ersten Posaunen des Chores auf und mein Freund meinte, auch wir hätten unsere Posaunen mitbringen können. Dabei habe ich nie Posaunen gespielt. Dann verloren wir uns aus den Augen. Über dem füllte sich die riesige Kirche immer mehr bis auf den letzten Platz und ich rutschte aufs äußerste Ende meiner Bank, immer wieder einem Neuankömmling Platz machend. Dort saß ich, eingeschüchtert vom Bewußtsein meiner inneren Distanz zu dieser Menge und ihrer machtvollen Demonstration von Kirche. Wie halte ich das durch, ganz alleine das Gewicht eines solchen Wissens auf meinen Schultern tragend? Oder trage ich es gar nicht sondern die Beweiskraft meiner Entdeckung trägt die Last und nimmt sie mir ab, so dass ich mich tatsächlich am Ende meines Lebens noch als der Entkommene aus dem „Land der Blinden“, der wieder gewonnenen Verbindung zur Wahrheit freuen kann.? Denn im Grunde ist mir der Durchblick gelungen, den Jesus zu den Schöpfungsgeschichten hatte, den Paulus suchte und verfehlte und Luther ihm gleich nicht fand.

19 - 09 - 98

Der dem Widerwillen gegen die Instituion Kirche zu Grunde liegt, der so alt ist wie die Kirche und der Gottesstaat selber. Diese konfessionell-nationale systematisch betriebene Manipulation der Masse Mensch ist ihrer naturhafren Selbstbestimmung im Grunde zuwider. Aber warum finden sich dann immer wieder Menschen und Massen, die sich ihrer Selbstbestimmung mit Vehemenz entledigen und   mit den dümmsten und stupidesten Hochrufen ihren Tyrannen huldigen? Ich kann es mir nur so erklären, dass es in der Selbstbestimmung schwieriger zu leben ist als unterjocht. Im Gefängnis ist in der Regel für Obdach, Nahrung, Arbeit und Kleidung gesorgt. So auch einstens in der DDR.

20 - 09 - 98

Das macht den Ostdeutschen den Dammbruch so schwer und wir haben ihnen diese Erfahrung nicht leichter gemacht, sondern sie eher erschwert, als wir meinten, dort drüben radikal reinen Tisch machen zu müssen mit dem Kommunismus.
Es ist Sonntag. Wir waren im Gottesdienst. Der schwarze Pfarrer hielt ihn im weißen Talar. Wozu? Keine Erklärung! Die Predigt über : „Gott widersteht den Hoffährtigen. Aber den Demütigen gibt er Gnade“ Lauter dogmatisch richtige Sätze an einander gereiht, in einer Sprache, der man anmerkte, dass er unlängst wieder für Monate in Südafrika war. Ich habe versucht, so etwas wie einen Apell an die Gemeinde heraus zu hören. Aber nichts als der Text und der in ihm enthaltene Apell ist bei nir geblieben. Aber die Gemiende hört den schwarzen Pfarrer gern und ich mag ihn als Menschen. Als Pfarrer, hier in Haine!? Ein aus dem Land der Geblendeten Entkommener wird über das, was er von ihm in der Predigt gehört hat,.sich nicht aufs hohe Roß setzen, sondern nur noch traurich seiner gedenken.
Übrigens ging mir dieser Tage durch den Kopf das Problem dieser neuen Erziehung des Menschen als Ebenbild Gottes, im Sinne des Jahwisten und Jesu. Zur Zeit geistert der Gedanke einer antiautoritären Erziehunmg durch die jungen Familien. Antiautoritär verstanden als Verzicht auf jegliche Erziehung. Der Gegensatz zur autoritären Erziehung der Kirchen und ihrer Verwandten, das ganze Leben des Menschen beanspruchenden Weltanschauungen, ist die Erziehung zum Intellektuellen, zum Eingeweihten in die Grundstrukturen menschlicher Verhaltensweisen in der Gesellschaft. Auf den einfachsten Nenner gebracht: Von Liebe und Herrschaft So wie früher die Studenten in den Universitäten mit den Methoden der Forschung vertraut gemacht

22 - 09 - 98

und ihnen nur die Wege zu den Ergebnissen gezeigt wurden, so sollten auch die Urnormen menschlichen Zusammenlebens von Kind an eingeübt werden und nicht die Fertigproduckte den Kindern mit auf den Weg gegeben werden.

24 - 09 - 98

Es zeugt von einer mit großen Schmerzen erlernten Weisheit, dass die frühisraelitischen Denker in Liebe und Herrschaft ...
 

26 - 09 - 98

... die Urnormen menschlichen Zusammenlebens erkannt hatten. Liebe als behutsamer Umgang mit der Selbstbestimmung des Menschen und Herrschaft als ihre Manipulation mittels angedrohter Gewalt oder lockenden Versprechungen. Damit sind die zur Zeit von Küng in Gang gebrachten Überlegungen zu einem Weltethos im Grunde schon längst beanwortet.

27 - 09 - 98

Heute ist Wahltag. Wir gingen nach unserem Wahlgang in die Kirche.
Mehr erfuhren wir dann schon aus dem Radio in der Frankfurter Runde. Es ging natürlich um Klinton und dem Umgang der Republikaner mit seiner Liebesaffäre. Dabei wurden auch die Hintergründe sichtbar. Einer nannte es einen beginnenden Kulturkampf zwischen den aufgeklärten USA und den frommen fundamentalistischen Gründern. Auch hier erhebt die Theologie ihr arrogantes Haupt und zeigt, wie mies sie werden kann, wenn sie um ihre Macht fürchten muss . Ohne Zweifel, Klinton hat sich selbst beschädigt. Aber die bigotten Amerikaner haben sich als schamlos erwiesen und sich selber und dem Lande den größeren Schaden zu gefügt.
 

31 - 10 - 98

Reformationstag! In meiner Zeit hat er sein ganzes Gewicht eingebüßt. In meiner Kindheit war er noch der große Gedenktag der Protestanten, an dem im Gottesdienst das „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen...“ im Brustton der Überzeugung gesungen wurde, als die Konfessionalhymne. Heute, 80 Jahre später, nimmt die Öffentlichkeit schon keine Notiz mehr davon und die Kirchen begehen den Tag so leise, als wenn sie sich seiner schämten. Nach den beiden verlorenen Weltkriegen und dem Dritten Reich ist uns der Konfessionalismus abhandengekommen. Unter dem Wort „christlich“ haben dann die beiden Kirchen versucht, den Neuanfang Deutschlands politisch gemeinsam zu gestalten. Wobei die katholische Seite bemüht war, immer die Zügel in der Hand zu behalten. Das wurde ihr aber immer schwerer gemacht. Weil die Evangelischen in ihrem reformatorischen Selbstverständnis mit Unbehagen die offenen Arme der päpstlichen Kirche wahrnahmen und in ihrer Mehrheit nicht die geringste Lust verspürten in sie zurück zu kehren. Nach der Wiedervereinigung kamen dann in der Hauptsache überwiegend ehemals evangelische Länder in die Bundesrepublik zurück und verlagerten bei den Wahlen das Gewicht zu Gunsten der dem Katholizismus reserviert gegenüber stehenden Kräften. Die CSU, die zunächst auch als eigene Partei im Osten antrat, sah das voraus und strich das C aus ihrem Namen und nannte sich lieber DSU , Deutsche Soziale Union. Dem nationalen Gedanken im Osten mehr Anziehungskraft zutrauend als dem religiösen.
Ich meine mich daran erinnern zu können, dass gewisse Kräfte nach dem erste Weltkrieg so etwas wie die Separation des Rheinlandes zu Gunsten Frankreichs für denkbar hielten. Die Wahl Bonns als Hauptstadt der Bundesrepublik im geteilten Deutschland beweist diese Tendenz. Sie fand ihre Fortsetzung in der Neigung bestimmter politischer und konfessioneller Kreise auch nach der Wiedervereinigung Bonn als Regierungssitz bei zu behalten. Was für die Protestanten Rom ist, ist für die Katholiken Berlin. Nach dem Ende der Adenauer-Kohl-Ära macht sich jetzt in der CDU der Wille stark den Randerscheinungen   ökumenischer Annäherungen mit einer entschlossenen Rückkehr zu römischen Ordern Einhalt zu gebieten. Die neue Führungsmannschaft der CDU, unter Schäuble, trägt dem schon Rechnung. Hintze, der evg. Pfarrer musste als Parteisekrtär gehen ebenso die oft unbequeme Rita Süsmuth als Bundestagspräsidentin und an ihre Stelle kam jetzt als Vertreterin der CDU eine Hardlinerin aus Württemberg.
 

01 - 11 - 98

Es ist „Allerheiligen“. Unser hiesiger Pfarrer predigte über Recht und Gerechtigkeit an Hand von Paulus und seiner Behauptung, „dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“. Aber mehr ist auch nicht geblieben weil danach eine Pastorin in Frankfurt einen Reformationsgottesdienst hielt, der mir mehr Aufmerksamkeit abzwang als die Predigt in unserer Kirche. „Zur Freiheit seid ihr berufen“ war ihr Text. Ausgehend von dem Jahre 1520, als Luther das römische Kirchenrecht mitsamt der Bannbulle auf dem Marktplatz öffentlich verbrannte, kam sie zu Luthers These „von der Freiheit eines Christenmenschen“, zum Aufstand der Bauern und zu unserer Freiheit von all den vielen Manipulationen, von denen unsere Freiheit bedroht sei. Zwei Mal wurde die Predigt unterbrochen von einem Sänger, der zwei passende Volkslieder zum Besten gab, von denen ich leider nur noch das letzte behalten habe: „Die Gedanken sind frei....“. So mutig sie mit Luther begonnen hatte und Frankfurt 1846 nicht vergaß, die Freiheit auch im Gegenüber zu den Mächtigen dieser Welt in Gottes Namen sich zu nehmen, für berechtigt fand, so wenig konkret endete dann ihre Predigt mit einem letzten allgemeinen Aufruf zur Freiheit.
 

03 - 11 - 98

„Der Weg“ ist unsere rheinische Kirchenzeitung. Von Zeit zu Zeit versucht sie ihre Leser in ein kontroverses Gespräch über ein bestimmtes Thema zu locken. So erst neulich über die Bergpredigt als Grundlage für das politische Handeln. Die ersten Anworten waren kleine Leserbriefe, die wohl auch für die Redaktion so unbefriedigend waren, dass sie ihr Vorhaben aufgab. Meine Einsendung erschien dann erst gar nicht mehr. Weil ich davon ausging, dass zuerst einmal gefragt werden müsse, welche Gedanken und Sätze der Bergpredigt denn nun echt von diesem Jesus stammen könnten. Ich ging von dem Satz aus : „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Wahrscheinlich war es der Redaktion schon unmöglich den Gedanken im „Weg“ zu veröffentlichen, die Bergpredigt sei nicht in Bausch und Bogen von diesem Jesus von Nazareth. So blieb ich ohne Antwort. Die kritische Arbeit an der Bibel und ihre Forschungsergebnisse sind den Gemeinden gründlich vorenthalten worden, sodass auch heute noch der leiseste Zweifel daran, dass dieses Buch nicht „Gotteswort“, nicht die „Heilige Schrift“ sein könnte, die Gemeinde in eine unerwünschte Panik versetzen müsste.
Wir Pfarrer sind wie alle Gemeinmdeglieder von frühster Jugend an in diesem Glaubensgebäude erzogen worden und haben als Feindbild die Gottlosen, die Freidenker, die Katholiken und Mohammedaner u.a. missionsbedürftige Gruppen ständig im Kopf gehabt. Ich frage mich, sind sich die Verfechter der Ökumene nicht bewusst, dass sie mit dieser Vereinigungssucht längst von der Bibel als „Gottes Wort“ abgerückt sind und ihre Zeit für eine Wiedervereinigung auf der Ebene von Kompromissen verschwenden, die in dem Augenblick gegenstandslos sind, in dem die Verhandelnden an den Punkt kommen, an dem sie erkennen, dass eine Konfession die Existenzberechtigung der anderen total ausschließt.

23 - 11 - 98

Die „Deutsche Bank“ will der Post ihr gesamtes Kabelnetz abkaufen. Noch weiß ich nicht, ob es sich dabei nur um das Kabelnetzt des Kabelfernsehens handelt oder auch um das Telefonnetz? Da winkt ein neuer Machtzuwachs. Der Profit spielt dabei wohl eine geringere Rolle. Diese Kabelnetze sind die Straßen auf denen sich sichtlich der schriftliche, rechnerische und gedankliche Verkehr der Menschen miteinander in der Zukunft global abspielen wird. Wer dieses Netz in der Hand hat, meint offensichtlich ein Stück Menschheit von sich abhängig gemacht zu haben. Ich drücke mich absichtlich so vorsichtig aus, weil das schon viele gemeint haben im Laufe der Geschichte und im nachhinein sich eben diese Menschen ihrer Abhängigkeiten entledigten, ohne die angelaufenen Schulden zu bezahlen, indem sie einfach die Institutionen dieser Gläubiger zerstörten.
 

25 - 11 - 98

Meine Ansicht, dass Nationales und Konfessionelles Geschwister seien, erhielt  heute eine Bestätigung. In Russland vollzieht sich wieder ein Erstarken der offiziellen russisch orthodoxen Kirche und sie sucht die Verbindung zu ihren orthodox- nationalen und orthodox- kommunistischen Mitbewerbern um die Macht. Unter orthodox verstehe ich Weltanschauungen oder Religionen , die im Namen ihrer Doktrin den Alleinanspruch auf das ganze Leben ihrer Menschen erheben. In Wahrheit sind diese verschiedenen Ideologien Todfeinde, aber ihre Rüstzeug ist das gleiche: „Zuckerbrot und Peitsche“ .

29 - 11 - 98

1. Advent. Es tut mir weh, meine Gemeinde, evg. Christen über Weihnachten im Streit wissen zu müssen. Im Gottesdienst waren nur ein Dutzend Gemeindeglieder. Wir vermuten, dass ein derzeitiges Zerwürfnis zwischen unserem Gemeindepfarrer und dem Posaunenchor dafür die Ursache ist. Dieser Chor hat im Laufe der Zeit in dieser für die kirchlische Gemeinde und die Dorfgemeinschaft so wünschenswerten Arbeit ein Selbstbewusstsein gewonnen, das ihn offenbar denken macht, er könnte sich, der Zustimmung der Dorfgemeinschaft gewiss, gegenüber der Kirchengemeinde, dem Pfarrer und dem Kirchengemeinderat eine Kraftprobe leisten.
 Es geht um zweierlei. Einmal um die Abhängigkeit des Chores von der Kirchengemeinde, die ihn für sein Mitwirken bei kirchlichen und weltlichen Anlässen unterstützt: dem Posaunenchor einen Teil der Instrumente zur Verfügung stellt, den Chorleiter bezahlt, Zuschüsse der Gemeinde für Neuanschaffungen gewährt und eventuelle Sonderzahlungen leistet. Alle diese Zahlungen gingen bisher auf ein Privatkonto, in dessen Gebrauch seitens der Kirche bisher niemand einen Einblick hatte und wohl auch nicht haben wollte. Der derzeitige Pfarrer hatte unter dem Druck von Sparmaßnahmen und im Einverständnis mit dem Gemeindevorstand
 versucht, das zu ändern und Einblick in die Buchführung dieses Kontos angestrebt. Das führte zum Bruch des Chores mit der Gemeinde. Zumal schon länger ein Widerwillen gegen den Pfarrer in der Gemeinde rumorte; unter anderem wegen seiner Sicht und seines Verhaltens im Zusammenhang mit dem Volkstrauertag. Die Hainschen, und nicht nur sie, begehen ihn noch immer als Heldengedenktag und ehren ihre für „Volk und Vaterland“ gefallenen Toten der beiden Kriege, indem sie nach dem Gottesdienst des Volkstrauertages in der Kirche danach zum Denkmal für ihre Gefallenen der beiden Weltkriege, zum Friedhof gehen. Dort sollte nach ihrem Willen der Pfarrer eine entsprechende Ansprache halten. Dann werden die Namen der Gefallenen verlesen und schließlich das „Ich hat einen Kameraden“ unter Begleitung des Posaunenchores gesungen. Ganz nach der Sitte preußischer Tradition. Für die evangelische Kirche ist aber diese Heldenehrung nur der eigenen Toten als Verherrlichung des Krieges schon seit dem ersten und erst recht mit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr nachvollziehbar. Sie hat sich weithin davon losgesagt und wollte sich nicht mehr daran beteiligen und hat gemeint, das dadurch erreicht zu haben, dass sie den Tag zum „Volkstrauertag über den Krieg und alle Kriegstoten“ umdeutete. Das hat leider ein Großteil unserer Bevölkerung trotz der bösen Erfahrungen mit den beiden Kriegen nicht übernommen. Darum wird vieler Orts nach dem Gottesdienst, meist von patriotischen Vereinen als Heldengedenken eine Feierstunde am Denkmal der Gefallenen der eigenen Ortschaft nachgeholt, all dem zum Trotz, was da in der Kirche und offiziell im Bundestag dazu gesagt wird. Einem evg. Pfarrer und einem angehenden Europäer ist es unmöglich dabei mitzumachen, vollends, wenn der Kriegskameradschaft mit dem Liede vom gutem Kameraden wieder solche Ehre angetan wird. Darum ist das Zerwürfnis unter uns evangelischen Christen , das dieses Weihnachtsfest in unserem Dorf überschattet, im Grunde keine Sache einzelner Personen, sondern ein Riß, der schon wieder durch unser ganzes Volk geht und dessen Friedfertigkeit ernstlich in Frage stellt und alte, gebrannte Kinder zutiefst traurig macht. Wer den Frieden will, verbietet sich selber energisch Feindbilder wie Freundbilder und nimmt mit dem vorlieb, der sich ihm mehr oder weniger angenehm als Mensch zugesellt. Das ist das Geheimnis des Friedens.

11 - 12 - 98

Ist es bei mir Wunschdenken, wenn ich es für möglich halte, dass unsere Erzieher sich dahin einigen könnten, mit ihrer Methode der Wissensvermittlung nicht mehr den Eindruck zu erwecken, dass sie ihr Wissen ihren Schülern aufdrängen, sondern nach Wegen suchen, auf denen diese hungerigen Willens sind, das Wissen ihrer Lehrer in sich auf zu nehmen.

12 - 12 - 98

Die ersten Zeichen eines Kulturkampfes bahnen sich an. Im „Weg“ mehren sich die Stimmen, die darüber besorgt sind, dass sich in unserer Kirche so etwas wie eine Toleranz des Islam zu regen beginnt. Einige scheinen nun doch zu begreifen, dass zwischen uns Christen einerseits und dem Judentum und dem Islam andereseits trotz gleichen Ursprungs etwas nicht stimmt.

13 - 12 - 98

Wer kann denn voraussehen, wie die zunehmende Verunsicherung unserer deutschen Bevölkerung, auf Grund der Zuwanderung von Russlanddeutschen und Asylanten und der Zunahme von Verbrechen zum anderen, darauf reagiert? Sie könnte Gefallen finden an der rigorosen Härte des islamischen Fundamentalismus im Umgang mit Andersdenkenden und mit Verbrechern. Die Urmotivation, sich Unannehmlichkeiten dadurch vom Halse zu halten, dass man sie erst gar nicht aufkommen lässt , -„in principiis obsta“- steckt doch in der Masse Mensch. Pinochet ist doch dafür gerade im Augenblick das aktuellste Beispiel. Er war es doch, der vor 16 Jahren die beginnende Demokratisierung Chiles unter Alliende zertrat. Nur weil er unter Beteiligung der USA jedes Blümchen, das auch nur nach Sozialismus und Kommunismus roch, beseitigen zu müssen meinte. Es wird mich nicht wundern, wenn die USA ihn jetzt aus seiner
 misslichen Lage in England befreien. Haben die USA in der Zwischenzeit dazugelernt? Es sieht nicht danach aus. Sonst hätten sie längst das kleine Kuba vor ihrer Tür von ihren Sanktionen befreit. Im Grunde ist das Denken der USA religiös konfessionalistisch antikommunistisch, weil es auf Grund ihres Zustandekommens durch Einwanderung aus aller Herren Länder nicht nationalistisch sein kann.
 

24 - 12 - 98

Der Mensch tritt in eine Welt ein, in der eine seiner ersten Erfahrungen die Erkenntnis ist, dass er neuen und unerforschten Wahrnehmungen gegenüber Vorsicht walten lassen muss . Diese Vorsicht ist in jedem Fall der erste Vorgang im Umgang des Menschen mit neuen Wahrnehmungen und damit der Zweifel eine der Ureigenschaften menschlichen Denkens.
Diese ständige Verunsicherung zwingt den Menschen in einen lebenslangen Lernprozeß, dem viele nicht gewachsen sind und darum auf die Dauer nur noch die für sie lebensnotwendigen Fachgebiete belegen.
 Man findet sie vorwiegend in den ungebildeten Schichten unserer Bevölkerung aber auch in den gebildeten. Hier nennt man sie böswillig Fachidioten. Diese Schichten sind dann naturgemäß geneigt, den bequemen Weg des Treibholzes zu gehen. D.h. sie lassen sich bestimmen von der sogen. Öffentlichen Meinung, der Mode, der Tradition , der Sitte, der Macht, der Lautstärke, dem dick Gedruckten, dem Sentimentalen oder seinem Gegenüber, dem Brutalen, jedenfalls einem Treiben, das ihnen die Mühe des denkenden Durchblicks erspart. Die letzte Frucht ist dann meist eine Zusammenballung von Dummheit in simpelsten, ständig wiederholten, heilversprechenden Parolen.

25 - 12 - 98

Den Abend am Fernsehen verbracht. Gottesdienste umrahmt von weihnachlicher Musik in höchster Qualität. Inhaltlich der Versuch, Gemeinde und Gott miteinander ins Gespräch zu bringen. Laien, stellvertretend für die zuhörende Gemeinde mit vorgefertigten Lebensäußerungen das Hier und Heute in die Kirche zu holen. Dann eine kurze Predigt nach dem Motto: „Zwei Spuren im Schnee“. Danach der Film: „Der kleine Lord“, ein schönes Märchen und anschließend bestes weihnachtliches Musizieren. Man fragt sich, ob da noch eine Steigerung an weihnachtlicher Gestaltung möglich ist und das Krippenspiel in unserer kleinen Dorfkirche nur noch in der Klasse dörflicher Fußballvereine antritt. Ich habe mich schon als Vikar geweigert an solchen Krippenspielen mit zu wirken. Natürlich zum Ärger meines Vikariatsleiters. Dies Theater ist für einen Menschen, der Theologie studiert hat eine unerträgliche Zumutung, denn er weiß genau, dass die Kindheitsgeschichten Jesu reine Erfindungen der Erzähler sind, die sich von alttestamentlichen, messiasverdächtigen Zitaten inspirieren ließen..Das einzig Historische an ihnen ist, der Mann mit dem Namen „Jesus von Nazareth“.

10 - 01 - 99

Das neue Jahr brachte die neue Währung, den „Euro“ in die Köpfe der Menschen, nicht schon in ihre Hände. Wie soll der Raum heißen, in dem diese Währung ihre Gültigkeit hat? „Euroland“? Sie gilt ja nicht für ganz Europa, sondern nur für die Teilnehmerstaaten. Für die Franzosen schon jetzt inakzeptabel. Sie wären lieber für eine „Eurozone“. Und die anderen Teilnehmer? Was werden sie wollen? Wie schwierig ist doch eine Demokratie! Bei Mehrheitsentscheidungen fühlt sich der Überstimmte im Grunde immer als der Unterlegene und Unglückliche, weil von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Aber Entscheidungen so lange auszusetzen, bis auch der letzte Zögernde überzeugt zustimmt, würde zum Stillstand führen. Darum hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, wo möglich in den Presbyteriumssitzungen nur solche Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, von denen ich wusste, dass sie reif waren, d.h. von allen Mitgliedern  zustimmend beurteilt wurden. Ich hatte nämlich gelernt, dass meine Pläne, Gedanken und Einsichten im Blick auf notwendige Entscheidungen, überraschend dem Presbyterium vorgetragen, für einige der Damen und Herren wie Hasen waren, die es galt nun zu jagen und zu erlegen. Um dem vorzubeugen wartete ich ab, bis auch diese Damen und Herren bei sich auf das gleiche Problem und seine notwendige Erledigung gestoßen waren und so von sich aus mir zustimmen würden. In meiner Mappe mit den Unterlagen für die Sitzung lag zu oberst ein Blatt Loriots. Sechs schwarz gekleidete Herren mit einem Bibi auf dem Kopf werden von einem Sturm überrascht, der ihnen allen ihre Halbzylinder vom Kopf weht. Fünf von ihnen jagen ihnen nach, während der sechste stehen bleibt und wartet bis sich der Wind dreht und ihm alle Hüte in die Hände treibt. Das war meine Art, Kampfabstimmungen zu vermeiden und jedem das Gefühl zu geben, in der Beschlussfassung auch sich vertreten zu wissen.

12 - 01 - 99

Ich weiß, unter den heutigen Umständen ist das für den Bundestag oder andere entsprechende Gremien auf niedrigerer Ebene undenkbar. Der Dreiklang von These, Antithese und Synthese ist für meinen Kulturraum der Weisheit letzter Schluß. Kämpfe, Wahlkämpfe, Kulturkämpfe. Der „Wille zur Macht“ und „Feindbilder“ beherrschen die Lebensgewohnheiten der Menschen. Gesetze des Zusammenlebens sind ihre „Werte“, dass sie eingekäfigte Lebewesen sind, wissen sie schon nicht mehr. Wo der Käfig sie freigibt, gleichen sie den Tieren, die in Käfigen geboren, an und in der Freiheit zu Grunde gehen. Heute berichten die Zeitungen von zwei Schülerinnen, die sich gemeinsam in den Tod gestürzt haben. Ersichtliche Gründe dafür gibt es nicht.
Die große Arbeitslosigkeit beweist, wie die Industrialisierung die Menschheit immer mehr von ihrem natürlichen Broterwerb entfernt und sie an eine Versorgung durch Dienstleistungsunternehmen gewöhnt hat. Sie zapft das Wasser aus dem Hahn, den Strom aus der Steckdose, sie heizt mit Öl oder Gas oder Fernwärme. Bedient sich des Autos und der Fernseher ohne daran zu denken, dass sie sich abhängig macht und so in einen Käfig begibt, ohne den zu leben sie gar nicht mehr in der Lage ist. Aber sie muss   für das Alles bezahlen und dieses Geld muss sie wiederum aus einer Arbeit gewinnen für die Betriebe, die ihr all diese liebgewonnenen Dinge liefern. Diese aber versuchen mit immer weniger Menschen ihre Produkte zu erstellen, weil, wie sie behaupten, die menschliche Arbeitskraft zu klein, zu wenig, zu teuer, und zu unsicher sei gegenüber der der Maschine, die Tag und Nacht, sonntags und werktags, pausenlos und in penetranter Genauigkeit arbeite.. So sitzen dann Millionen von Menschen in ihren schönen Käfigen ohne Arbeit und nur mit einer Notfütterung versehen und offener Käfigtür. Aber sie können nicht mehr ohne den Käfig leben. Da draußen werden sie zu Obdachlosen, zu Trinkern, Rauschgiftabhängigen oder beschaffen sich das Geld mit Gewalt. Ein Ausweg aus dieser Sackgasse wäre ein Bemühen, den Menschen die Lust zur Unabhängigkeit anzuerziehen, so dass sie wieder ihrer Natur gemäß überall Fallen und Käfige witternd, sich weigerten unbesehen der Verlockung zur Bequemlichkeit oder zur Lust zu folgen. Wem sage ich das?