Otto Wilhelmy                           
JESU "SCHATZ IM ACKER"
Oder die Philosophie vom Erwähltsein des mündigen Menschen (1993 - 1995)

„Der historische Jesus ist also mehr als unser derzeitiges historisches Wissen von ihm . Aber dieses Plus des historischen Jesus gegenüber unserem derzeitigen hist. Wissen von ihm gehört keineswegs bereits in die Dimension der dogmatischen Urteilsbildung. Es gehört viel mehr prinzipiell in den Bereich des historisch Erkennbaren und könnte z.B. durch neue Textfunde auch tatsächlich Gegenstand historischer Erkenntnis werden.“ Eberhard Jüngel [1]
 
Auch für uns Christen beginnt alles Denken und Reden von Gott im Alten Testament mit der Geschichte der Erwählung Israels.
 
Fragt man nach Zweck und Ziel dieser „Erwählung“, so ant­worten auch wir Christen aus unserer Sicht bis auf den heutigen Tag mit dem sogen. „Höchsten Gebot“: „Du sollst Gott, Deinen Herrn, lieb­haben, von ganzem Herzen , von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft!“ (5.Mose 6,4 f.).
 
Dieses Glaubensbekenntnis erklärt sich - so Rainer Albertz - fol­­gendermaßen: "Von den besonderen Anfangsbedingungen der is­raelitischen Religion her ist JHWH der Gott einer Groß­grup­pe, die ihm ihre Freiheit, ja ihre Existenz in all ihren Ge­fähr­dungen ver­dankt."[2] Es ist der Ausdruck der Faszination von JHWHs Liebe, begriffen im Nachdenken über die Landgabe. Das Bekenntnis ent­hält noch nichts von einer Forderung nach Monotheismus und lie­bender Gegenleistung, denn es ist das von JHWH erwartete liebende und lebensbestimmende Echo auf das Geschenk der Landgabe, mit dem Eingeständnis, anderer Götter nun und nimmer mehr zu bedür­fen. Es ist nicht Offenbarung von Seiten JHWHs, sondern deutende Entdeckung auf Seiten der Menschen.
 
Auf die Dauer konnte die Landnahme alleine die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs nicht mehr tragen; denn die erlebte Wirklich­keit bei der Inbesitznahme des Landes (die nach heutiger Ansicht ca. 2OO Jahre benötigte) sprach erwiesener­maßen eine andere Sprache. Wirklichkeit und Glauben drohten aus­einanderzu­brechen.
 
Dem haben die Verfasser der Schöpfungsgeschichte Einhalt zu bie­ten versucht, indem sie die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs in das Wunder des Daseins des Mensch und seines Lebensraums verlegten. Jesajas (51,12 f.) denkt in dieser Reihenfolge: Erst die Erwählung, dann die Schöpfung.[3]
 
Zwei “Schöpfungsberichte“[4] der Erzähler stehen gleich an der Pforte der Bibel Rede und Antwort. Der erste - der "Sieben-Tage-Be­richt" - zielt auf die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und als Ebenbild Gottes. Eine Würdigung son­der­glei­chen, was auch immer der Ausdruck "Ebenbild Gottes" zunächst hei­ßen mag. Im zweiten Schöpfungsbericht - dem "jah­wis­ti­schen" - fin­det sich das Menschenpaar zusammen mit der Tierwelt in einem Garten. Damit ist das Dasein der Menschen auf den einfachsten bleibenden Nenner ge­bracht. Im Unterschied zum ersten Schö­pfungsbericht, in dem die Menschen aufgefordert sind, sich zu mehren und sich die Erde un­tertan zu machen, wird ihnen hier die große Freiheit eröff­net, von allen Bäumen im Garten essen zu dür­fen, ausgenommen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bö­sen. Die Schlange, auch ein Ge­schöpf Gottes, verstärkt die Neu­gier der Menschen, die durch eine solche Ausnahme zwangs­läu­fig geweckt wird, indem sie verspricht: "Ihr werdet sein wie Gott!"
 
Das ist in der Tat der Menschheit Grundsituation, daß sie zwi­schen Gut und Böse, zwischen richtig und falsch, zwischen Lüge und Wahrheit leben und Entscheidungen treffen muß. Eine ge­fähr­liche Situation. Es geht oft um Tod und Leben. Unsere beiden Men­schen leisten in der Erzählung weder Gottes noch der Schlange Stimme Ge­folg­schaft.   Sie tun, was Menschen zu tun geübt sind, sie verlassen sich auf ihre eigene Urteilskraft. Sie befragen im Grun­de den Baum und nehmen die Sache damit selbst in die Hand. Sie klä­ren, was gut und was böse ist, auf ihre Weise. Aber die Schlan­ge lügt mit ihrer Verhei­ßung "Ihr werdet sein wie Gott", und der Baum be­trügt, wenn er den Anschein erweckt, als wäre gut von ihm zu es­sen, und Gott mahnt nicht nach, wie er es dann in der Geschichte von Kain und Abel tut.
 
Was ist da falsch gelaufen? Wer trägt dafür die Verantwortung? Adam sagt: "Das Weib, das Du mir gegeben hast." Eva, dadurch in die Enge getrieben, sagt: "Die Schlange (zu ergänzen: die Du ge­schaffen hast) betrog mich." Die Erzähler haben damit auch wie­der typisch menschliche Verhaltensweisen in dieser Szene zur Dar­­stel­lung gebracht.(Indirekt wird diese Schuldzuweisung  bis heute aufrecht erhalten in Gestalt der Bitte um den „Heiligen Geist“.)
 
Auf ein Mißverständnis kann sich Eva nicht berufen, denn sie hat im Gespräch mit der Schlange den Wortlaut der göttlichen Wil­lens­äußerung wiederholt, übertreibend sogar.
 
Die Schlange ist we­­der zufälliger- noch unglücklicherweise im Gar­ten. Sie ist eine wohl­­erwogene Figur in dem Spiel, das da abläuft. Ohne sie hät­ten die Menschen keine Alternative und wären in Got­tes Wil­lens­welt ein­­geschlossen. Die Schlange ist gewissermaßen eine Tür, durch die die Menschen die Willenswelt Gottes verlassen kön­nen. In­so­fern aber, als Gott selber diese Tür will, ist sie sein äußerstes Ge­schenk an Freiheit. Er vertraut den Menschen gleich­sam den Haus­­türschlüssel zu seinem Haus an. Mit diesem Schlüs­sel kön­nen sie gehen und kommen, können bleiben und weg­bleiben. Was sie an sein Haus binden soll, ist alleine die Freu­de an diesem Schö­­pfer und an der Art, wie er seine Ge­schöpfe ebenbürtig be­han­­delt. Erst dieses Risiko in Sachen Mensch ist die Vollendung der Schö­­pfung und der Gipfel des Liebeswerbens JHWHs.[5] (‘Liebeswerben’!? Weder im Zusammenhang der Landnahme noch hier findet sich auch nur die Spur dafür, daß JHWH selbst sein Handeln als ‘Liebeswerben’ deklariert habe.[6] Die Philosophen - oder waren es schon Theologen? - erst haben den Vorgängen von Erwählung, Bund, Landgabe und Schöpfung diese Bedeutung zuerkannt und ihre Erkenntnis als Bekenntnis für sich und die Menschheit festgeschrieben und JHWH in den Mund gelegt. Sie konnten nicht ahnen, daß ihre späteren Kollegen daraus die Berechtigung ableiten würden, auch ihrerseits, je nach Bedarf, es ihnen gleich zu tun und ihre Deutung der Ereignisse als „Spruch des Herrn“ zu autorisieren und so zur herrschaftlichen Offenbarung zu machen - in Form von Drohungen oder auch in Form von Verhei­ßungen.)
 
Der Jahwist bedient sich auch hier einer allgemein menschlichen Vorgabe: Der Geburt eines Kindes. Dazu gehören auch die Schritte, die vollzogen werden müssen, wenn „ein Kind in die Welt gesetzt wird“: Von den Eltern gewollt und gezeugt und von der Mutter geboren, bleibt es in der Obhut der El­tern, bis es mündig ist. Dann erst wird es selbstverantwortlich in die Freiheit ent­las­sen und dies alles mit den dazugehörigen Risiken. Im Grunde ist das ganze Leben eines Men­schen der El­tern Ge­schenk[7] und als solches der schön­ste Ausdruck ihrer Liebe und ihres Wunsches, das Herz ihres Kindes damit auf Dauer ge­won­nen zu haben oder es wiederzugewinnen, falls es "ver­­loren" war. Vom Totalitätsanspruch ist darin  keine Spur. "Wie kann ein Mensch den vergessen, der ihn geschaffen hat. Das ist nach alttestamentlichem Verständnis schlicht unsinnig."[8] Darum steht das Elterngebot auch auf der 1. Ta­fel des Dekalogs. Die "Gottebenbildlichkeit" ist schon beim Jahwi­sten eindeutig als "Gotteskindschaft" verstanden, und daher liegt hier Jesu „Schatz im Acker“.
 
Das ist - wohlgemerkt - die Entdeckung des Erzählers und seiner Kollegen, die gleich ihm bereits um das Liebeswerben JHWHs in der Landgabe wissen und die nun auch in der Schöpfung dieses Lie­bes­werben am Werk sehen und damit erst entdeckt haben.
 
Die oder der Erzähler konnten nicht ahnen, daß ihre Entdeckung kaum Resonanz finden wird. Statt dessen ging das "Du ,JHWH, bist selber schuld!" in die Theologie ein, und fortan beanspruchte die For­de­rung an JHWH, dies Risiko in Sachen Mensch im nachhinein wieder rückgängig zu machen und mittels seines Geistes auf ihn Einfluß zu nehmen oder sogar ein neues Liebeswerben zu inszenie­ren, ei­nen breiten Raum.
 
Im Zeitalter des Computers liegt es nahe, eine Schuldzuweisung an Gott damit zu begründen, daß er in seiner Allmacht seine Men­schen hätte programmieren kön­nen.. An das hat offenbar auch schon Je­remia gedacht, der Gott - im Zusammenhang mit der Ankündigung eines neuen Bun­des - sagen läßt: Gott wolle dann sein Gesetz "in ihr Herz schreiben" (Jer.31.31 ff.). Ebenso Hesekiel, der im Rahmen des neuen Bun­­des "das steinerne Herz" Israels gegen ein "fleischernes" aus­wech­seln will (Hes. 10,19) und Joel, der erwartet, daß JHWH sei­­nen Geist "auf alles Fleisch ausgießen" wird (Joel 3). Die Dia­gno­se der Propheten ist richtig. Israels Herz ist nicht le­benswichtig bei der Sa­che und darum sein Gottesglaube nicht im Geiste JHWHs. Aber die JHWH vorgeschlagene Therapie ist falsch, nein töd­­lich! Töd­lich insofern, als Gottes Liebeswerben auf mehr aus ist, als auf mehr oder weniger gehorsame Untertanen. Es ist ja Lie­bes­wer­­ben. Das aber schließt jede Form der Entmündigung aus, weil Ent­­mündigung zugleich Entwürdigung bedeutet und da­mit das Aus der Liebe JHWHs. Außerhalb der Liebe JHWHs hat der Mensch keine Würde, er ist tot, auch wenn er noch leben sollte (vgl.. “Das Gleichnis vom verlo­renen Sohn“ : „Siehe dein Bruder war tot und er ist wieder leben­dig geworden“.).
 
In der auf die Schöpfungsgeschichte folgenden Erzählung von Kain und Abel lassen sich die gleichen Tendenzen erkennen: War in der Schöpfungsgeschichte von JHWH und dem Menschen die Rede, so ist in der Erzählung von Kain und Abel von JHWH, dem Menschen und seinem Mitmenschen die Rede. Auch hier wird eine allgemein­menschliche Situation ins Bild gesetzt. Nomade und Ackermann werden in dieser Erzählung einan­der gegenüber gestellt, beide mit ihren jeweiligen Gottesdiensten. Aber dem Nomaden wendet sich JHWH - ohne erkennbaren Grund - bevorzugt zu. Diese „Erwählung“ JHWHs steht im Raum und ist für Kain rätselhaft. Als Kain deshalb verärgert reagiert, wird ihm von JHWH nahegelegt, nicht vorschnell zu handeln, son­dern sich den Vorgang noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, denn jetzt käme es darauf an, die richtige Entscheidung zu treffen: Diese Erwählung sich gefallen und JHWHs Freund, auch seinen Freund sein zu lassen. Aber Kain sieht diese Al­ter­native nicht und tötet Abel. Er wird von JHWH nicht daran ge­hindert, ge­nau­so, wie JHWH Adam und Eva in ihrer freien Ent­scheidung nicht ein­engt. Ein Verzicht auf herrschaftliche Maßnahmen
 
Diese beiden jahwistischen Erzählungen stellen den Menschen dar, wie er in vielen Entscheidungen seines Lebens auch zwischen JHWHs Ratschlag und oft gegenteiligen Ratschlägen anderer zu ent­scheiden hat. JHWH fällt dem Menschen nicht in den Arm, wenn der Mensch sich nicht für JHWH, sondern gegen ihn ent­schei­det. JHWH respektiert die Freiheit des Menschen und die in ihr dem Menschen geschenkte Kreativität, seine Probleme selbstver­ant­wort­lich zu lösen. Selbstverantwortlich, d.h. im lie­ben­den Ein­ver­ständ­nis mit JHWH, das Herrschaft auch seitens der Menschen über Menschen  ausschließt. Der Verzicht auf herr­schaft­liche Einflußnahme bringt die­sen JHWH für unsere Er­zäh­ler in eine eigentümliche Nähe zum Menschen, und um­ge­kehrt: der Men­schen Freiheit und Krea­tivität bringt diese in eine ei­gentümliche Nähe zu Gott.[9]
 
Es geht diesem JHWH ( "der leidenschaftlich Liebende"[10] ) um das Herz des Menschen; er will ihn nicht an sich fesseln, sondern er sucht das Einverständnis seines Geschöpfes zu dem, was er ihm bie­tet und was kein anderer Gott ihm zu bieten vermag. Dieses Ein­verständnis ist das ‘Höchste Gebot’. Es besagt näm­lich: Wir verste­hen Dein Tun, und das, was du mit all dem sagen willst, und darum werden wir es uns unermüdlich als unser Ver­ständ­nis und Einver­ständnis in Erinnerung bringen.
 
Diese Erzählungen müssen aus einer Zeit stammen, in der das Nach­denken über die Freiheit hoch im Kurs stand und von herr­schafts­feindlichen Gedanken genährt wurde. Tatsächlich hat die Re­ligi­onswissenschaft im Stämmeverbund Israels herr­schafts­feind­li­che Lebensformen feststellen können.[11]
 
Unter diesem herrschaftsfeindlichen Aspekt wird man das sogen. ‘Höchste Gebot’ in seinem ursprünglichen Verständnis lesen müs­sen. Un­ter die­sem Aspekt ist dann auch der Dekalog so etwas wie ein Ein­blick in JHWHs Wunschdenken bezüglich der Geborgenheit des Menschen (die Gebote der 2.Tafel) und eine Einladung zum 'Ein­ver­ständ­nis' zwischen JHWH und den Menschen.
 
Für dieses 'Einverständnis' haben unsere Erzähler eigenst einen Be­griff zur Hand, das Wort 'Zedaka'. Die deutsche Über­set­zung mit dem Wort 'Gerechtigkeit' ist irreführend.
 
Aber die Königszeit Davids und Salomos wurde als ein neu­es Heils­handeln JHWHs gedeutet und bekam so ihr Gewicht: Das beweist, daß die Landnahme die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs nicht mehr alleine tragen konnte und ein neuerlicher Liebesbeweis willkommen war. So wie er sein Volk mit Gewalt aus Ägypten in die Freiheit geführt hat­te, so hatte er es jetzt noch einmal mit Gewalt in die Ge­bor­genheit eines Staatswesens gebracht. JHWH war zwar sein Na­me, aber was be­sagte das schon?. Eine bestimmte Vorstellung er­gab sich daraus nicht. Was lag näher - nach all den Er­fah­run­gen, die es mit ihm ge­macht hatte - ihn im Bilde eines Monarchen sich vorzustellen . Das Vier­buchstabenwort JHWH ließ man in den Schriften ste­hen und be­nutzte es auch weiter, aber man las hinfort das von 'Adon' ('Herr') abgeleitete 'Adonai' ('Mein Herr'), also die Anrede für einen Herr­scher. Aber damit nicht genug: JHWHs Wil­le wurde nun der Befehl eines Herrn, dem gegenüber Ge­hor­sam erwartet und belohnt wurde, dem gegenüber Ungehorsam und Aufsässigkeit mit Sanktio­nen be­legt bzw. bestraft wurde, dem Grundgesetz aller Monarchie.[12] Das willig ja freudig gegebene Zugeständnis, keines anderen Gottes jemals zu bedürfen,  wurde nun zum Totalitätsanspruch des Monotheismus .(Wir Christen haben diesen Vorgang mit allen Konsequenzen nachvollzogen, als wir  den Menschen Jesus zum Christus  und Alleinherrscher über die Welt machten)
Das gesamte religiöse Schrifttum wurde nun abgeklopft und auf sei­ne Brauchbarkeit für diese neue Gottessicht hin untersucht. Da­bei stellte sich heraus, daß auch die zweite Schö­pfungs­ge­schich­te na­hezu unverändert übernommen werden konnte, wenn sie als "Pro­be­lauf" für den Gehorsam des Menschen verstanden wurde.
 
Das Ergebnis der zweiten Schöpfungsgeschichte - wenn sie als ei­ne Liebeswerbung verstanden wurde - ist der Verlust der Wür­de der Gottebenbildlichkeit für den Menschen: "Sie sahen, daß sie nackt waren". Und die Erkenntnis diese Verlustes durch die Menschen zeigte sich im: "Sie schämten sich".[13] Das Ergebnis der zweiten Schöpfungsgeschichte - wenn sie als Ge­hor­sams­pro­be verstan­den wurde - war dagegen die Forderung nach einer strengen Strafe: Die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, so daß der Mensch fortan mit dem Odium behaftet war, daß sein "Dich­ten und Trachten böse sei von Jugend an". Dies ist die schlimmste Verunglimpfung des Menschen, die je über ihn ausgesprochen wurde, von den verheerenden Folgen  für die Wertschätzung des Menschen gar nicht zu reden. ( Franz Kafka: „Der Prozeß“ Fischer TB 676 Frankfurt am Main 1977 ) Dabei diente sie dem Verfasser nur dazu, das Staunen über seinen Gott zu steigern, der trozdem das Leben der Menschen zu ertragen bereit war. Sie gehört darum in die Kategorie der Huldigungen .(„Preisungen“ M. Buber) und nicht in die der Antropologie.
 
Im Zusammenhang damit verloren die beiden Schöpfungsberichte das Charakteristische des Liebeswerbens, auf das die Erzähler so be­dacht gewesen waren: dies beglückende und Staunen er­wec­ken­de einzigartige und einmalige Verhalten JHWHs seinen Ge­schöpfen gegenüber, das ihn "einzig" machte.
 
Einem solchen HERRN konnte man nun auch dienen, was dem rät­sel­vollen JHWH gegenüber unmöglich gewesen war. Diesem HERRN konnte man nun auch huldigen und man tat es mit dem charakteristi­schen Über­schwang aller Huldigungen, wie die Psalmen bewei­sen.
 
Diesem HERRN dienen dann auch die Propheten ausnahmslos und mit dem Einsatz ihres ganzen Könnens, ja sogar mit dem Einsatz ih­res Lebens, Deuterojesajas nicht ausgenommen. Immer mit dem Blick nach vorne gewandt, handhaben sie das herrschaftliche Instrumentarium ihres HERRN in Gestalt von  Drohungen und Verheißungen , als ob er selber der Sprecher wäre. Keine, der von den Propheten erhofften, neuen Großtaten des HERRN im Ringen um das Herz der Menschen hat sich in den Jahr­hunderten nach dem Exil erfüllt. Die Deportierten sind zwar zu­rückgekehrt, Je­ru­sa­lem und der Tempel wurden wiederaufgebaut. Aber keine der vollmundigen Heilsweissagungen der Propheten erfüllte sich.
 
Bis, ja bis dieser Jesus in die Geschichte eintrat und den zeitgenössi­schen Glauben seines Landes grundlegend in Frage stellte. Ihm muß schon früh die radikale Liebesforderung des HERRN zu denken gegeben ha­ben. Es war ja nicht zu übersehen, daß die Liebesbeweise Gottes in der Landgabe oder auch in der Königszeit Davids und Salomos längst nicht mehr Beweiskraft für das Heute und Jetzt sei­nes Volkes hat­ten. Auch ihm wurde bewußt, was der Jahwist vor ihm und Hegel und Lessing viel später nach ihm erkannten, daß „zufällige historische Geschichtswahrheiten“ wie die Landnahme oder auch die Königszeit Davids ihre Faszination auf die Dauer nicht behalten konnten, wenn sie nicht in ständiger Wiederholung präsent blieben. Wo aber  fand er einen Liebesbe­weis seines HERRN, der diesem das Recht gab, die Liebe seiner Men­schen bis in den letzten Tropfen Blutes zu erwarten und an der die Wech­sel­fäl­le des Lebens nichts abbrechen konnten? Er fand das, was er such­te im ersten Schöpfungsbericht und in der dort ge­schenkten Gott­eben­bildlichkeit des Menschen.
 
Jesus mußte dem HERRN seiner Zeit, der seine Menschen als Un­tertan be­han­delte, den Ungehorsamen mit Gewalt drohend, den Ge­hor­sa­men geneigt - diesem HERRN mußte er den JHWH der Schö­pfungs­ge­schichte zum Vergleich zur Seite stellen. Dabei stellte sich dann unweigerlich heraus, daß der JHWH der Schö­pfungs­ge­schich­te mit Sicherheit kein Monarch sein wollte, der sich Un­ter­tanen schuf. Aber wer war dieser JHWH dann? Wem ähnelte er, wenn er von seinem Geschöpf erwartete, daß es sich seines Glückes bewußt, ihm, dem Schöpfer, seine ganze Liebe schenken sollte?
 
Jesus entschied sich für das Naheliegende: Dieser Gott war ein 'Va­ter'! Ein rechter Vater ist nach dem Verständnis des Jahwisten alles andere als ein Herrscher. Ein rechter Vater und eine rechte Mutterziehen ihre Kinder nicht auf, um sie an sich zu fesseln, sondern um sie flügge zu machen und dann abzuwarten, ob es sie heimzieht. Das kann lange dauern. Es kann aber auch gänzlich vergeblich sein.Sicherstellen läß sich das nicht.
 
Diese Entdeckung muß Jesus voll befriedigt und mehr als das, sie muß sein ganzes Leben umgestaltet haben, so daß er, wenn er ge­fragt wurde "Bist du Gottes Sohn?" mit Fug und Recht antworten kon­nte: "Du sagst es", ( er selbst nannte sich lieber Menschensohn JHWHs, wohl um dem Mißverständnis vorzubeugen, seine Herkunft sei göttlicher Art). Er hatte den 'Willen Gottes' verstanden, und nun waren diejenigen, die diesen Willen auch verstanden sei­ne "Mutter" und seine "Brüder und Schwestern".[14]
 
Aber was war nun der Wille Gottes? Die Vorstellung einer Kö­nigsherrschaft Gottes war zerstört.[15] Die Würde des Men­schen als Kind JHWHs mußte zum Tragen kommen. Dieser Lie­bes­beweis mußte und konnte jetzt und hier erbracht werden, im „Heute“. Eines endzeitlichen (eschatologischen) Drängens bedurfte es dabei nicht. Es gab für Jesus nun keine würdelosen Menschen mehr. Ob Mann oder Frau, ob Kind oder Kranker, ob Ehebrecherin oder Zöll­ner, er suchte mit ihnen Umgang. In seinen Gleichnissen versuchte er da­für Verständnis zu wecken. Die herr­schafts­feind­liche Haltung Je­su ist unwiderlegbar, sein Tod un­ter­streicht das.
 
Aber eines war ihm gelungen: Er hatte eine Schar ernst zu neh­men­der Menschen für seine Sicht der Gottebenbildlichkeit exi­sten­tiell gewonnen. Die ersehnte neue Faszination von JHWH war durch Je­sus wiederbe­lebt.. Man hört sie noch in dem späten 1.Johannesbrief: "Welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir seine Kin­der sollen hei­ßen!" (1.Joh.3.1).
 
Das Alte Testament war also noch eine Fundgrube für neue beglüc­kende Erkenntnisse über JHWH. Kein Wunder, daß sich die Schar seiner Jünger nun auch ihrerseits auf die Suche nach neuen Er­kenn­tnissen in den alten Texten machte. Sie fanden sie reich­lich bei den Propheten. Selbst der Tod dieses Jesus war schon vor­hergesagt. Die Faszination griff um sich: Kein Zweifel! Er war nach Jesaias 53 der Messias! Ein Herrscher allerdings ohne herr­schaftliche Hand­haben ("ohne des Gesetzes Werk", Röm.3,28). Aber wie? Wie zwi­schen Vater und Kind hatte Jesus ge­sagt. Also statt 'Ge­hor­sam' 'Vertrau­en', griech. 'pistis', also "allein durch den Glau­ben". Die Jünger meinten offenbar, damit genau das ge­trof­fen zu haben, was die Theologen seinerzeit mit 'Ze­da­ka' meinten: ein freies, fröhli­ches Einverständnis mit JHWH. Aber weit gefehlt, denn 'Glauben' verbie­tet das Mißtrauen, wie der Gehorsam das eigene Wollen. Hieß es vorher: Wie kann ein Mensch es wagen, Gott nicht zu gehorchen, so heißt es jetzt: Wie kann ein Mensch es wagen, Gott nicht zu glau­ben! Die Ent­mün­di­gung des Menschen konnte nicht voll­ständiger sein.
 
Auch sie ahnen nicht, daß in dem Schöpfungsbericht der Frühzeit ihres Volkes aufs Schönste geklärt ist, daß Liebe zuerst und zuletzt der Ver­zicht auf Herrschaft ist und frei von jedem Versuch, des Men­schen Intelligenz auszuschalten.
 
So aber gerät die frühe Christenheit in die ausgefahrenen Spuren der alttestamentlichen Theokratie..
 
Gott hatte in einem neuen Heilshandeln eingegriffen. Der Messias war gekommen und damit eine Neuschöpfung der Menschheit end­gültig vollzogen. Sein Tod besiegelte das. Die Propheten hat­ten genauso geweissagt. Das neue Leben der Menschheit war da.
 
Aber wo war es denn? In den Straßen von Jerusalem ging alles sei­nen Gang wie eh und je. Die Römer und die meisten Juden merk­ten nichts davon. Es war der Christen Geheimnis. Sie be­dien­ten sich dieses Geheimnisses nach Art einer Brille, durch die sie entschlossen nicht mehr "das Sichtbare, sondern das Un­sicht­ba­re" (2.Kor.4,18) zu sehen willens waren. In Anlehnung an Platons Ideenlehre. Am kon­se­quen­tes­ten findet sich diese Sicht der Dinge bei Paulus. Er spürt offenbar die Diskrepanz dieses „Jesus nach dem Fleisch“ zu seinem prophetisch-platonischen Christus (2. Kor. 4,16). Bei dieser Sicht der Dinge sind wir weithin auch heute noch.
 
Aber seitdem die Bibel in deutscher Sprache jedermann lesbar wurde, war sie auch dem kritischen Leser ausgeliefert, so daß ihre Unstimmigkeiten nicht länger verborgen bleiben konnten. Vor allem die Frage nach dem „historischen Jesus“ hat die Theologen bis zur Erschöpfung beschäftigt.
 
Albert Schweitzer meinte dieser Forschung ein Ende bereitet zu haben mit der vorschnellen, zeitbedingten Annahme, daß darüber keine absolute Sicherheit mehr zu erreichen sei. Dem haben sich Barth und Bultmann gebeugt. Der eine, Paulus folgend, der andere den historischen Jesus bei seiner „Entmythologisierung“ der neute­stamentlichen. Botschaft gar nicht benötigend, denn er meinte Jesu „Kerygma“., seine Botschaft, mit Sicherheit den biblischen Texten entnehmen zu können.
 
Dagegen meldet sich neuerdings ernsthafter Widerstand der meint, so einfach nicht auf ein besseres Wissen um den historischen Jesus verzichten zu können, weil eine permanente Unsicherheit im Zentrum des christlichen Glaubens auf die Dauer nicht ohne Folgen bleiben kann.
 
Troelsch hat schon zu Beginn dieses Jahrhunderts die Befürchtung geäußert, daß diese Verunsicherung zuerst in den „gebildeten Schichten“ der Bevölkerung Fuß fassen würde, danach dann aber auch in den anderen.
 
Abschließend soll versucht werden, den Komplex dieser Entdec­kungsreise durch die biblische Theologie unter den Begriffen "Entdeckung" und "Faszination" in Folge darzustellen, wobei unter "Faszination" keine vor­der­grün­di­ge, kurzfristige, sondern eine herzgewinnende und le­bens­be­stim­mende zu verstehen ist.
 
In der Landgabe sahen frühe israelitische Theologen das Lie­bes­werben JHWHs. Die herzgewinnende und le­bens­be­stim­men­de Fas­zination dieser Entdeckung schlägt sich bleibend nie­der im "Höre Israel" und bleibt im Grunde die Achse allen jü­disch-christ­lichen Glaubens bis heute.
 
Die harte Wirklichkeit der Landnahme aber nagte zunehmend an die­sem Glauben. Das zwang Israels Köpfe, die Entdeckung in Sa­chen Landgabe auf die Schöpfung auszudehnen: Der "Erwählte" ist der Mensch und das "Land" ist die Erde. So war sichergestellt, daß Glaube und Wirk­lichkeit nie auseinanderbrechen konnten.
 
Aber diese Sicht der Dinge vermochte sich nicht Geltung zu ver­schaffen. Denn ei­ne andere Entdeckung stahl ihr die Show. Die frühe Kö­nigszeit wur­de als ein neuerliches Heilshandeln JHWHs an Is­rael ge­se­hen. Die Faszination dieses Gedankens vollzog sich in der Form der Inthronisation JHWHs zum Weltenherrscher, zum HERRN.
 
Beide letztgenannten Entdeckungen setzen JHWH in Beziehung zur Welt, mit dem Unterschied, daß im ersten Fall der Mensch zu Wür­de gebracht wird, während im zweiten Fall JHWH auf den Schild gehoben wird.
 
Es ist kein Zufall, daß der Weltenherrscher überzeugte.[16]
 
Aber auch jetzt blieben Glaube und Wirklichkeit nicht deckungs­gleich. Der HERR erwies sich nicht als der Weltenherrscher und Be­schüt­zer Israels, und so verzehrten sich die Propheten darin, das Rät­sel solchen Verhaltens zu lösen - liegt es an Israel oder liegt es am HERRN!?
 
Die nächste Entdeckung, die weittragende Folgen haben sollte, er­folgte erst wieder unter dem Jesus von Nazareth. Er entdeckte den "Schatz im Acker" der "Schrift" in Gestalt der Gott­eben­bild­lich­keit des Menschen. Demzufolge sah er sich gezwungen, in seinem Va­terverständnis Gottes, dem HERRN eine Absage er­teilen zu müs­sen, mit allen ihren Konsequenzen.
 
Im Dilemma seines Todes suchten seine Freunde nach Sinn und Ver­stand in diesem Geschehen. Die "Schrift" gab ihnen, was sie such­ten. So wurde aus Jesus der "Messias". Daß dabei wieder - ganz im Gegensatz zur Sicht Jesu - mo­nar­chisch escha­to­lo­gi­sche Theologie bestimmend wurde, nahmen sie in Kauf. Es weitete die Sicht der Dinge ins Ausschweifende.
 
Erst mit Beginn der Neuzeit, ganz besonders aber in un­se­rem Jahrhundert, meldet sich auch dem Christentum gegenüber die Wirklichkeit wieder zu Wort und stellt ihre Fragen.
 
Eine Antwort auf diese Fragen versucht Bultmanns zu geben., im Bemühen „intellektuell redlich“ zu sein, versucht er das Schrifttum das N.T.s zu „entmythologisieren“ d.h. nach Möglichkeit das Zeit- bedingte und das dem heutigen Menschen nicht mehr Zugängliche  und Entbehrliche  zu entfernen. So meint er, eine gültige und bleibende Botschaft herausfiltern zu können, sein „Kärygma“. Mit dessen Hilfe, Menschen ihre ständige Grenzsituation an Leid, Not und Tod erträglich und gar getrost erleben können, die „eschatologische Existenz“. Das ist aber nicht das  jahwistische Liebeswerben JHWHs und nicht die Faszination Je­su, sondern die Faszination einer Methode, mit der - vornehmlich die Theologen - sich von den Fesseln des Historismus und Dog­ma­tis­mus be­freit wähnen. Die Christologie tritt zurück und Jesus tritt wieder in die Mitte der Verkündigung., von Psychoanalyse und Soziologie aktiviert
Das Fazit, das der Verfassers aus dieser Studie zieht: Auch für uns Christen war, ist und bleibt die Achse allen Glaubens das Lie­bes­werben Gottes um den Menschen. Liebe, verstanden als be­din­gungslos geschenktes Leben in Geborgenheit, zu Mündigkeit und Selbstbestimmung (vgl. S.4).
 
Dieser Glaube wird dann - auch von uns Christen - unter einen Hut gebracht mit einer mo­nar­chischen Sicht Gottes, verstanden als Ge­borgenheit unter der Voraussetzung von Glaubensgehorsam seitens der Menschen. Diese Mesalliance zweier Todfeinde konnte nur zu Un­ge­reimt­hei­ten (Paradoxien) und deren Ungereimtheiten führen, Die Ursache aber aller Ungereimtheiten war der tödliche Fehler, in dieser Ehe auch die Liebe verordnen zu müssen. So kommt Jesajas (26,13) zu der weinerlichen Huldigung. „Es herr­schen wohl andere Herren über uns als du. Aber wir gedenken doch allein Dein und Deines Namens.“, und Hiob zu jenem heroischen Glaubenstrotz: „ Der Herr hats gegeben der Herr hats genommen. Der Name des Herrn sei gelobt !“ Jakobus aber krönt den Vorgang mit der Zumu­tung: “Achtet es für eitel Freude, wenn ihr in allerlei Anfechtung fallet.“ (1,2 f.).
 
„Was Gott tut, das ist wohlgetan!“ - ?? Der Respekt vor diesem Glaubenssatz schmilzt dahin. In der Psychoanalyse nimmt man schon kein Blatt mehr vor den Mund: Gerd Groothus in „Kindheitsvergiftung“ (Kore Verlag, Freiburg 1994) und Tilman Moser in „Gottesvergiftung“ (Suhrkamp TB, Frankfurt a. Main, 1976.). Aber sie, die Psychoanalyse,. stellt nur die Vergiftungser­scheinungen fest. Die Ursache kennt sie nicht!
 
Das Gift ist die verordnete Liebe. Diese Zwangsehe zweier Tod­feinde - eigentlich ein Unsinn! Aber sie hat Großes zu­wege gebracht, das sich nicht übersehen läßt. Wie konnte es dazu kommen? Die Verordnung enthält zwei Elemente: Ein herrschaftli­ches, dem Ge­horsam genügte und die Liebe, die eh und je in ihrem Zustande­kommen ein Geheimnis war, jedenfalls nicht befohlen wer­den konnte. Gehorsams- und Glaubensbeweise zu erbringen, lag im Be­reich menschlichen Vermögens. Was lag näher, als auch hier die Zwangsehe von dort zu übernehmen und Gehorsams- und Glau­bensbeweise als  Liebesbeweise zu verstehen , obwohl sie im Grunde nur H u l d i g u n g e n   bis hin zu Verzückungen  waren? Dem verdankt das große religiös-kulturelle Werk von Juden und Christen seine Im­pulse und seine Kraft. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Gottes­herrschaft und auf Seiten der Menschen dem Gehorsam und dem Glauben ein­deutig das Sagen eingeräumt wird Die Kehrseite dieser Huldigung war dann aber auch von Anfang an ein fanatischer Funda­mentalismus, der sich an diesem irrigen Liebesbeweis klammerte gewalttätig und zu jedem Opfer bereit.
 
Ist das Umgekehrte denkbar, daß Liebe Herrschaft ersetzt? Beide nehmen in Anspruch, Umgangsformen innerhalb der Menschheit zu sein, nur radikal anderer Art. Der Ruf der Liebe unterscheidet  sich von dem der Herrschaft darin, daß er auf das Herz des Angerufenen zielt und in ihm Verständnis und lebenswichtiges Einverständnis zu wecken versucht. Das kann oft lange dauern und sogar gänzlich vergeblich sein. Darauf will Herrschaft nicht warten müssen. Darum er­zwingt sie, was sie erreichen will, sei es durch Drohung oder durch Verlockung.
 Das Verlangen nach  lebenswichtiger Beteiligung des Herzens der Angesprochenen ist nie verstummt, und bei uns Christen in der Bitte um den Heiligen Geist , als einem  zusätzlichen Heilshandeln Gottes, lehrmäßig vor Anker gegangen.
Der Jahwist hatte das Problem nicht, denn er las  am normalen Eltern -Kindverhältnis ab , was da , und sonst nirgendwo, so natürlich
entstand und  Verbundenheit erzeugte, ohne Fesseln.: Bedingungslos geschenktes Leben  in Geborgenheit zu Mündigkeit und Selbstbestimmung, gültig  zu allen Zeiten und an allen Orten dieser Erde.
 
 
Wir wissen jetzt, welche Vorstellungen der Jahwist und Jesus davon hatten, wie Gott und Mensch ihr Beisammensein sehen sollten, eine Option, die aber von vor­neherein keinen Anklang fand. Muss es bei diesem Nein bleiben, oder öffnet sich uns noch einmal eine neue Sicht des Daseins?
 

 
Haine, den 26.6.1995 -  meinem 84. Geburtstag.


 
Nachwort:
 
Die Korrespondenz im Zusammenhang mit meiner Studie hat nun einen Umfang angenommen, der mir erlaubt, ein Ergebnis zu erkennen.
Was mich zu diesem Nachwort drängt, ist der Eindruck, daß einige meiner Leser offenbar meinen, es handele sich dabei um eine Idee, der ich mein Nachdenken zur Verfügung gestellt hätte. Das ist ein Irrtum. Darum muß ich hier noch einmal näher darauf eingehen.
 
Im Unterricht meiner Konfirmanden entdeckte ich, daß die Schöpfungsgeschichten aus Beobachtung und Erfahrung des Menschen und seiner Welt geschrieben und in das zeitgenössische Weltbild eingebaut sind. Sie waren damit für mich nicht mehr denkgeschützt
.
So stellte ich z.B. fest, daß es doch auffällig ist, wenn die Fische und Vögel am fünften Tage geschaffen werden und die Säugetiere zugleich mit den Menschen am sechsten Tage. Das macht doch nur Sinn, wenn für den Erzähler die Ver­wandtschaft der beiden längst ausgemacht ist. Oder in der zweiten Schöpfungs­geschichte: Die Erschaffung Evas aus der Rippe des Mannes. Nachdem Adam aus Erde gemacht ist, wäre Eva auf ewig die Nummer zwei geblieben, hätte er sie aus Erde gemacht wie die Tiere. Aber der Erzähler weiß, daß es so nicht gedacht ist und um dem zu entgehen, nimmt er die Eva aus der Nummer eins und unterstreicht ihre Ebenbürtigkeit. Und Ähnliches mehr.
 
So kam ich zu folgendem Ergebnis:
 
1. Die Liebesbotschaft der Landgabe und der Erwählung wird auf die Schöpfung übernommen und damit vom historisch Einmaligen zu etwas allzeit Gültigem, etwas Ewigen.
 
2. Die Gottebenbildlichkeit wird schon hier als Gotteskindschaft verstanden und als Quelle der Botschaft Jesu erkannt.
 
3. Die Eigenart des alttestamentlichen „Bundes“ mit seiner bedingunslosen Einseitigkeit wird am Eltern-Kind-Verhältnis abgelesen und dem entsprechend das Liebeswerben Gottes als bedingunglos geschenktes Leben in Geborgenheit zu Mündigkeit und Freiheit definiert.
 
4. Zum Wesen dieser Sicht der Dinge gehört der Verzicht auf Herrschaft, d.h., es muß offenbleiben, ob ein Mensch dies Liebeswerben Gottes und der Eltern wahrnimmt oder nicht. Man kann es ihm vor Augen führen, aber abverlangen kann man es ihm nicht.
 
5. Damit ist auch das Rätsel des „Heiligen Geistes“ aus der Welt; denn, wo es dazu kommt, daß ein Mensch sein Leben als von Gott und den Eltern geschenktes Leben, als Liebeswerben versteht, da und nur da, kommt es zu dem lebenswichtigen Einverständnis. Verordnen läßt sich das nicht.
 
In diesem Zusammenhang habe ich in Predigten hier und da ein Gleichnis verwendet:
 
„Am Abend der Hochzeit, als alle Gäste gegangen sind und das junge Paar alleine ist, da wendet sich der Ehemann in höchster Konzentration seiner jungen Frau zu und eröffnet ihr, daß er ihr nun sein schönstes und wertvollstes Geschenk für die ganze Ehe machen wolle. In feierlicher Form überreicht er ihr einen Schlüssel, den Haustürschlüssel. Die junge Frau kann sich keinen Reim darauf machen, was daran so Besonderes sein soll und nimmt ihn mit einiger Verwunderung. Im Laufe der Zeit entdeckt sie bei ihren Gängen in die Stadt auch noch andere Männer, die ihr schöne Augen machen. So kommt sie eines Tages nicht mehr heim. Jahre vergehen. Dann trifft es sich, daß die beiden, sich begegnen - ganz zufällig.. Sie ist ziemlich heruntergekommen. Das sieht der Mann auf den ersten Blick. Dennoch bittet er sie zu einem kurzen Gespräch ins nächste Cafe. Nach einigen belanglosen Worten, kommt er zur Sache und fragt sie: „Warum hast Du mich verlassen?“ Hatte sie auf diese Frage gewartet? Denn jetzt bricht es wie Groll aus ihr heraus: „Du! Du alleine bist schuld daran! Hättest Du mir den Haustürschlüssel nicht gegeben und mich vor diesen Erfahrungen bewahrt, wäre noch alles gut und schön.“ Traurig sieht der Mann die Frau an. Dann sagt er: „Tant pis“, legt Geld auf den Tisch und geht.
 
Die Geschichte könnte aber auch ganz anders enden.:
 
Auf seine Frage schweigt sie zunächst betroffen. Dann aber gesteht sie zögernd und fast unter Tränen: Sie habe in der Vergangenheit den Wert des Schlüssels begriffen und trage ihn ständig in ihrer Tasche bei sich als Erinnerung an ein verscherztes Glück. „Verscherzt“? fragt der Mann. „Komm heim! Du mußt dich erst einmal umziehen und schön machen!“
 
Ich hatte keine Idee, als ich mich an diese Arbeit machte. „Studie“ nenne ich sie, in Ermangelung einer anderen Bezeichnung, auch „Beweisaufnahme“, um deutlich zu machen, daß ich einer Spur nachgegangen bin, der jeder nachgehen und die jeder auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen eingeladen ist
 
Haine, den 14.02.2005.

 

 

                                                                                                                               



[1]   Eberhard Jüngel, Wertlose Wahrheit, München, 1990, S. 215
[2]   Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 1, S.99, Göttingen 1992.
[3]  Damit hatten die frühisraelitischen Theologen das Problem Hegels und Les­sings bereits erkannt und gelöst. Lessing: "Zufällige Ge­schichts­wahr­heiten können der Beweis von not­wendigen Vernunftwahrheiten nie wer­den," und der Übergang, wodurch man auf eine geschichtliche Nach­richt eine ewige Se­ligkeit bauen will, ist ein "Sprung".(Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft , 1777).
[4]        Dem aufmerksamen Leser muß es auffallen, daß in dem ersten Bericht das "Trocke­ne" aus dem Wasser geholt werden muß, während im zweiten Schö­pfungs­bericht erst mit dem Regen die Erde zum Lebensraum der Menschen wird.
          Die Forschung hat nun auch sichergestellt, daß der erste Erzäh­ler in die sogen. "Priesterschrift" gehört und der zweite dem sogen. "Jahwisten" zuzurechnen ist.
[5]  Von Rad, Theologie des Alten Testamentes, Bd 1, München 1957, S. 27, Anmerkung 27: „Bergrich hat gezeigt, daß der Bund an sich keine Forderung enthielt und daß eigentlich kein rechter Zusammenhang zwischen Bundesschluß und Gesetzge­bung besteht.“
[6]   „Hast du je daran gedacht, wie sehr ich Dich geliebt habe? Mich hast Du nicht davon anfangen hören, nie, denn ich finde, daß der, der geliebt wird, das selbst erfahren und erkennen muß, wenn nicht, tant pis, mon cheri!“ Hugo Claus: Der Kummer von Flandern, München, 1991, S.625
[7]      Das Weihnachtslied des Paul Gerhardt "Ich steh an deiner Krippen hier" enthält die Strophe: "Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden."
          Gilt auch auf Vater und Mutter bezogen.
[8]        Harald Grün-Rath, Göttinger Predigt Meditationen, 1994, S.93
[9]   Ludwig  Köhler zu  1.Mose 1,28 :“Das ist der Auftrag zur Kultur. Er geht an alle Menschen;  er  umfaßt alle Zeiten; kein menschliches Tun, das nicht ihm unterstellt ist. Jener erste Mensch , der mit den Seinen  auf schutzloser Steppe eisigem Wind ausgesetzt , ein paar Steine aufeinanderlegte  und so die Mauer, die Grundlage aller Architektur erfand, erfüllte diesen Auftrag . Jene erste Frau, die einen harten Dorn oder eine Fischgräte durchbohrte und ein Stück Tiersehne hindurchzog, um ein paar Fetzen Fell aneinaderfügen zu können  und die so die Nadel, das Nähen , den Anfang aller Kleiderkunst,erfand, erfüllte diesen Auftrag . Bis heute ist jede Unterweisung eines Kindes , jede Art von Schule , jede Schrift, jedes Buch , alle Technik, Forschung und Wissenschaft und Lehre mit ihren Methoden , ihren Instrumenten und Institutionen nichts anderes als die Erfüllung dieses Auftrags. Die ganze Geschichte alles menschliche Streben steht unter diesem Zeichen, unter diesem Bibelwort.
    Das ist seine objektive Seite . Es gibt auch eine subjektive Seite . Jeder Mensch muß. das liegt unverlierbar in seiner Natur, mit dem Leben fertig werden .Er muß zu dem, was ihm widerfährt, sei es, daß ihm ein Stäubchen ins Auge weht, sei es,  daß eine Wasserflut ihn und die Seinen  am Leben bedräut, nichts ist zu klein und nichts ist zu groß, der Mensch muß mit ihm innerlich fertig zu werden suchen ......An der Art, wie ein Mensch innerlich mit den Dingen fertig wird, wird sein Wesen erkannt,“ Mensch 112 f. (Zitiert nach: Hans Walter Wolff  „Anthropologie des A.T.s Kaiser München 1973  S.240 )
Dietrich Bonhoeffer geht so weit, daß er den Menschen anrät, ihr Tagewerk zu tun, "als ob es Gott nicht gäbe".
Harvey E.Cox: "Die Welt ist zu unserer Aufgabe geworden und in unsere Verantwortung gestellt." (Zitiert nach J.Sperna Weiland, Orientierung, Furcheverlag 1970.)
[10] G. von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd.1, München, 1957, S.21 Dort finden sich Ar­gu­mente für eine Übersetzung des Wortes JHWH mit "der lei­den­schaft­lich Liebende".
[11] Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestament-li­cher Zeit I, Göt­tingen 1992, S.131: "Der demokratische Grundzug der is­rae­li­ti­schen Gesel­lschaft und der antiherr­schaftliche Charakter ihrer Got­tesbeziehung fan­den in der po­pulistischen Form des Grußkultes ih­re angemessene Ent­spre­chung."
[12]     Von "Sünde" kann erst in diesem Zusammenhang die Rede sein: Erst unter dem Aspekt herrschaftlicher Strafmaßnahmen wurde der Lebensraum des Menschen zu Ausland (mhd. "Elend"). 
[13]       Wo immer das Liebeswerben Gottes unerkannt und unbegriffen bleibt, kann es auch für den Menschen nicht "lebenswichtig" werden. Es fehlt dem Menschen für sich und für die anderen die göttliche ab­so­lu­te Wertung ihres Lebens mit all den Folgen, die sich daraus ergeben.
[14]     Wie nahe dieser Jesus schon dem ursprünglichen Verständnis der zweiten Schöpfungsgeschichte kam, beweist das Gleichnis vom "Verlorenen Sohn". „Die Religion Jesu besitzt ihr vollständiges, einfachstes und tiefsinnigstes Glaubensbekenntnis, ihre erhabenste Apologie in dieser Parabel.“( Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu , 2. Teil, S. 365, Tübingen 1910)
[15]       Unter dem Begriff 'patär' (Vater) ist im Theologischen Wörterbuch zum Neu­en Testament zu lesen: "Nur wenn man die pri­märe Bedeutung von Got­tesherrschaft verkürzt, wird man das Gott-König-Motiv bei Jesus ver­missen. Freilich bedarf es einer Erklärung, warum bei den Syn­op­ti­kern eine so spärliche Ver­wendung von basileus (König) für Gott vor­liegt"..."Das könig­liche Herrenwalten im Sinne der jetzt ein­grei­fen­den Heilszeit ist zugleich das väterliche Gnadenwalten"..."Die no­mis­tische Ein­engung der Begriffe 'Herr', 'König', 'Richter’ ist durch ihn (Jesus) beendet." Theologisches Wörterbuch zum Neuen Te­stament, Bd.5, S.996, Stuttgart
          Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Joachim Jeremias, Die Gleichnisreden Je­su, Göttingen, 1988, S.20: "An eini­gen Stel­len wird in den Gleich­nis­sen auf Schriftworte Bezug genommem (Mk. 4,29.32; 12,1.9a 10 f. mit Parallelen; Matth. 25,31.46 vgl. Luk. 13,27.29). Die ohnehin auf­fäl­lig geringe Zahl der Belege schmilzt zusammen mit der Erkenntnis, daß von den zuletzt genannten vier Belegen aus Matthäus und Lukas min­des­tens drei, wenn nicht alle vier sekundär sind. Darüber hi­naus müs­sen aber auch die übrigen fünf Belege angesichts des abwei­chenden Tat­bestandes im Thomas-Ev. überprüft werden."
          Vgl. zudem auch: Ulrich Wilckens, "Die Überlieferungsge­schichte der Auf­erstehung Jesu", in: Schriftenreihe des Theo­logischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union, Gütersloh, 1966, S.52: Wilckens ver­weist dort auf die faktische Traditionslosigkeit Jesu, indem er sagt: "Er hat das endzeitli­che-zuküntige Gottesreich so einfältig als na­he, als die kon­krete Gegenwart jetzt und hier total bestimmend in An­spruch genommen, wie das, nach den Maßstäben jüdischer Tradition ge­urteilt, nur Gott selbst kann und darf. Er hat darum faktisch kei­nerlei Tradition sozusagen zur Deckung dieses unerhörten Anspruchs ge­brau­chen können; was das Gesetz, was die Väter sagen, war nicht die In­stanz, durch die er sich legitimiert hat - im Gegenteil, er hat zu­wei­len gegen ihre Stimme entschieden. Auf irgendwelche Inspiration hat er sich, der Überlieferung zufolge, nicht - jedenfalls nicht ent­schei­dend - berufen. Prie­sterliche Tradition gibt es gar nicht unter sei­nen Worten. Er hat über die bestehenden Autoritäten hinweg für sein Wirken die Autorität Gottes unerhört einfach in Anspruch ge­nom­men: und war doch nicht Gott selbst."
          Ausführlich darüber: Ernst Käsemann in "Exegetische Versu­che und Besinnungen", Bd.1 Göttingen, 1960, S.187-197 und 199-214).
[16] Dostojewski schreibt in seiner Novelle: „Die Wirtin“: „Präge dir das ein: Ein schwacher Mensch für sich allein hat keinen Halt gnädiger Herr: Und wenn man ihm alles mögliche gibt, so wird er selbst kommen und alles zurückgeben. Man versuche es und gebe ihm die halbe Welt, damit er über sie herrsche, was meinst du? Er wird sogleich auf der Stelle sich in ein Mauseloch ver­stecken; so gerne ist er klein. Man gebe ihm seinen freien Willen, dem schwachen Menschen - er wird ihn selbst binden und zurückbringen. Ein törichtes Herz hat auch von der Freiheit keinen Gewinn.“ ( Insel-Taschenbuch 975, Frankfurt a. Main, 1986, S.160)
 

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