Leserbrief 2023.05.04



„Herrschaft noch a mol!“ (schwäbisch) Was ist mit St.Johann los?

Da liest der erstaunte Zeitungsleser in einem Bericht über die Verpflichtung von Florian Bauer für eine zweite Amtszeit „für ihn bedeute das Amt aber „eine Herrschaft auf Zeit““ sollte das Zitat korrekt sein, dann scheint einer die Geschichte nicht zu kennen. Bereits 1514 im Bauernkrieg lehnte sich der Würtinger Singerhans und der Bleichstetter Konrad Griesinger gegen die Herrschaft auf – es gab dazu ein Theaterstück vom Lehrer Hans Eberhardt, das anlässlich von 850 Jahren Würtingen Ohnastetten und Upfingen im Festzelt und in der Festhalle in Würtingen von einigen Mitbürgern und mir aufgeführt wurde. Allerdings trafen sich die Anhänger von Singerhans und Griesinger lieber in Gächingen, denn da war man etwas revolutionärer. Sie wurden von der Herrschaft (in Gestalt von Forstmeister Stephan Weiler aus Urach) brutal niedergemacht und gefoltert. Und dann nicht - zu vergessen - die 1848 Revolution, in der Liberale und Sozialisten die Herrschaft abschaffen und durch demokratische Strukturen ersetzen wollten, mit dem Höhepunkt eines ersten Parlamentes in der Frankfurter Paulskirche. Aber auch diese Revolution wurde von der Herrschaft sehr schnell niedergeschlagen. Erst nach der Herrschaft eines Kaisers, der den 1. Weltkrieg verlor, wurde in der Weimarer Republik – wieder mit Hilfe der Liberalen – die Herrschaft durch eine Verfassung ersetzt, um dann wieder von einer Herrschaft mit entsetzlichen Folgen ersetzt zu werden. Welch ein Glück, dass wir heute keine Herrschaft mehr haben, sondern Gesetze, an die sich jeder zu halten hat, auch ein Bürgermeister. Hat Herr Bauer die Geschichte vom Singerhans, einem Bauern aus Würtingen und die der Liberalen - denn er ist ja Mitglied der FDP, also der Liberalen Partei - nie gelesen? Heute hat ein Bürgermeister keine Herrschaft, und sei es nur eine auf Zeit, mehr auszuüben, sondern er ist gewählt und hat ein Amt nach Recht und Gesetz zu verwalten und zu gestalten. Mit anderen Worten, er ist ein vom Bürger bezahlter Dienstleister und die Gemeinderäte/innen haben die Aufgabe ihn dabei zu unterstützen oder ihm aber auch mal kräftig auf die Finger zu hauen, wenn er meint wieder Herrschaft spielen zu können.

Das scheint aber bis heute nicht nur bei den Bürgermeistern, sondern auch in der gesamten Gemeindeverwaltung, aber auch auf den Landratsämtern usw. mehr in den Leitbildern zu lesen zu sein, als in der Realität gelebt zu werden. So versuchte ich neulich einen Text einer Anzeige, die ich bei der Polizei erstattet hatte und deren Text von der Polizei an die örtliche Polizeidienststelle nach St. Johann weitergeleitet wurde, kopiert zu bekommen, da mein Computer durch einen Festplattendefekt den Text nicht mehr enthielt. Was ich wollte, war also nur mein geistiges Eigentum als Kopie, aber die Dame im Amt, meinte sie dürfe das nicht und verweigerte die Kopie. Man fragt sich: Welche Herrschaft stand hinter dieser Entscheidung? Wohl kein Gesetz, denn geistiges Eigentum ist urheberrechtlich geschützt und das Urheberrecht liegt in diesem Fall ja eindeutig bei mir. Na, ja, mit Hilfe eines wunderbaren, längst überfälligen Gesetzes aus dem Jahr 2020, dem BIF-Gesetz (Bürger-Informations-Freiheits-Gesetz), das die Behörden zwingt uns Bürgern Einblick in die Akten (selbstverständlich mit Schwärzung personenrelevanter Daten) zu gewähren, werde ich meinen Text dann als Kopie bekommen und vielleicht auch ein Antwort darauf, warum meine Zeugen in dieser Anzeige nicht befragt und deren Wissen übergangen wurde.

Dass man im Amtsblatt der Gemeinde St.Johann „St.Johann Aktuell“, das mit wenigen amtlichen, vielen nichtamtlichen Nachrichten (Vereine /Kirchen) die Seiten füllt - trotz meiner Anregung an eine Gemeinderätin - keine Möglichkeit hat, Leserbriefe zu veröffentlichen, finde ich traurig, denn muss ganz Reutlingen, ganz Metzingen und wohl auch Münsingen über die Querelen in St.Johann informiert werden? Müssen wir „Nicht-Vereinler“ erst einen Verein oder eine Kirche gründen, um im Amtsblatt auftauchen zu dürfen? Ich habe eine andere Idee: Wir machen einen „St.Johann Blog“. Es wäre schön, wenn sich jemand mit Erfahrungen im Bloggen bei mir melden würde. Meine Telefonnummer steht im Telefonbuch und wenn Sie in die Google-Suche „Selbstportraits Ausstellung Gächingen 1964“ eingeben, finden Sie auch meine Homepage.

 

Joachim Wilhelmy, Gächingen