Otto
Wilhelmy
JESU "SCHATZ IM ACKER" Oder die Philosophie vom Erwähltsein des mündigen Menschen (1993 - 1995) |
Auch für uns Christen beginnt alles Denken und Reden von Gott im Alten Testament mit der Geschichte der Erwählung Israels. Fragt man nach Zweck und Ziel dieser „Erwählung“, so antworten auch wir Christen aus unserer Sicht bis auf den heutigen Tag mit dem sogen. „Höchsten Gebot“: „Du sollst Gott, Deinen Herrn, liebhaben, von ganzem Herzen , von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft!“ (5.Mose 6,4 f.). Dieses Glaubensbekenntnis erklärt sich - so Rainer Albertz - folgendermaßen: "Von den besonderen Anfangsbedingungen der israelitischen Religion her ist JHWH der Gott einer Großgruppe, die ihm ihre Freiheit, ja ihre Existenz in all ihren Gefährdungen verdankt."[2] Es ist der Ausdruck der Faszination von JHWHs Liebe, begriffen im Nachdenken über die Landgabe. Das Bekenntnis enthält noch nichts von einer Forderung nach Monotheismus und liebender Gegenleistung, denn es ist das von JHWH erwartete liebende und lebensbestimmende Echo auf das Geschenk der Landgabe, mit dem Eingeständnis, anderer Götter nun und nimmer mehr zu bedürfen. Es ist nicht Offenbarung von Seiten JHWHs, sondern deutende Entdeckung auf Seiten der Menschen. Auf die Dauer konnte die Landnahme alleine die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs nicht mehr tragen; denn die erlebte Wirklichkeit bei der Inbesitznahme des Landes (die nach heutiger Ansicht ca. 2OO Jahre benötigte) sprach erwiesenermaßen eine andere Sprache. Wirklichkeit und Glauben drohten auseinanderzubrechen. Dem haben die Verfasser der Schöpfungsgeschichte Einhalt zu bieten versucht, indem sie die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs in das Wunder des Daseins des Mensch und seines Lebensraums verlegten. Jesajas (51,12 f.) denkt in dieser Reihenfolge: Erst die Erwählung, dann die Schöpfung.[3] Zwei “Schöpfungsberichte“[4] der Erzähler stehen gleich an der Pforte der Bibel Rede und Antwort. Der erste - der "Sieben-Tage-Bericht" - zielt auf die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und als Ebenbild Gottes. Eine Würdigung sondergleichen, was auch immer der Ausdruck "Ebenbild Gottes" zunächst heißen mag. Im zweiten Schöpfungsbericht - dem "jahwistischen" - findet sich das Menschenpaar zusammen mit der Tierwelt in einem Garten. Damit ist das Dasein der Menschen auf den einfachsten bleibenden Nenner gebracht. Im Unterschied zum ersten Schöpfungsbericht, in dem die Menschen aufgefordert sind, sich zu mehren und sich die Erde untertan zu machen, wird ihnen hier die große Freiheit eröffnet, von allen Bäumen im Garten essen zu dürfen, ausgenommen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Die Schlange, auch ein Geschöpf Gottes, verstärkt die Neugier der Menschen, die durch eine solche Ausnahme zwangsläufig geweckt wird, indem sie verspricht: "Ihr werdet sein wie Gott!" Das ist in der Tat der Menschheit Grundsituation, daß sie zwischen Gut und Böse, zwischen richtig und falsch, zwischen Lüge und Wahrheit leben und Entscheidungen treffen muß. Eine gefährliche Situation. Es geht oft um Tod und Leben. Unsere beiden Menschen leisten in der Erzählung weder Gottes noch der Schlange Stimme Gefolgschaft. Sie tun, was Menschen zu tun geübt sind, sie verlassen sich auf ihre eigene Urteilskraft. Sie befragen im Grunde den Baum und nehmen die Sache damit selbst in die Hand. Sie klären, was gut und was böse ist, auf ihre Weise. Aber die Schlange lügt mit ihrer Verheißung "Ihr werdet sein wie Gott", und der Baum betrügt, wenn er den Anschein erweckt, als wäre gut von ihm zu essen, und Gott mahnt nicht nach, wie er es dann in der Geschichte von Kain und Abel tut. Was ist da falsch gelaufen? Wer trägt dafür die Verantwortung? Adam sagt: "Das Weib, das Du mir gegeben hast." Eva, dadurch in die Enge getrieben, sagt: "Die Schlange (zu ergänzen: die Du geschaffen hast) betrog mich." Die Erzähler haben damit auch wieder typisch menschliche Verhaltensweisen in dieser Szene zur Darstellung gebracht.(Indirekt wird diese Schuldzuweisung bis heute aufrecht erhalten in Gestalt der Bitte um den „Heiligen Geist“.) Auf ein Mißverständnis kann sich Eva nicht berufen, denn sie hat im Gespräch mit der Schlange den Wortlaut der göttlichen Willensäußerung wiederholt, übertreibend sogar. Die Schlange ist weder zufälliger- noch unglücklicherweise im Garten. Sie ist eine wohlerwogene Figur in dem Spiel, das da abläuft. Ohne sie hätten die Menschen keine Alternative und wären in Gottes Willenswelt eingeschlossen. Die Schlange ist gewissermaßen eine Tür, durch die die Menschen die Willenswelt Gottes verlassen können. Insofern aber, als Gott selber diese Tür will, ist sie sein äußerstes Geschenk an Freiheit. Er vertraut den Menschen gleichsam den Haustürschlüssel zu seinem Haus an. Mit diesem Schlüssel können sie gehen und kommen, können bleiben und wegbleiben. Was sie an sein Haus binden soll, ist alleine die Freude an diesem Schöpfer und an der Art, wie er seine Geschöpfe ebenbürtig behandelt. Erst dieses Risiko in Sachen Mensch ist die Vollendung der Schöpfung und der Gipfel des Liebeswerbens JHWHs.[5] (‘Liebeswerben’!? Weder im Zusammenhang der Landnahme noch hier findet sich auch nur die Spur dafür, daß JHWH selbst sein Handeln als ‘Liebeswerben’ deklariert habe.[6] Die Philosophen - oder waren es schon Theologen? - erst haben den Vorgängen von Erwählung, Bund, Landgabe und Schöpfung diese Bedeutung zuerkannt und ihre Erkenntnis als Bekenntnis für sich und die Menschheit festgeschrieben und JHWH in den Mund gelegt. Sie konnten nicht ahnen, daß ihre späteren Kollegen daraus die Berechtigung ableiten würden, auch ihrerseits, je nach Bedarf, es ihnen gleich zu tun und ihre Deutung der Ereignisse als „Spruch des Herrn“ zu autorisieren und so zur herrschaftlichen Offenbarung zu machen - in Form von Drohungen oder auch in Form von Verheißungen.) Der Jahwist bedient sich auch hier einer allgemein menschlichen Vorgabe: Der Geburt eines Kindes. Dazu gehören auch die Schritte, die vollzogen werden müssen, wenn „ein Kind in die Welt gesetzt wird“: Von den Eltern gewollt und gezeugt und von der Mutter geboren, bleibt es in der Obhut der Eltern, bis es mündig ist. Dann erst wird es selbstverantwortlich in die Freiheit entlassen und dies alles mit den dazugehörigen Risiken. Im Grunde ist das ganze Leben eines Menschen der Eltern Geschenk[7] und als solches der schönste Ausdruck ihrer Liebe und ihres Wunsches, das Herz ihres Kindes damit auf Dauer gewonnen zu haben oder es wiederzugewinnen, falls es "verloren" war. Vom Totalitätsanspruch ist darin keine Spur. "Wie kann ein Mensch den vergessen, der ihn geschaffen hat. Das ist nach alttestamentlichem Verständnis schlicht unsinnig."[8] Darum steht das Elterngebot auch auf der 1. Tafel des Dekalogs. Die "Gottebenbildlichkeit" ist schon beim Jahwisten eindeutig als "Gotteskindschaft" verstanden, und daher liegt hier Jesu „Schatz im Acker“. Das ist - wohlgemerkt - die Entdeckung des Erzählers und seiner Kollegen, die gleich ihm bereits um das Liebeswerben JHWHs in der Landgabe wissen und die nun auch in der Schöpfung dieses Liebeswerben am Werk sehen und damit erst entdeckt haben. Die oder der Erzähler konnten nicht ahnen, daß ihre Entdeckung kaum Resonanz finden wird. Statt dessen ging das "Du ,JHWH, bist selber schuld!" in die Theologie ein, und fortan beanspruchte die Forderung an JHWH, dies Risiko in Sachen Mensch im nachhinein wieder rückgängig zu machen und mittels seines Geistes auf ihn Einfluß zu nehmen oder sogar ein neues Liebeswerben zu inszenieren, einen breiten Raum. Im Zeitalter des Computers liegt es nahe, eine Schuldzuweisung an Gott damit zu begründen, daß er in seiner Allmacht seine Menschen hätte programmieren können.. An das hat offenbar auch schon Jeremia gedacht, der Gott - im Zusammenhang mit der Ankündigung eines neuen Bundes - sagen läßt: Gott wolle dann sein Gesetz "in ihr Herz schreiben" (Jer.31.31 ff.). Ebenso Hesekiel, der im Rahmen des neuen Bundes "das steinerne Herz" Israels gegen ein "fleischernes" auswechseln will (Hes. 10,19) und Joel, der erwartet, daß JHWH seinen Geist "auf alles Fleisch ausgießen" wird (Joel 3). Die Diagnose der Propheten ist richtig. Israels Herz ist nicht lebenswichtig bei der Sache und darum sein Gottesglaube nicht im Geiste JHWHs. Aber die JHWH vorgeschlagene Therapie ist falsch, nein tödlich! Tödlich insofern, als Gottes Liebeswerben auf mehr aus ist, als auf mehr oder weniger gehorsame Untertanen. Es ist ja Liebeswerben. Das aber schließt jede Form der Entmündigung aus, weil Entmündigung zugleich Entwürdigung bedeutet und damit das Aus der Liebe JHWHs. Außerhalb der Liebe JHWHs hat der Mensch keine Würde, er ist tot, auch wenn er noch leben sollte (vgl.. “Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“ : „Siehe dein Bruder war tot und er ist wieder lebendig geworden“.). In der auf die Schöpfungsgeschichte folgenden Erzählung von Kain und Abel lassen sich die gleichen Tendenzen erkennen: War in der Schöpfungsgeschichte von JHWH und dem Menschen die Rede, so ist in der Erzählung von Kain und Abel von JHWH, dem Menschen und seinem Mitmenschen die Rede. Auch hier wird eine allgemeinmenschliche Situation ins Bild gesetzt. Nomade und Ackermann werden in dieser Erzählung einander gegenüber gestellt, beide mit ihren jeweiligen Gottesdiensten. Aber dem Nomaden wendet sich JHWH - ohne erkennbaren Grund - bevorzugt zu. Diese „Erwählung“ JHWHs steht im Raum und ist für Kain rätselhaft. Als Kain deshalb verärgert reagiert, wird ihm von JHWH nahegelegt, nicht vorschnell zu handeln, sondern sich den Vorgang noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, denn jetzt käme es darauf an, die richtige Entscheidung zu treffen: Diese Erwählung sich gefallen und JHWHs Freund, auch seinen Freund sein zu lassen. Aber Kain sieht diese Alternative nicht und tötet Abel. Er wird von JHWH nicht daran gehindert, genauso, wie JHWH Adam und Eva in ihrer freien Entscheidung nicht einengt. Ein Verzicht auf herrschaftliche Maßnahmen Diese beiden jahwistischen Erzählungen stellen den Menschen dar, wie er in vielen Entscheidungen seines Lebens auch zwischen JHWHs Ratschlag und oft gegenteiligen Ratschlägen anderer zu entscheiden hat. JHWH fällt dem Menschen nicht in den Arm, wenn der Mensch sich nicht für JHWH, sondern gegen ihn entscheidet. JHWH respektiert die Freiheit des Menschen und die in ihr dem Menschen geschenkte Kreativität, seine Probleme selbstverantwortlich zu lösen. Selbstverantwortlich, d.h. im liebenden Einverständnis mit JHWH, das Herrschaft auch seitens der Menschen über Menschen ausschließt. Der Verzicht auf herrschaftliche Einflußnahme bringt diesen JHWH für unsere Erzähler in eine eigentümliche Nähe zum Menschen, und umgekehrt: der Menschen Freiheit und Kreativität bringt diese in eine eigentümliche Nähe zu Gott.[9] Es geht diesem JHWH ( "der leidenschaftlich Liebende"[10] ) um das Herz des Menschen; er will ihn nicht an sich fesseln, sondern er sucht das Einverständnis seines Geschöpfes zu dem, was er ihm bietet und was kein anderer Gott ihm zu bieten vermag. Dieses Einverständnis ist das ‘Höchste Gebot’. Es besagt nämlich: Wir verstehen Dein Tun, und das, was du mit all dem sagen willst, und darum werden wir es uns unermüdlich als unser Verständnis und Einverständnis in Erinnerung bringen. Diese Erzählungen müssen aus einer Zeit stammen, in der das Nachdenken über die Freiheit hoch im Kurs stand und von herrschaftsfeindlichen Gedanken genährt wurde. Tatsächlich hat die Religionswissenschaft im Stämmeverbund Israels herrschaftsfeindliche Lebensformen feststellen können.[11] Unter diesem herrschaftsfeindlichen Aspekt wird man das sogen. ‘Höchste Gebot’ in seinem ursprünglichen Verständnis lesen müssen. Unter diesem Aspekt ist dann auch der Dekalog so etwas wie ein Einblick in JHWHs Wunschdenken bezüglich der Geborgenheit des Menschen (die Gebote der 2.Tafel) und eine Einladung zum 'Einverständnis' zwischen JHWH und den Menschen. Für dieses 'Einverständnis' haben unsere Erzähler eigenst einen Begriff zur Hand, das Wort 'Zedaka'. Die deutsche Übersetzung mit dem Wort 'Gerechtigkeit' ist irreführend. Aber die Königszeit Davids und Salomos wurde als ein neues Heilshandeln JHWHs gedeutet und bekam so ihr Gewicht: Das beweist, daß die Landnahme die Beweislast für das Liebeswerben JHWHs nicht mehr alleine tragen konnte und ein neuerlicher Liebesbeweis willkommen war. So wie er sein Volk mit Gewalt aus Ägypten in die Freiheit geführt hatte, so hatte er es jetzt noch einmal mit Gewalt in die Geborgenheit eines Staatswesens gebracht. JHWH war zwar sein Name, aber was besagte das schon?. Eine bestimmte Vorstellung ergab sich daraus nicht. Was lag näher - nach all den Erfahrungen, die es mit ihm gemacht hatte - ihn im Bilde eines Monarchen sich vorzustellen . Das Vierbuchstabenwort JHWH ließ man in den Schriften stehen und benutzte es auch weiter, aber man las hinfort das von 'Adon' ('Herr') abgeleitete 'Adonai' ('Mein Herr'), also die Anrede für einen Herrscher. Aber damit nicht genug: JHWHs Wille wurde nun der Befehl eines Herrn, dem gegenüber Gehorsam erwartet und belohnt wurde, dem gegenüber Ungehorsam und Aufsässigkeit mit Sanktionen belegt bzw. bestraft wurde, dem Grundgesetz aller Monarchie.[12] Das willig ja freudig gegebene Zugeständnis, keines anderen Gottes jemals zu bedürfen, wurde nun zum Totalitätsanspruch des Monotheismus .(Wir Christen haben diesen Vorgang mit allen Konsequenzen nachvollzogen, als wir den Menschen Jesus zum Christus und Alleinherrscher über die Welt machten) Das gesamte religiöse Schrifttum wurde nun abgeklopft und auf seine Brauchbarkeit für diese neue Gottessicht hin untersucht. Dabei stellte sich heraus, daß auch die zweite Schöpfungsgeschichte nahezu unverändert übernommen werden konnte, wenn sie als "Probelauf" für den Gehorsam des Menschen verstanden wurde. Das Ergebnis der zweiten Schöpfungsgeschichte - wenn sie als eine Liebeswerbung verstanden wurde - ist der Verlust der Würde der Gottebenbildlichkeit für den Menschen: "Sie sahen, daß sie nackt waren". Und die Erkenntnis diese Verlustes durch die Menschen zeigte sich im: "Sie schämten sich".[13] Das Ergebnis der zweiten Schöpfungsgeschichte - wenn sie als Gehorsamsprobe verstanden wurde - war dagegen die Forderung nach einer strengen Strafe: Die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, so daß der Mensch fortan mit dem Odium behaftet war, daß sein "Dichten und Trachten böse sei von Jugend an". Dies ist die schlimmste Verunglimpfung des Menschen, die je über ihn ausgesprochen wurde, von den verheerenden Folgen für die Wertschätzung des Menschen gar nicht zu reden. ( Franz Kafka: „Der Prozeß“ Fischer TB 676 Frankfurt am Main 1977 ) Dabei diente sie dem Verfasser nur dazu, das Staunen über seinen Gott zu steigern, der trozdem das Leben der Menschen zu ertragen bereit war. Sie gehört darum in die Kategorie der Huldigungen .(„Preisungen“ M. Buber) und nicht in die der Antropologie. Im Zusammenhang damit verloren die beiden Schöpfungsberichte das Charakteristische des Liebeswerbens, auf das die Erzähler so bedacht gewesen waren: dies beglückende und Staunen erweckende einzigartige und einmalige Verhalten JHWHs seinen Geschöpfen gegenüber, das ihn "einzig" machte. Einem solchen HERRN konnte man nun auch dienen, was dem rätselvollen JHWH gegenüber unmöglich gewesen war. Diesem HERRN konnte man nun auch huldigen und man tat es mit dem charakteristischen Überschwang aller Huldigungen, wie die Psalmen beweisen. Diesem HERRN dienen dann auch die Propheten ausnahmslos und mit dem Einsatz ihres ganzen Könnens, ja sogar mit dem Einsatz ihres Lebens, Deuterojesajas nicht ausgenommen. Immer mit dem Blick nach vorne gewandt, handhaben sie das herrschaftliche Instrumentarium ihres HERRN in Gestalt von Drohungen und Verheißungen , als ob er selber der Sprecher wäre. Keine, der von den Propheten erhofften, neuen Großtaten des HERRN im Ringen um das Herz der Menschen hat sich in den Jahrhunderten nach dem Exil erfüllt. Die Deportierten sind zwar zurückgekehrt, Jerusalem und der Tempel wurden wiederaufgebaut. Aber keine der vollmundigen Heilsweissagungen der Propheten erfüllte sich. Bis, ja bis dieser Jesus in die Geschichte eintrat und den zeitgenössischen Glauben seines Landes grundlegend in Frage stellte. Ihm muß schon früh die radikale Liebesforderung des HERRN zu denken gegeben haben. Es war ja nicht zu übersehen, daß die Liebesbeweise Gottes in der Landgabe oder auch in der Königszeit Davids und Salomos längst nicht mehr Beweiskraft für das Heute und Jetzt seines Volkes hatten. Auch ihm wurde bewußt, was der Jahwist vor ihm und Hegel und Lessing viel später nach ihm erkannten, daß „zufällige historische Geschichtswahrheiten“ wie die Landnahme oder auch die Königszeit Davids ihre Faszination auf die Dauer nicht behalten konnten, wenn sie nicht in ständiger Wiederholung präsent blieben. Wo aber fand er einen Liebesbeweis seines HERRN, der diesem das Recht gab, die Liebe seiner Menschen bis in den letzten Tropfen Blutes zu erwarten und an der die Wechselfälle des Lebens nichts abbrechen konnten? Er fand das, was er suchte im ersten Schöpfungsbericht und in der dort geschenkten Gottebenbildlichkeit des Menschen. Jesus mußte dem HERRN seiner Zeit, der seine Menschen als Untertan behandelte, den Ungehorsamen mit Gewalt drohend, den Gehorsamen geneigt - diesem HERRN mußte er den JHWH der Schöpfungsgeschichte zum Vergleich zur Seite stellen. Dabei stellte sich dann unweigerlich heraus, daß der JHWH der Schöpfungsgeschichte mit Sicherheit kein Monarch sein wollte, der sich Untertanen schuf. Aber wer war dieser JHWH dann? Wem ähnelte er, wenn er von seinem Geschöpf erwartete, daß es sich seines Glückes bewußt, ihm, dem Schöpfer, seine ganze Liebe schenken sollte? Jesus entschied sich für das Naheliegende: Dieser Gott war ein 'Vater'! Ein rechter Vater ist nach dem Verständnis des Jahwisten alles andere als ein Herrscher. Ein rechter Vater und eine rechte Mutterziehen ihre Kinder nicht auf, um sie an sich zu fesseln, sondern um sie flügge zu machen und dann abzuwarten, ob es sie heimzieht. Das kann lange dauern. Es kann aber auch gänzlich vergeblich sein.Sicherstellen läß sich das nicht. Diese Entdeckung muß Jesus voll befriedigt und mehr als das, sie muß sein ganzes Leben umgestaltet haben, so daß er, wenn er gefragt wurde "Bist du Gottes Sohn?" mit Fug und Recht antworten konnte: "Du sagst es", ( er selbst nannte sich lieber Menschensohn JHWHs, wohl um dem Mißverständnis vorzubeugen, seine Herkunft sei göttlicher Art). Er hatte den 'Willen Gottes' verstanden, und nun waren diejenigen, die diesen Willen auch verstanden seine "Mutter" und seine "Brüder und Schwestern".[14] Aber was war nun der Wille Gottes? Die Vorstellung einer Königsherrschaft Gottes war zerstört.[15] Die Würde des Menschen als Kind JHWHs mußte zum Tragen kommen. Dieser Liebesbeweis mußte und konnte jetzt und hier erbracht werden, im „Heute“. Eines endzeitlichen (eschatologischen) Drängens bedurfte es dabei nicht. Es gab für Jesus nun keine würdelosen Menschen mehr. Ob Mann oder Frau, ob Kind oder Kranker, ob Ehebrecherin oder Zöllner, er suchte mit ihnen Umgang. In seinen Gleichnissen versuchte er dafür Verständnis zu wecken. Die herrschaftsfeindliche Haltung Jesu ist unwiderlegbar, sein Tod unterstreicht das. Aber eines war ihm gelungen: Er hatte eine Schar ernst zu nehmender Menschen für seine Sicht der Gottebenbildlichkeit existentiell gewonnen. Die ersehnte neue Faszination von JHWH war durch Jesus wiederbelebt.. Man hört sie noch in dem späten 1.Johannesbrief: "Welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir seine Kinder sollen heißen!" (1.Joh.3.1). Das Alte Testament war also noch eine Fundgrube für neue beglückende Erkenntnisse über JHWH. Kein Wunder, daß sich die Schar seiner Jünger nun auch ihrerseits auf die Suche nach neuen Erkenntnissen in den alten Texten machte. Sie fanden sie reichlich bei den Propheten. Selbst der Tod dieses Jesus war schon vorhergesagt. Die Faszination griff um sich: Kein Zweifel! Er war nach Jesaias 53 der Messias! Ein Herrscher allerdings ohne herrschaftliche Handhaben ("ohne des Gesetzes Werk", Röm.3,28). Aber wie? Wie zwischen Vater und Kind hatte Jesus gesagt. Also statt 'Gehorsam' 'Vertrauen', griech. 'pistis', also "allein durch den Glauben". Die Jünger meinten offenbar, damit genau das getroffen zu haben, was die Theologen seinerzeit mit 'Zedaka' meinten: ein freies, fröhliches Einverständnis mit JHWH. Aber weit gefehlt, denn 'Glauben' verbietet das Mißtrauen, wie der Gehorsam das eigene Wollen. Hieß es vorher: Wie kann ein Mensch es wagen, Gott nicht zu gehorchen, so heißt es jetzt: Wie kann ein Mensch es wagen, Gott nicht zu glauben! Die Entmündigung des Menschen konnte nicht vollständiger sein. Auch sie ahnen nicht, daß in dem Schöpfungsbericht der Frühzeit ihres Volkes aufs Schönste geklärt ist, daß Liebe zuerst und zuletzt der Verzicht auf Herrschaft ist und frei von jedem Versuch, des Menschen Intelligenz auszuschalten. So aber gerät die frühe Christenheit in die ausgefahrenen Spuren der alttestamentlichen Theokratie.. Gott hatte in einem neuen Heilshandeln eingegriffen. Der Messias war gekommen und damit eine Neuschöpfung der Menschheit endgültig vollzogen. Sein Tod besiegelte das. Die Propheten hatten genauso geweissagt. Das neue Leben der Menschheit war da. Aber wo war es denn? In den Straßen von Jerusalem ging alles seinen Gang wie eh und je. Die Römer und die meisten Juden merkten nichts davon. Es war der Christen Geheimnis. Sie bedienten sich dieses Geheimnisses nach Art einer Brille, durch die sie entschlossen nicht mehr "das Sichtbare, sondern das Unsichtbare" (2.Kor.4,18) zu sehen willens waren. In Anlehnung an Platons Ideenlehre. Am konsequentesten findet sich diese Sicht der Dinge bei Paulus. Er spürt offenbar die Diskrepanz dieses „Jesus nach dem Fleisch“ zu seinem prophetisch-platonischen Christus (2. Kor. 4,16). Bei dieser Sicht der Dinge sind wir weithin auch heute noch. Aber seitdem die Bibel in deutscher Sprache jedermann lesbar wurde, war sie auch dem kritischen Leser ausgeliefert, so daß ihre Unstimmigkeiten nicht länger verborgen bleiben konnten. Vor allem die Frage nach dem „historischen Jesus“ hat die Theologen bis zur Erschöpfung beschäftigt. Albert Schweitzer meinte dieser Forschung ein Ende bereitet zu haben mit der vorschnellen, zeitbedingten Annahme, daß darüber keine absolute Sicherheit mehr zu erreichen sei. Dem haben sich Barth und Bultmann gebeugt. Der eine, Paulus folgend, der andere den historischen Jesus bei seiner „Entmythologisierung“ der neutestamentlichen. Botschaft gar nicht benötigend, denn er meinte Jesu „Kerygma“., seine Botschaft, mit Sicherheit den biblischen Texten entnehmen zu können. Dagegen meldet sich neuerdings ernsthafter Widerstand der meint, so einfach nicht auf ein besseres Wissen um den historischen Jesus verzichten zu können, weil eine permanente Unsicherheit im Zentrum des christlichen Glaubens auf die Dauer nicht ohne Folgen bleiben kann. Troelsch hat schon zu Beginn dieses Jahrhunderts die Befürchtung geäußert, daß diese Verunsicherung zuerst in den „gebildeten Schichten“ der Bevölkerung Fuß fassen würde, danach dann aber auch in den anderen. Abschließend soll versucht werden, den Komplex dieser Entdeckungsreise durch die biblische Theologie unter den Begriffen "Entdeckung" und "Faszination" in Folge darzustellen, wobei unter "Faszination" keine vordergründige, kurzfristige, sondern eine herzgewinnende und lebensbestimmende zu verstehen ist. In der Landgabe sahen frühe israelitische Theologen das Liebeswerben JHWHs. Die herzgewinnende und lebensbestimmende Faszination dieser Entdeckung schlägt sich bleibend nieder im "Höre Israel" und bleibt im Grunde die Achse allen jüdisch-christlichen Glaubens bis heute. Die harte Wirklichkeit der Landnahme aber nagte zunehmend an diesem Glauben. Das zwang Israels Köpfe, die Entdeckung in Sachen Landgabe auf die Schöpfung auszudehnen: Der "Erwählte" ist der Mensch und das "Land" ist die Erde. So war sichergestellt, daß Glaube und Wirklichkeit nie auseinanderbrechen konnten. Aber diese Sicht der Dinge vermochte sich nicht Geltung zu verschaffen. Denn eine andere Entdeckung stahl ihr die Show. Die frühe Königszeit wurde als ein neuerliches Heilshandeln JHWHs an Israel gesehen. Die Faszination dieses Gedankens vollzog sich in der Form der Inthronisation JHWHs zum Weltenherrscher, zum HERRN. Beide letztgenannten Entdeckungen setzen JHWH in Beziehung zur Welt, mit dem Unterschied, daß im ersten Fall der Mensch zu Würde gebracht wird, während im zweiten Fall JHWH auf den Schild gehoben wird. Es ist kein Zufall, daß der Weltenherrscher überzeugte.[16] Aber auch jetzt blieben Glaube und Wirklichkeit nicht deckungsgleich. Der HERR erwies sich nicht als der Weltenherrscher und Beschützer Israels, und so verzehrten sich die Propheten darin, das Rätsel solchen Verhaltens zu lösen - liegt es an Israel oder liegt es am HERRN!? Die nächste Entdeckung, die weittragende Folgen haben sollte, erfolgte erst wieder unter dem Jesus von Nazareth. Er entdeckte den "Schatz im Acker" der "Schrift" in Gestalt der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Demzufolge sah er sich gezwungen, in seinem Vaterverständnis Gottes, dem HERRN eine Absage erteilen zu müssen, mit allen ihren Konsequenzen. Im Dilemma seines Todes suchten seine Freunde nach Sinn und Verstand in diesem Geschehen. Die "Schrift" gab ihnen, was sie suchten. So wurde aus Jesus der "Messias". Daß dabei wieder - ganz im Gegensatz zur Sicht Jesu - monarchisch eschatologische Theologie bestimmend wurde, nahmen sie in Kauf. Es weitete die Sicht der Dinge ins Ausschweifende. Erst mit Beginn der Neuzeit, ganz besonders aber in unserem Jahrhundert, meldet sich auch dem Christentum gegenüber die Wirklichkeit wieder zu Wort und stellt ihre Fragen. Eine Antwort auf diese Fragen versucht Bultmanns zu geben., im Bemühen „intellektuell redlich“ zu sein, versucht er das Schrifttum das N.T.s zu „entmythologisieren“ d.h. nach Möglichkeit das Zeit- bedingte und das dem heutigen Menschen nicht mehr Zugängliche und Entbehrliche zu entfernen. So meint er, eine gültige und bleibende Botschaft herausfiltern zu können, sein „Kärygma“. Mit dessen Hilfe, Menschen ihre ständige Grenzsituation an Leid, Not und Tod erträglich und gar getrost erleben können, die „eschatologische Existenz“. Das ist aber nicht das jahwistische Liebeswerben JHWHs und nicht die Faszination Jesu, sondern die Faszination einer Methode, mit der - vornehmlich die Theologen - sich von den Fesseln des Historismus und Dogmatismus befreit wähnen. Die Christologie tritt zurück und Jesus tritt wieder in die Mitte der Verkündigung., von Psychoanalyse und Soziologie aktiviert Das Fazit, das der Verfassers aus dieser Studie zieht: Auch für uns Christen war, ist und bleibt die Achse allen Glaubens das Liebeswerben Gottes um den Menschen. Liebe, verstanden als bedingungslos geschenktes Leben in Geborgenheit, zu Mündigkeit und Selbstbestimmung (vgl. S.4). Dieser Glaube wird dann - auch von uns Christen - unter einen Hut gebracht mit einer monarchischen Sicht Gottes, verstanden als Geborgenheit unter der Voraussetzung von Glaubensgehorsam seitens der Menschen. Diese Mesalliance zweier Todfeinde konnte nur zu Ungereimtheiten (Paradoxien) und deren Ungereimtheiten führen, Die Ursache aber aller Ungereimtheiten war der tödliche Fehler, in dieser Ehe auch die Liebe verordnen zu müssen. So kommt Jesajas (26,13) zu der weinerlichen Huldigung. „Es herrschen wohl andere Herren über uns als du. Aber wir gedenken doch allein Dein und Deines Namens.“, und Hiob zu jenem heroischen Glaubenstrotz: „ Der Herr hats gegeben der Herr hats genommen. Der Name des Herrn sei gelobt !“ Jakobus aber krönt den Vorgang mit der Zumutung: “Achtet es für eitel Freude, wenn ihr in allerlei Anfechtung fallet.“ (1,2 f.). „Was Gott tut, das ist wohlgetan!“ - ?? Der Respekt vor diesem Glaubenssatz schmilzt dahin. In der Psychoanalyse nimmt man schon kein Blatt mehr vor den Mund: Gerd Groothus in „Kindheitsvergiftung“ (Kore Verlag, Freiburg 1994) und Tilman Moser in „Gottesvergiftung“ (Suhrkamp TB, Frankfurt a. Main, 1976.). Aber sie, die Psychoanalyse,. stellt nur die Vergiftungserscheinungen fest. Die Ursache kennt sie nicht! Das Gift ist die verordnete Liebe. Diese Zwangsehe zweier Todfeinde - eigentlich ein Unsinn! Aber sie hat Großes zuwege gebracht, das sich nicht übersehen läßt. Wie konnte es dazu kommen? Die Verordnung enthält zwei Elemente: Ein herrschaftliches, dem Gehorsam genügte und die Liebe, die eh und je in ihrem Zustandekommen ein Geheimnis war, jedenfalls nicht befohlen werden konnte. Gehorsams- und Glaubensbeweise zu erbringen, lag im Bereich menschlichen Vermögens. Was lag näher, als auch hier die Zwangsehe von dort zu übernehmen und Gehorsams- und Glaubensbeweise als Liebesbeweise zu verstehen , obwohl sie im Grunde nur H u l d i g u n g e n bis hin zu Verzückungen waren? Dem verdankt das große religiös-kulturelle Werk von Juden und Christen seine Impulse und seine Kraft. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Gottesherrschaft und auf Seiten der Menschen dem Gehorsam und dem Glauben eindeutig das Sagen eingeräumt wird Die Kehrseite dieser Huldigung war dann aber auch von Anfang an ein fanatischer Fundamentalismus, der sich an diesem irrigen Liebesbeweis klammerte gewalttätig und zu jedem Opfer bereit. Ist das Umgekehrte denkbar, daß Liebe Herrschaft ersetzt? Beide nehmen in Anspruch, Umgangsformen innerhalb der Menschheit zu sein, nur radikal anderer Art. Der Ruf der Liebe unterscheidet sich von dem der Herrschaft darin, daß er auf das Herz des Angerufenen zielt und in ihm Verständnis und lebenswichtiges Einverständnis zu wecken versucht. Das kann oft lange dauern und sogar gänzlich vergeblich sein. Darauf will Herrschaft nicht warten müssen. Darum erzwingt sie, was sie erreichen will, sei es durch Drohung oder durch Verlockung. Das Verlangen nach lebenswichtiger Beteiligung des Herzens der Angesprochenen ist nie verstummt, und bei uns Christen in der Bitte um den Heiligen Geist , als einem zusätzlichen Heilshandeln Gottes, lehrmäßig vor Anker gegangen. Der Jahwist hatte das Problem nicht, denn er las am normalen Eltern -Kindverhältnis ab , was da , und sonst nirgendwo, so natürlich entstand und Verbundenheit erzeugte, ohne Fesseln.: Bedingungslos geschenktes Leben in Geborgenheit zu Mündigkeit und Selbstbestimmung, gültig zu allen Zeiten und an allen Orten dieser Erde. Wir wissen jetzt, welche Vorstellungen der Jahwist und Jesus davon hatten, wie Gott und Mensch ihr Beisammensein sehen sollten, eine Option, die aber von vorneherein keinen Anklang fand. Muss es bei diesem Nein bleiben, oder öffnet sich uns noch einmal eine neue Sicht des Daseins? Haine, den 26.6.1995 - meinem 84. Geburtstag. Nachwort: Die Korrespondenz im Zusammenhang mit meiner Studie hat nun einen Umfang angenommen, der mir erlaubt, ein Ergebnis zu erkennen. Was mich zu diesem Nachwort drängt, ist der Eindruck, daß einige meiner Leser offenbar meinen, es handele sich dabei um eine Idee, der ich mein Nachdenken zur Verfügung gestellt hätte. Das ist ein Irrtum. Darum muß ich hier noch einmal näher darauf eingehen. Im Unterricht meiner Konfirmanden entdeckte ich, daß die Schöpfungsgeschichten aus Beobachtung und Erfahrung des Menschen und seiner Welt geschrieben und in das zeitgenössische Weltbild eingebaut sind. Sie waren damit für mich nicht mehr denkgeschützt . So stellte ich z.B. fest, daß es doch auffällig ist, wenn die Fische und Vögel am fünften Tage geschaffen werden und die Säugetiere zugleich mit den Menschen am sechsten Tage. Das macht doch nur Sinn, wenn für den Erzähler die Verwandtschaft der beiden längst ausgemacht ist. Oder in der zweiten Schöpfungsgeschichte: Die Erschaffung Evas aus der Rippe des Mannes. Nachdem Adam aus Erde gemacht ist, wäre Eva auf ewig die Nummer zwei geblieben, hätte er sie aus Erde gemacht wie die Tiere. Aber der Erzähler weiß, daß es so nicht gedacht ist und um dem zu entgehen, nimmt er die Eva aus der Nummer eins und unterstreicht ihre Ebenbürtigkeit. Und Ähnliches mehr. So kam ich zu folgendem Ergebnis: 1. Die Liebesbotschaft der Landgabe und der Erwählung wird auf die Schöpfung übernommen und damit vom historisch Einmaligen zu etwas allzeit Gültigem, etwas Ewigen. 2. Die Gottebenbildlichkeit wird schon hier als Gotteskindschaft verstanden und als Quelle der Botschaft Jesu erkannt. 3. Die Eigenart des alttestamentlichen „Bundes“ mit seiner bedingunslosen Einseitigkeit wird am Eltern-Kind-Verhältnis abgelesen und dem entsprechend das Liebeswerben Gottes als bedingunglos geschenktes Leben in Geborgenheit zu Mündigkeit und Freiheit definiert. 4. Zum Wesen dieser Sicht der Dinge gehört der Verzicht auf Herrschaft, d.h., es muß offenbleiben, ob ein Mensch dies Liebeswerben Gottes und der Eltern wahrnimmt oder nicht. Man kann es ihm vor Augen führen, aber abverlangen kann man es ihm nicht. 5. Damit ist auch das Rätsel des „Heiligen Geistes“ aus der Welt; denn, wo es dazu kommt, daß ein Mensch sein Leben als von Gott und den Eltern geschenktes Leben, als Liebeswerben versteht, da und nur da, kommt es zu dem lebenswichtigen Einverständnis. Verordnen läßt sich das nicht. In diesem Zusammenhang habe ich in Predigten hier und da ein Gleichnis verwendet: „Am Abend der Hochzeit, als alle Gäste gegangen sind und das junge Paar alleine ist, da wendet sich der Ehemann in höchster Konzentration seiner jungen Frau zu und eröffnet ihr, daß er ihr nun sein schönstes und wertvollstes Geschenk für die ganze Ehe machen wolle. In feierlicher Form überreicht er ihr einen Schlüssel, den Haustürschlüssel. Die junge Frau kann sich keinen Reim darauf machen, was daran so Besonderes sein soll und nimmt ihn mit einiger Verwunderung. Im Laufe der Zeit entdeckt sie bei ihren Gängen in die Stadt auch noch andere Männer, die ihr schöne Augen machen. So kommt sie eines Tages nicht mehr heim. Jahre vergehen. Dann trifft es sich, daß die beiden, sich begegnen - ganz zufällig.. Sie ist ziemlich heruntergekommen. Das sieht der Mann auf den ersten Blick. Dennoch bittet er sie zu einem kurzen Gespräch ins nächste Cafe. Nach einigen belanglosen Worten, kommt er zur Sache und fragt sie: „Warum hast Du mich verlassen?“ Hatte sie auf diese Frage gewartet? Denn jetzt bricht es wie Groll aus ihr heraus: „Du! Du alleine bist schuld daran! Hättest Du mir den Haustürschlüssel nicht gegeben und mich vor diesen Erfahrungen bewahrt, wäre noch alles gut und schön.“ Traurig sieht der Mann die Frau an. Dann sagt er: „Tant pis“, legt Geld auf den Tisch und geht. Die Geschichte könnte aber auch ganz anders enden.: Auf seine Frage schweigt sie zunächst betroffen. Dann aber gesteht sie zögernd und fast unter Tränen: Sie habe in der Vergangenheit den Wert des Schlüssels begriffen und trage ihn ständig in ihrer Tasche bei sich als Erinnerung an ein verscherztes Glück. „Verscherzt“? fragt der Mann. „Komm heim! Du mußt dich erst einmal umziehen und schön machen!“ Ich hatte keine Idee, als ich mich an diese Arbeit machte. „Studie“ nenne ich sie, in Ermangelung einer anderen Bezeichnung, auch „Beweisaufnahme“, um deutlich zu machen, daß ich einer Spur nachgegangen bin, der jeder nachgehen und die jeder auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen eingeladen ist Haine, den 14.02.2005.
[2] Rainer
Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 1,
S.99,
Göttingen 1992.
[3] Damit hatten die frühisraelitischen
Theologen das Problem Hegels und Lessings bereits erkannt und
gelöst. Lessing:
"Zufällige Geschichtswahrheiten können der
Beweis von notwendigen
Vernunftwahrheiten nie werden," und der Übergang, wodurch man
auf eine
geschichtliche Nachricht eine ewige Seligkeit bauen will, ist
ein
"Sprung".(Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft ,
1777).
[4] Dem
aufmerksamen Leser muß es auffallen,
daß in dem ersten Bericht das "Trockene" aus dem Wasser
geholt werden
muß, während im zweiten Schöpfungsbericht
erst mit dem Regen die Erde zum
Lebensraum der Menschen wird.
Die Forschung hat nun auch sichergestellt, daß der erste Erzähler in die sogen. "Priesterschrift" gehört und der zweite dem sogen. "Jahwisten" zuzurechnen ist. [5] Von Rad, Theologie des Alten
Testamentes, Bd 1, München 1957, S. 27, Anmerkung 27: „Bergrich
hat gezeigt,
daß der Bund an sich keine Forderung enthielt und daß
eigentlich kein rechter
Zusammenhang zwischen Bundesschluß und Gesetzgebung besteht.“
[6] „Hast du
je
daran gedacht, wie sehr ich Dich geliebt habe? Mich hast Du nicht davon
anfangen hören, nie, denn ich finde, daß der, der geliebt
wird, das selbst
erfahren und erkennen muß, wenn nicht, tant pis, mon cheri!“ Hugo
Claus: Der
Kummer von Flandern, München, 1991, S.625
[7]
Das Weihnachtslied des Paul Gerhardt "Ich steh an
deiner Krippen hier" enthält die Strophe: "Da ich noch nicht
geboren
war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich
kannt,
erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir
bedacht, wie
du mein wolltest werden."
Gilt
auch auf Vater und Mutter bezogen.
[8] Harald Grün-Rath, Göttinger Predigt Meditationen, 1994, S.93 [9] Ludwig Köhler
zu 1.Mose 1,28
:“Das ist
der Auftrag zur Kultur. Er geht an alle Menschen; er umfaßt alle Zeiten;
kein menschliches Tun, das nicht ihm unterstellt ist. Jener erste
Mensch , der
mit den Seinen auf schutzloser Steppe
eisigem Wind ausgesetzt , ein paar Steine aufeinanderlegte
und so die Mauer, die Grundlage aller Architektur
erfand, erfüllte diesen Auftrag . Jene erste Frau, die einen
harten Dorn oder
eine Fischgräte durchbohrte und ein Stück Tiersehne
hindurchzog, um ein paar
Fetzen Fell aneinaderfügen zu können und
die so die Nadel, das Nähen , den Anfang aller
Kleiderkunst,erfand,
erfüllte diesen Auftrag . Bis heute ist jede Unterweisung eines
Kindes , jede
Art von Schule , jede Schrift, jedes Buch , alle Technik, Forschung und
Wissenschaft und Lehre mit ihren Methoden , ihren Instrumenten und
Institutionen nichts anderes als die Erfüllung dieses Auftrags.
Die ganze
Geschichte alles menschliche Streben steht unter diesem Zeichen, unter
diesem
Bibelwort.
Das ist seine objektive Seite . Es gibt auch eine subjektive Seite . Jeder Mensch muß. das liegt unverlierbar in seiner Natur, mit dem Leben fertig werden .Er muß zu dem, was ihm widerfährt, sei es, daß ihm ein Stäubchen ins Auge weht, sei es, daß eine Wasserflut ihn und die Seinen am Leben bedräut, nichts ist zu klein und nichts ist zu groß, der Mensch muß mit ihm innerlich fertig zu werden suchen ......An der Art, wie ein Mensch innerlich mit den Dingen fertig wird, wird sein Wesen erkannt,“ Mensch 112 f. (Zitiert nach: Hans Walter Wolff „Anthropologie des A.T.s Kaiser München 1973 S.240 ) Dietrich Bonhoeffer geht so weit, daß er den Menschen anrät, ihr Tagewerk zu tun, "als ob es Gott nicht gäbe". Harvey E.Cox: "Die Welt ist zu unserer Aufgabe geworden und in unsere Verantwortung gestellt." (Zitiert nach J.Sperna Weiland, Orientierung, Furcheverlag 1970.) [10]
G. von Rad,
Theologie des Alten Testaments, Bd.1, München, 1957, S.21 Dort
finden sich Argumente
für eine Übersetzung des Wortes JHWH mit "der
leidenschaftlich
Liebende".
[11]
Rainer
Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestament-licher Zeit
I, Göttingen
1992, S.131: "Der demokratische Grundzug der
israelitischen Gesellschaft
und der antiherrschaftliche Charakter ihrer Gottesbeziehung
fanden in der populistischen
Form des Grußkultes ihre angemessene
Entsprechung."
[12] Von
"Sünde" kann erst in diesem Zusammenhang
die Rede sein: Erst unter dem Aspekt herrschaftlicher
Strafmaßnahmen wurde der
Lebensraum des Menschen zu Ausland (mhd. "Elend").
[13]
Wo immer das
Liebeswerben Gottes
unerkannt und unbegriffen bleibt, kann es auch für den Menschen
nicht
"lebenswichtig" werden. Es fehlt dem Menschen für sich und
für die
anderen die göttliche absolute Wertung ihres Lebens
mit all den Folgen, die
sich daraus ergeben.
[14] Wie
nahe dieser Jesus schon dem ursprünglichen
Verständnis der zweiten Schöpfungsgeschichte kam, beweist das
Gleichnis vom
"Verlorenen Sohn". „Die Religion Jesu besitzt ihr vollständiges,
einfachstes und tiefsinnigstes Glaubensbekenntnis, ihre erhabenste
Apologie in
dieser Parabel.“( Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu , 2. Teil, S.
365, Tübingen
1910)
[15]
Unter dem
Begriff 'patär' (Vater) ist im
Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament zu lesen: "Nur
wenn man die
primäre Bedeutung von Gottesherrschaft verkürzt,
wird man das
Gott-König-Motiv bei Jesus vermissen. Freilich bedarf es
einer Erklärung,
warum bei den Synoptikern eine so spärliche
Verwendung von basileus (König)
für Gott vorliegt"..."Das königliche Herrenwalten
im Sinne der
jetzt eingreifenden Heilszeit ist zugleich das
väterliche Gnadenwalten"..."Die
nomistische Einengung der Begriffe 'Herr', 'König',
'Richter’ ist durch ihn
(Jesus) beendet." Theologisches Wörterbuch zum Neuen
Testament, Bd.5,
S.996, Stuttgart
Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Joachim Jeremias, Die Gleichnisreden Jesu, Göttingen, 1988, S.20: "An einigen Stellen wird in den Gleichnissen auf Schriftworte Bezug genommem (Mk. 4,29.32; 12,1.9a 10 f. mit Parallelen; Matth. 25,31.46 vgl. Luk. 13,27.29). Die ohnehin auffällig geringe Zahl der Belege schmilzt zusammen mit der Erkenntnis, daß von den zuletzt genannten vier Belegen aus Matthäus und Lukas mindestens drei, wenn nicht alle vier sekundär sind. Darüber hinaus müssen aber auch die übrigen fünf Belege angesichts des abweichenden Tatbestandes im Thomas-Ev. überprüft werden." Vgl. zudem auch: Ulrich Wilckens, "Die Überlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu", in: Schriftenreihe des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union, Gütersloh, 1966, S.52: Wilckens verweist dort auf die faktische Traditionslosigkeit Jesu, indem er sagt: "Er hat das endzeitliche-zuküntige Gottesreich so einfältig als nahe, als die konkrete Gegenwart jetzt und hier total bestimmend in Anspruch genommen, wie das, nach den Maßstäben jüdischer Tradition geurteilt, nur Gott selbst kann und darf. Er hat darum faktisch keinerlei Tradition sozusagen zur Deckung dieses unerhörten Anspruchs gebrauchen können; was das Gesetz, was die Väter sagen, war nicht die Instanz, durch die er sich legitimiert hat - im Gegenteil, er hat zuweilen gegen ihre Stimme entschieden. Auf irgendwelche Inspiration hat er sich, der Überlieferung zufolge, nicht - jedenfalls nicht entscheidend - berufen. Priesterliche Tradition gibt es gar nicht unter seinen Worten. Er hat über die bestehenden Autoritäten hinweg für sein Wirken die Autorität Gottes unerhört einfach in Anspruch genommen: und war doch nicht Gott selbst." Ausführlich darüber: Ernst Käsemann in "Exegetische Versuche und Besinnungen", Bd.1 Göttingen, 1960, S.187-197 und 199-214). [16] Dostojewski
schreibt in seiner
Novelle: „Die Wirtin“: „Präge dir das ein: Ein schwacher Mensch
für sich allein
hat keinen Halt gnädiger Herr: Und wenn man ihm alles
mögliche gibt, so wird er
selbst kommen und alles zurückgeben. Man versuche es und gebe ihm
die halbe
Welt, damit er über sie herrsche, was meinst du? Er wird sogleich
auf der Stelle
sich in ein Mauseloch verstecken; so gerne ist er klein. Man gebe
ihm seinen
freien Willen, dem schwachen Menschen - er wird ihn selbst binden und
zurückbringen. Ein törichtes Herz hat auch von der Freiheit
keinen Gewinn.“ (
Insel-Taschenbuch 975, Frankfurt a. Main, 1986, S.160)
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