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Joachim Wilhelmy
Neue Steige 25
72813 St. Johann-Gächingen
07122/9889
 
Worte zur Ausstellungseröffnung ,,Luitgard Schall - Rückblick" in der Münsingen Zehntscheuer am 10. November 1996
 
 
Liebe Freundinnen und Freunde von Luitgard Schall, meine sehr ver­ehrten Damen und Herrn!
 
Sie befinden sich hier in der Zehntscheuer, genauer gesagt im Fruchtkasten, einem Gebäude das 300 Jahre alt ist und das seit nunmehr 10 Jahren von den Kunsterziehern des Gymnasiums in den über uns liegenden Stockwerken als Ausstellungsraum genutzt wird. Von meiner Theater A.G. und mir wurde dieser Raum vor acht Jah­ren zum Theater umgebaut. Da dieser Raum heizbar ist und eine Bestuhlung hat, und da er gerade nicht gebraucht wird, dachten wir, daß es gut wäre, ihn in die Austeilung mit einzubeziehen, damit Sie jetzt sitzen können und sich nach den Rundgängen in den oberen Stockwerken auch hier aufwärmen und stärken können.
 
Diese Bemerkung vorweg erklärt, was ich mit diesem Hause zu tun habe - ich bin übrigens - wie die erwähnten beiden Kunsterzieher -Lehrer am hiesigen Gymnasium. Sie erklärt aber nicht, wieso ich das Wort ergreife, wenn es darum geht, eine Ausstellung mit Werken von Luitgard Schall zu eröffnen. Ich will im Folgenden versuchen, es zu erklären.
 
Die einfachste Erklärung: Frido Goller fragte mich vor einigen Mo­naten, ob ich bereit wäre, bei dieser Ausstellungseröffnung etwas zu sagen und ich sagte damals ja. Daß sie mich ge­fragt hat, lag wohl daran, daß sie meinte, daß ich Luitgard Schall genau genug kenne und ge­nug von Kunst verstehe und daß ich ja gesagt habe, lag wohl daran, daß ich dasselbe glaubte. Das ist - wie gesagt - schon einige Monate her. Die Probleme kamen, als ich mich an meinen Schreibtisch setzen musste und der Tag der Eröffnung unerbittlich näherrückte.
 
In solchen Ansprachen bei Vernissagen fast völlig unerfahren - ich habe nur einmal eine Aus­stellung in unserem Gymnasium mit Bildern von Lothar Schall eröffnet - beschloß ich, mich an die Muster der Reden zu halten, die ich als Gast bei solchen Gelegenheiten häufig studie­ren konnte. Und dann muß ich wohl meine Ausführungen ein­teilen in: Luitgard Schall als Mensch und Luitgard Schall als Künst­lerin.
 
So begann ich also guten Mutes etwas über Luitgard Schall als Mensch meinem Computer anzuvertrauen. Doch da ging es mit den Problemen erst recht los: Kenne ich Luitgard Schall als Mensch überhaupt genau genug, um etwas sagen zu können? Weiß ich über sie Bescheid? Bei dem Nachdenken darüber kamen mir immer mehr Fragezeichen.
 
Beginne mit Fakten, dachte ich mir und zwar mit Fakten über mich und Luitgard Schall, da hast du sicheren Boden. Also versuchen wir es so!
 
Ich betrat Schalls Haus 1981 also vor ca. 15 Jahren, als jemand, der sich für Kunst interes­siert, und war dann 15 Jahre lang im Haus der­jenige, als den mich viele von Ihnen kennen: Das Mädchen bzw. der Junge für alles. Es begann mit der Umstrukturierung des Atelier von Lothar, führte über Gespräche über Kunst und Philosophie zu den Rahmungsarbeiten seiner riesigen Bilder und von da oft ganz un­vermittelt zu einem verstopften Siphon im Bad oder zu einer defek­ten Brodmaschine. Luitgard Schalls: ,,Sie entschuldigen doch Herr Wilhelmy, mir ist es schon ganz peinlich, aber...“. Ja, schon nach wenigen Tagen war der Kontakt so, daß ich im Normalfall doch ein bis zweimal pro Tag in Schalls Haus war und dies bis zu Lothars Tod in diesem Jahr.
 
Luitgard Schall nahm ich damals wahr, als eine Frau, die alles tat, um den Betrieb in Gang und Lothar den Rücken frei zu halten für seine Kunst und dies damals bereits unter der Bürde der sich deutlich abzeichnenden Muskelschwunderkrankung.
 
Daß sie selber Künstlerin war, hatte ich von meiner Frau erfahren, die zu berichten wußte, daß an ihrer Schule in Ludwigsburg ein Brunnen von Luitgard Schall zu ihrer Schulzeit aufgestellt worden war.
 
Meist mit Rahmungsarbeiten in Lothars Atelier beschäftigt, aber eben auch mit all dem, was im Haus so zu machen ist, wenn ein technisch nicht unversierter Mensch sich in der Nähe aufhält, ergab es sich, daß es auch in den unteren Räumen des Hauses für mich et­was zu reparieren gab, und da sah ich dann, daß Luitgard Schall ein Atelier hatte, in dem getöpfert wurde, in dem Hölzer für Plastiken standen, in dem es einige wenige Bilder von ihr gab.
 
Jedesmal, wenn ich mich für all das näher interessierte, spielte sie ihre Arbeit herunter mit der einfachen Bemerkung ,,der Meister" braucht mich oben.
 
Ich fasse mich kurz: mein Eindruck, eine Hobbykünstlerin, die in ihrer freien Zeit ein bißchen töpfert - an bildhauerische Tätigkeit war wegen den nachlassenden Kräften damals bereits nicht mehr zu den­ken -. ihre Arbeit ein Hobby, kein existentielles Muß.
 
Aber mir war ja auch klar, der existentielle Einsatz, der wurde – so  meine Beobachtung - von Luitgard Schall ganz wo anders geleistet: in der Auseinandersetzung mit dem in jeder Bezie­hung schwierigen ,,Meister" und im Einsatz für dessen Werk und dabei konnte sie ziemlich unnachgiebig und manchmal einen nervend das versuchen durchzusetzen, was ihrer Meinung nach richtig war. Und in zuneh­mendem Maße ging es ja um den Einsatz für das eigene Überleben angesichts ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes und den über­menschlichen Problemen, die sich mit dem Sohn Bernhard ergaben. Wo wäre da noch Platz für eigene, ihre ganze Existenz fordernde Arbeiten gewesen.
 
Als ihr Gesundheitszustand sich verschlechterte, sprich als Sauerstofffaschen notwendig wur­den, ergaben sich für mich intensivere Kontakte. Sie rief mich an, wenn die Falsche zu wech­seln war, das war meist abends - sie war allein - und dann gab es schon Gesprä­che, die nicht nur um den ,,Meister", sondern auch um sie selber und um ihre Beziehung zum ,,Meister" und um ihre existentiellen Probleme kreisten. Ich lernte sie da schon genau kennen, als eine starke und zugleich sehr gebrechliche Frau, eben als jemand, der sein Päckchen zu tragen hatte und das Wort Päckchen ist natürlich falsch, es waren Pakete. Aber sie gab angesichts dieser Last nie auf.
 
Es würde zu weit führen, die Pakete jetzt hier aufschnüren zu wol­len, denn diejenigen, die ihre Freunde waren, kennen die Pakete und denjenigen, die Luitgard Schall nicht kennen, würde die Kenntnis der Pakete nicht viel weiter helfen. Daher möchte ich den Abschnitt ,,Luitgard Schall als Mensch" mit einem Satz abschließen, der glau­be ich, einen guten Gene­ralnenner abgeben kann für ihr Leben und zugleich eine brauchbare Überleitung zu ,,Luitgard Schall als Künst­lerin" darstellt: Sie war ein Mensch, der sein Licht unter den Schef­fel stellte, damit das Licht anderer um so heller leuchte.
 
Wir nähern uns nun langsam dem Thema ,,Luitgard Schall als Künstlerin":
Ich gehe einmal davon aus, daß es heute und hier den meisten Freunden von Luitgard Schall so ergeht, wie mir vor einigen Mona­ten: Wenn ich von wenigen kleinen Aquarellen absehe, sah ich alle die Bilder, die hier heute ausgestellt sind, vor wenigen Monaten zum ersten Mal. Unter einer Staubschicht versteckt: die Ölbilder. Zu­sammengerollt in Zeitungsblätter vom Februar 1973: die Aquarelle. Und dies mir, der ich doch jede Ecke des Hauses nach alten Öl­bil­dern von Lothar durchforstet hatte, um sie vor der Zerstörung zu be­wahren! Luitgard Schall hat mir ihre Bilder nie gezeigt oder gesagt: ,,Wenn Sie seine Bilder säubern und restau­rieren: Hier, ich habe auch noch ein paar!" Die Bilder waren wohl in ihrem Atelier ir­gendwo unsichtbar verstaut und ich höre im Geiste, was sie zu mir gesagt hätte, wenn ich sie entdeckt und hätte hervorholen wollen. Mit spitzbübischem Lächeln hätte sie gesagt: ,,Aber Herr Wil­helmy, sie wissen doch..." Wie habe ich vorhin formuliert: Sie war ein Mensch, der sein Licht unter den Scheffel stellte, damit das Licht anderer umso heller leuchte.
 
Vielleicht war es wahre Größe ihrerseits zu erkennen, wie bedeutend die Kunst Lothar Schalls war, so daß sie ihre eigene hintanstellte. Frido Goller hat zur Vorbereitung der Austellung vor wenigen Tagen noch ein Telefongespräch mit einer ganz engen Freundin Luitgard Schalls aus Akademiezeiten geführt, mit Luisa Richter in Caracas und Luisa Richter hat in etwas blumi­ger Sprache den Satz geprägt: ,,Luitgard Schall ging auf in Freude über Lothars kreatives Werk". Hier mag man sich an ein Zitat aus Büchners ,,Dantons Tod" erin­nern: ,,Wir sind allzumal Epikureer. Christus war der feinste von al­len". Ich vermag nicht zu entscheiden, ob Luitgard Schall ihr Licht unter den Scheffel gestellt hat und darunter gelitten hat oder ob die­ser Weg ihr ein Glücksgefühl vermitteln konnte.
 
Egal wie, wir wollen uns heute alle Mühe geben, ihr Licht auf einen recht hohen Scheffel zu stellen, damit es so leuchten kann, wie es ihm gebührt. Vorweg eine Bemerkung zu der Art und Weise, wie die Bilder in der Zehntscheuer hängen. Sie hängen viel zu dicht, das heißt, nicht jedes Bild kann sein Licht voll entfalten, aber  wir dach­ten, daß - besonders im Hin­blick auf die Freunde von Luitgard Schall, die von weiter her kommen - es doch sinnvoll ist, alles, was vorhanden ist, hier zu zeigen. Wer weiß, ob es noch einmal eine Gelegenheit gibt! Aber wir bauen darauf daß Sie - erlauben Sie den Vergleich - wie ein Weinkenner, den guten Tropfen auch im Probierglas als solchen erkennt und ihn dann im großen Glas zu Hause zur vollen Entfaltung bringt, dass Sie die Bilder aus der drangvollen Enge dieser Austellungs­räume in die Weite Ihres Hauses übertragen können, wo sie dann als Solitäre ihren Glanz voll entfalten werden.
 
Jetzt also endgültig zur Künstlerin Luitgard Schall. Zunächst auch in diesem Zusammenhang die wenigen Fakten, die ich kenne: Geboren 1928. Sie hat an der Akademie in Stuttgart bei Prof. Baum Bildhaue­rei studiert. Sie hat sich auch später in erster Linie als Bildhauerin gese­hen. Versuche, weitere Informationen zu erlangen, waren bisher vergeblich. Vielleicht kann aber der eine oder andere von Ihnen da Abhilfe schaffen z.B. bei Fragen wie: Gab es Aus­stellungen? Gab es - außer dem erwähnten Brunnen in Ludwigsburg - weitere öffentliche Aufträge? und diese Informationen an Frau Goller weitergeben.
 
Keine Kenntnis über die Titel der Bilder. Frido Goller hat sie sich ausgedacht, fast nichts si­gniert. Die wenigen Signaturen L.B. Luit­gard Bauhaus, so ihr Mädchenname. Keine Jahres­zahlen. Die mei­sten Ölbilder späte 50er und 60er Jahre, die Aquarelle fast alle vor dem be­sagten Datum der Zeitung, in die sie wohl beim Umzug von Neckarrems nach Gächingen verpackt worden waren, nur die ganz kleinen sind in den 8Oern entstanden.
 
Angesichts dieses dürftigen Wissenstandes, bin ich nun ganz auf die Bilder selber angewiesen und dabei erwartet wahrscheinlich der eine oder andere von mir, daß ich mit klugen Worten wie ,expressiver Realis­mus´  oder ,impressionistischer Was-Weiß-Ich-Was'  Luitgard Schalls Bilder in die Kunstgeschichte einordne. Dagegen habe ich schon immer etwas gehabt, denn entweder kennt sich der Zuhörer in der Materie aus, dann kann er diese Einordnung selber vornehmen oder er versteht nichts von Kunstgeschichte und dann sind ihm diese Begriffe nicht hilfreich.
 
Folgen Sie mir daher auf einem anderen Weg. Vielleicht kommen wir so eher zu den Bildern der Luitgard Schall und fliegen nicht mit klugen Worten über sie dahin. Ich habe alle Bilder geputzt, soweit es mir möglich war restauriert und gerahmt. So handwerklich dies alles er­scheint, es ist nicht der schlechteste Weg, Bilder kennen und ver­stehen zu lernen. Und ich möchte Ihnen jetzt ganz einfach beschrei­ben, was sich so in meinem Kopf abspielte, als ich so primitiv hand­werklich tätig war. Damit Sie meine Gedanken und Erfahrungen nachvoll­ziehen können, haben wir in diesem Raum ein paar Bilder aufgehängt, die Sie in die Lage versetzen können, an meinem Er­kenntnisprozeß mit Luitgard Schalls Bilder teilzuhaben.
 
Ab hier freie gesprochene Ausführung an den im Raum aufge­hängten Bildern! Daher nur Stichworte.




 
Bild Nr.2:
Gespräch mit Frido Goller bei der ersten in Augenscheinnahme dieses Bildes:
Ich: Das Bild ist doch von Lothar, ich selber besitze doch so ein frühes Spachtelbild, nur viel größer. Das ist nie von Luitgard. Bei der Titelsuche: Arbeitstitel ,, Turm". Später, nach Kenntnis der Öl­kreidezeichnung, kein Turm, sondern eine Frauengestalt. Eindeutig nicht Lothar, da völlig andere Behandlung der Spachteltechnik und der Raumgestaltung.
 








Bild Nr. 7, 3, 4, 5, 6
Ihr Hauptthema: Blumen. Die Blüte, ob von Tulpe oder Mohn, von Sonnenblume oder Ritter­sporn. Sie wollte in ihrer Jugend zunächst Gartenarchitektin werden, so war zu erfahren. 70% der Bilder, die Sie heute sehen werden, sind Blumenbilder und auch auf ihrer Ke­ramik in den Jahren vor ihrem Tod immer wieder Blumen. (Es gibt oben eine Mappe, in der Sie die ent­sprechenden Fotos finden).
 
Manche Landschaften können auch Blüten sein.
Dabei Bildhauerin: im engen Sinn des Wortes - Fläche und Relief, die Farbe; rot. Grundfor­men, der Versuch zur Reduktion auf das Wesentliche, die archaische Form. Die Blüte ganz häufig als 3 oder 4 Teilung mit weißen oder blauem Zentrum. Urformen. Hier sind ihre Bilder ganz eigenständig und ganz auf der Höhe der Zeit.
 
 




Bild Nr.8:
Mir zu erst sehr fremde Bilder, die sich dann durch ihr plastisches Werk erschlossen und die auf die Töpferarbeit hinweisen. Erdklum­pen, Farbkugeln, die zu Landschaften werden. Be­trachten Sie die damals in ganz neuer Technik erstellte Betonplastik, die vor dem Theater im Gang steht und dieses Bild. Diese Bilder erschlossen sich mir nur zögern, aber mittlerweile... und auch hier ganz eigenständig und modern.
 



 
Bild Nr.9..
Sie beherrschte ihr Handwerk perfekt. Dieses Bild ist zwar nicht ein Bild, das man so noch nie gesehen hätte, wie z.B. diese roten Bil­der. So haben andere bereits gemalt, aber mit wel­cher Perfektion im Handwerklichen, ob nun Farbgebung, Flächenaufteilung, Pin­selstrich. Dies gilt auch für ihre Aquarelle.'
intensive Farbgebung, zarte Nuancierung.
 
Noch mal zurück zum Handwerklichen: der primitive Luitgard / Lo­thar Schall-Test, den ich entwickeln konnte: Beim Rahmen von Lo­thars Bildern gab es eine Rahmenfarbe, dieses ins metallisch fluoreszierende Blau, daß zu seinen Bildern immer paßte. Ich hatte noch Farbe von ihm und probierte es damit bei Luitgard Schalls Bildern. Es funktioniert nicht. Obwohl sie sicher mit Schall-Farben malte, sie hatte eine andre Palette.
 
Es gibt also viele Bilder, die, wenn sich Luitgard Schall im Kunstbe­trieb hätte einen Namen machen können oder wollen, großartige Bil­der genannt werden müssen. Gleichwohl gibt es auch Bilder, die - zumindest meiner, zugegebenermaßen subjektiven, Bewertung - dieses Prä­dikat nicht verdienen. Dies ist - meiner Meinung nach -immer dann der Fall, wenn ihr ,,Herz" zu sehr beteiligt ist. Jeder, der sie kannte, wußte, wieviel ihr Hunde und Katzen bedeuteten. Auch die späteren Malven- und Sonnenblumenbilder - ich ordne die Bilder zeitlich so ein - sie sind ja nicht datiert, scheinen mir nicht die künstlerische Reife der frühen Bilder zu besitzen. Lag es an nachlas­sender Kraft? Lage es am Nachlassen des Wollens? Hatte sie Angst, dem Meister Konkurrentin zu sein? Ich gestehe Ihnen gerne ein, daß mir beim Rahmen der Bilder immer wieder der Gedanke an die Künstlerehe Clara Wiek / Robert Schumann in den Sinn kam. Kann solch eine Ehe gelingen, oder muß nicht einer von beiden zwangs­läufig zurück­stecken?
 
Sie sehen und ich habe es längst auch selbst eingesehen: Ich bin völ­lig ungeeignet etwas Definitives über Luitgard Schall und ihre Kunst zu sagen und Frido Goller hätte vielleicht doch jemand anderen bit­ten sollen.
 
Ich wende mich daher schnell wieder den Fakten zu: Friederike Goller hat diesen Nachlaß nach Lothar Schalls Tod in diesem Jahr von dessen Erbin Friederike Danzer und ihrer Mutter geschenkt be­kommen, und dies, weil Frido Goller mit Luitgard Schall gemeinsam getöpfert hat, gemeinsame Reisen unternommen hat, gemeinsam ge­weint und gemeinsam gelacht hat. Kurz: viele Jahre eng befreundet war.
 
Nach der riesigen Freude über diesen Schatz, den Frido Goller da völlig unverhoffte besaß, kam dann recht bald die Frage, was tun? Die Wände ihres kleinen Häuschens in Friedrichsha­fen bieten nicht viele Platz. So reifte der Gedanke 1. eine Austeilung zu machen und 2. die Bilder für einen guten Zweck zu versteigern - natürlich nicht ohne sich vorher einige beson­ders liebe Bilder selber zu reservieren. Und zwar zu versteigern zugunsten der Organisation, der Luitgard Schall viel Ermutigung in ihrer Krankheit verdankte und der sie im­mer wieder Spenden zukommen ließ, der ,,Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V." Ich denke, dies ist eine gute Idee. Falls Sie sich genauer über diese Organisation informieren wollen, dann be­nutzen Sie doch die dort vorne ausgelegte Broschüre.
 
Doch welche Probleme tun sich einem auf wenn man etwas Gutes tun will! Da ist die Frage der Steuer, da ist die Frage der Spendenbe­scheinigung, da ist die Frage der Preise!
 
Erlauben Sie mir, daß ich nur kurz auf die Frage der Preise eingehe, auf die anderen Fragen werde ich dann bei der Versteigerung einge­hen.
 
Die Preise setzen sich aus vielerlei Aspekten zusammen: Da ist zu­nächst einmal der Wille, möglichst vielen Interessenten die Möglich­keit zu geben, Bilder die gefallen, zu kaufen, damit der gute Zweck gefördert wird, sprich möglichst viel Geld zusammen kommt. Dem entspricht auch ein Gedanke, der sich aufdrängt, wenn ich mir vor­stelle ein Bild zu sein: Denn wenn ich Bild wäre, ich wollte lieber billig verkauft werden und an einer Wand hängen und dem Betrach­ter Freude bereiten, als in einem Depot liegen und auf meine Wert­steige­rung warten. Zum anderen ist es aber auch so, daß ich, wenn ich Bild wäre, nicht gerne unter Wert verkauft werden würde. Zu­dem würde ich, wie gesagt, wenn ich Bild wäre, mit den Bildern an­derer Künstler solidarisch handeln wollen, d.h. ich möchte die Preise nicht kaputt machen. Oft haben wir Bilder aber auch bereits Besitzer und die Besitzer haben sich in uns so verliebt, daß sie vor Liebe blind für unseren tatsächlichen Wert sind, und so werden wir manchmal auch über Wert gehandelt. Schließlich müssen Sie bedenken: auch Bilder altern, kriegen Risse, Schrunden, Wasserflecken, dann mag uns keiner mehr so teuer kaufen, obwohl wir eigentlich doch Meisterwerke sind.
 
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Psyche eines Bildes jetzt be­griffen haben, dann werden Sie sich über die Preisgestaltung nicht mehr wundern, sondern werden verstehen, wie schwierig es ist, ei­nen Minnimal-Preis festzulegen, wenn man etwas liebgewonnen hat und zugleich möglichst viel für einen guten Zweck verkaufen will. Ich denke, jeder, der ein Bild ersteigern möchte und ich hoffe, mög­lichst viele von Ihnen erweisen Luitgard Schall diese Ehre, wird zu einem Bild kommen, denn Sie können aus der Ferne steigern, wie die auslie­genden Versteigerungs-Anmeldungs-Zettel zeigen und Sie können sich - wenn knapp bei Kasse - sicher auch vertrauensvoll an Frido Goller wenden, denn man kann ja auch über einen längeren Zeitraum zugunsten der ,,Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke" kleine Beträge über weisen, die sich dann allmählich summieren. Es gibt aber noch etwas viel wichtigeres zu vermelden, das ich wieder bei meiner handwerklichen Tätigkeit entdecken konnten - sei es beim Rahmen der Bilder, sei es beim Aufhängen der Bilder für diese Ausstellung. Am Anfang dachte ich, dies Bild! Das und kein ande­res! Heute denke ich, wenn nicht das, dann das und wenn das nicht, dann das usw. Gibt es ein besseres Qualitätsmerkmal für Kunstwer­ke, als der einfach Umstand, daß das wahre Kunstwerk, je länger man sich mit ihm auseinandersetzt, einen immer mehr in seinen Bann schlägt. Nicht immer ist die erste große Liebe auch eine wahre Lie­be. Ich kann Ihnen also nur empfehlen: Nehmen Sie sich Zeit! Und die Zahl der Bilder, die Sie interessieren werden wird immer größer.
 
Sie haben es gemerkt! Sie sind heute auf einer etwas merkwürdigen Vernissage: Da geht es um Spenden, um Geld, um Kunst und da geht es zugleich um einen Menschen, der uns eines Tages verließ, um in einer Klinik in Norddeutschland Linderung - von Heilung konnte ja keine Rede mehr sein - von seiner fortschreitenden Muskelkrankheit zu erlangen und der nicht mehr zurückkam, sondern starb, und dann gemäß seinem eigenen Wunsch auf dem Meer be­stattet wurde und aus unserem Leben verschwand, sozusagen ohne jeden Punkt.
 
Ich wünsche mir für all diejenigen, die Luitgard Schall gekannt und geschätzt und geliebt haben, daß diese Austeilung vielleicht der abrundende Punkt sein kann, der noch fehlte. Für alle anderen unter Ihnen glaube ich, eine interessante Begegnung mit einer Künstlerin ver­sprechen zu können, die - so sehe ich das Ganze - ihr Licht unter den Scheffel stellte, damit das Licht anderer um so mehr leuchte.

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