Joachim
Wilhelmy
Neue Steige
25
72813 St. Johann-Gächingen
07122/9889
Worte zur Ausstellungseröffnung ,,Luitgard
Schall - Rückblick" in der Münsingen Zehntscheuer am 10. November 1996
Liebe
Freundinnen und Freunde von Luitgard Schall, meine sehr verehrten
Damen und
Herrn!
Sie
befinden sich hier in der Zehntscheuer, genauer gesagt im Fruchtkasten,
einem
Gebäude das 300 Jahre alt ist und das seit nunmehr 10 Jahren von den
Kunsterziehern des Gymnasiums in den über uns liegenden Stockwerken als
Ausstellungsraum genutzt wird. Von meiner Theater A.G. und mir wurde
dieser
Raum vor acht Jahren zum Theater umgebaut. Da dieser Raum heizbar ist
und eine
Bestuhlung hat, und da er gerade nicht gebraucht wird, dachten wir, daß
es gut
wäre, ihn in die Austeilung mit einzubeziehen, damit Sie jetzt sitzen
können
und sich nach den Rundgängen in den oberen Stockwerken auch hier
aufwärmen und
stärken können.
Diese
Bemerkung vorweg erklärt, was ich mit diesem Hause zu tun habe - ich
bin
übrigens - wie die erwähnten beiden Kunsterzieher -Lehrer am hiesigen
Gymnasium. Sie erklärt aber nicht, wieso ich das Wort ergreife, wenn es
darum
geht, eine Ausstellung mit Werken von Luitgard Schall zu eröffnen. Ich
will im
Folgenden versuchen, es zu erklären.
Die
einfachste Erklärung: Frido Goller fragte mich vor einigen Monaten, ob
ich
bereit wäre, bei dieser Ausstellungseröffnung etwas zu sagen und ich
sagte
damals ja. Daß sie mich gefragt
hat, lag wohl daran, daß sie meinte, daß ich Luitgard Schall genau
genug kenne
und genug von Kunst verstehe und daß ich ja
gesagt habe, lag wohl daran, daß ich dasselbe glaubte. Das ist - wie
gesagt
- schon einige Monate her. Die Probleme kamen, als ich mich an meinen
Schreibtisch setzen musste und der Tag der Eröffnung unerbittlich
näherrückte.
In solchen
Ansprachen bei Vernissagen fast völlig unerfahren - ich habe nur einmal
eine
Ausstellung in unserem Gymnasium mit Bildern von Lothar Schall
eröffnet -
beschloß ich, mich an die Muster der Reden zu halten, die ich als Gast
bei
solchen Gelegenheiten häufig studieren konnte. Und dann muß ich wohl
meine
Ausführungen einteilen in: Luitgard Schall als Mensch und Luitgard
Schall als
Künstlerin.
So begann
ich also guten Mutes etwas über Luitgard Schall als Mensch meinem
Computer
anzuvertrauen. Doch da ging es mit den Problemen erst recht los: Kenne
ich
Luitgard Schall als Mensch überhaupt genau genug, um etwas sagen zu
können?
Weiß ich über sie Bescheid? Bei dem Nachdenken darüber kamen mir immer
mehr
Fragezeichen.
Beginne mit
Fakten, dachte ich mir und zwar mit Fakten über mich und Luitgard
Schall, da
hast du sicheren Boden. Also versuchen wir es so!
Ich betrat
Schalls Haus 1981 also vor ca. 15 Jahren, als jemand, der sich für
Kunst
interessiert, und war dann 15 Jahre lang im Haus derjenige, als den
mich
viele von Ihnen kennen: Das Mädchen bzw. der Junge für alles. Es begann
mit der
Umstrukturierung des Atelier von Lothar, führte über Gespräche über
Kunst und
Philosophie zu den Rahmungsarbeiten seiner riesigen Bilder und von da
oft ganz
unvermittelt zu einem verstopften Siphon im Bad oder zu einer
defekten
Brodmaschine. Luitgard Schalls: ,,Sie entschuldigen doch Herr Wilhelmy,
mir ist
es schon ganz peinlich, aber...“. Ja, schon nach wenigen Tagen war der
Kontakt
so, daß ich im Normalfall doch ein bis zweimal pro Tag in Schalls Haus
war und
dies bis zu Lothars Tod in diesem Jahr.
Luitgard
Schall nahm ich damals wahr, als eine Frau, die alles tat, um den
Betrieb in
Gang und Lothar den Rücken frei zu halten für seine Kunst und dies
damals
bereits unter der Bürde der sich deutlich abzeichnenden
Muskelschwunderkrankung.
Daß sie
selber Künstlerin war, hatte ich von meiner Frau erfahren, die zu
berichten
wußte, daß an ihrer Schule in Ludwigsburg ein Brunnen von Luitgard
Schall zu
ihrer Schulzeit aufgestellt worden war.
Meist mit
Rahmungsarbeiten in Lothars Atelier beschäftigt, aber eben auch mit all
dem,
was im Haus so zu machen ist, wenn ein technisch nicht unversierter
Mensch sich
in der Nähe aufhält, ergab es sich, daß es auch in den unteren Räumen
des
Hauses für mich etwas zu reparieren gab, und da sah ich dann, daß
Luitgard
Schall ein Atelier hatte, in dem getöpfert wurde, in dem Hölzer für
Plastiken
standen, in dem es einige wenige Bilder von ihr gab.
Jedesmal,
wenn ich mich für all das näher interessierte, spielte sie ihre Arbeit
herunter
mit der einfachen Bemerkung ,,der Meister" braucht mich oben.
Ich fasse
mich kurz: mein Eindruck, eine Hobbykünstlerin, die in ihrer freien
Zeit ein
bißchen töpfert - an bildhauerische Tätigkeit war wegen den
nachlassenden
Kräften damals bereits nicht mehr zu denken -. ihre Arbeit ein Hobby,
kein
existentielles Muß.
Aber mir
war ja auch klar, der existentielle Einsatz, der wurde – so meine
Beobachtung - von Luitgard Schall ganz
wo anders geleistet: in der Auseinandersetzung mit dem in jeder
Beziehung
schwierigen ,,Meister" und im Einsatz für dessen Werk und dabei konnte
sie
ziemlich unnachgiebig und manchmal einen nervend das versuchen
durchzusetzen,
was ihrer Meinung nach richtig war. Und in zunehmendem Maße ging es ja
um den
Einsatz für das eigene Überleben angesichts ihres sich
verschlechternden
Gesundheitszustandes und den übermenschlichen Problemen, die sich mit
dem Sohn
Bernhard ergaben. Wo wäre da noch Platz für eigene, ihre ganze Existenz
fordernde Arbeiten gewesen.
Als ihr
Gesundheitszustand sich verschlechterte, sprich als Sauerstofffaschen
notwendig
wurden, ergaben sich für mich intensivere Kontakte. Sie rief mich an,
wenn die
Falsche zu wechseln war, das war meist abends - sie war allein - und
dann gab
es schon Gespräche, die nicht nur um den ,,Meister", sondern auch um
sie
selber und um ihre Beziehung zum ,,Meister" und um ihre existentiellen
Probleme kreisten. Ich lernte sie da schon genau kennen, als eine
starke und
zugleich sehr gebrechliche Frau, eben als jemand, der sein Päckchen zu
tragen
hatte und das Wort Päckchen ist natürlich falsch, es waren Pakete. Aber
sie gab
angesichts dieser Last nie auf.
Es würde zu
weit führen, die Pakete jetzt hier aufschnüren zu wollen, denn
diejenigen, die
ihre Freunde waren, kennen die Pakete und denjenigen, die Luitgard
Schall nicht
kennen, würde die Kenntnis der Pakete nicht viel weiter helfen. Daher
möchte
ich den Abschnitt ,,Luitgard Schall als Mensch" mit einem Satz
abschließen, der glaube ich, einen guten Generalnenner abgeben kann
für ihr
Leben und zugleich eine brauchbare Überleitung zu ,,Luitgard Schall als
Künstlerin"
darstellt: Sie war ein Mensch, der sein Licht unter den Scheffel
stellte,
damit das Licht anderer um so heller leuchte.
Wir nähern
uns nun langsam dem Thema ,,Luitgard Schall als Künstlerin":
Ich gehe
einmal davon aus, daß es heute und hier den meisten Freunden von
Luitgard
Schall so ergeht, wie mir vor einigen Monaten: Wenn ich von wenigen
kleinen
Aquarellen absehe, sah ich alle die Bilder, die hier heute ausgestellt
sind,
vor wenigen Monaten zum ersten Mal. Unter einer Staubschicht versteckt:
die
Ölbilder. Zusammengerollt in Zeitungsblätter vom Februar 1973: die
Aquarelle.
Und dies mir, der ich doch jede Ecke des Hauses nach alten Ölbildern
von
Lothar durchforstet hatte, um sie vor der Zerstörung zu bewahren!
Luitgard
Schall hat mir ihre Bilder nie gezeigt oder gesagt: ,,Wenn Sie seine
Bilder
säubern und restaurieren: Hier, ich habe auch noch ein paar!" Die
Bilder
waren wohl in ihrem Atelier irgendwo unsichtbar verstaut und ich höre
im
Geiste, was sie zu mir gesagt hätte, wenn ich sie entdeckt und hätte
hervorholen wollen. Mit spitzbübischem Lächeln hätte sie gesagt: ,,Aber
Herr
Wilhelmy, sie wissen doch..." Wie habe ich vorhin formuliert: Sie war
ein
Mensch, der sein Licht unter den Scheffel stellte, damit das Licht
anderer umso
heller leuchte.
Vielleicht
war es wahre Größe ihrerseits zu erkennen, wie bedeutend die Kunst
Lothar
Schalls war, so daß sie ihre eigene hintanstellte. Frido Goller hat zur
Vorbereitung der Austellung vor wenigen Tagen noch ein Telefongespräch
mit
einer ganz engen Freundin Luitgard Schalls aus Akademiezeiten geführt,
mit
Luisa Richter in Caracas und Luisa Richter hat in etwas blumiger
Sprache den Satz
geprägt: ,,Luitgard Schall ging auf in Freude über Lothars kreatives
Werk". Hier mag man sich an ein Zitat aus Büchners ,,Dantons Tod"
erinnern: ,,Wir sind allzumal Epikureer. Christus war der feinste von
allen".
Ich vermag nicht zu entscheiden, ob Luitgard Schall ihr Licht unter den
Scheffel gestellt hat und darunter gelitten hat oder ob dieser Weg ihr
ein
Glücksgefühl vermitteln konnte.
Egal wie,
wir wollen uns heute alle Mühe geben, ihr Licht auf einen recht hohen
Scheffel
zu stellen, damit es so leuchten kann, wie es ihm gebührt. Vorweg eine
Bemerkung zu der Art und Weise, wie die Bilder in der Zehntscheuer
hängen. Sie
hängen viel zu dicht, das heißt, nicht jedes Bild kann sein Licht voll
entfalten, aber wir dachten, daß -
besonders im Hinblick auf die Freunde von Luitgard Schall, die von
weiter her
kommen - es doch sinnvoll ist, alles, was vorhanden ist, hier zu
zeigen. Wer
weiß, ob es noch einmal eine Gelegenheit gibt! Aber wir bauen darauf
daß Sie -
erlauben Sie den Vergleich - wie ein Weinkenner, den guten Tropfen auch
im
Probierglas als solchen erkennt und ihn dann im großen Glas zu Hause
zur vollen
Entfaltung bringt, dass Sie die Bilder aus der drangvollen Enge dieser
Austellungsräume in die Weite Ihres Hauses übertragen können, wo sie
dann als
Solitäre ihren Glanz voll entfalten werden.
Jetzt also
endgültig zur Künstlerin Luitgard Schall. Zunächst auch in diesem
Zusammenhang
die wenigen Fakten, die ich kenne: Geboren 1928. Sie hat an der
Akademie in
Stuttgart bei Prof. Baum Bildhauerei studiert. Sie hat sich auch
später in
erster Linie als Bildhauerin gesehen. Versuche, weitere Informationen
zu
erlangen, waren bisher vergeblich. Vielleicht kann aber der eine oder
andere
von Ihnen da Abhilfe schaffen z.B. bei Fragen wie: Gab es
Ausstellungen? Gab
es - außer dem erwähnten Brunnen in Ludwigsburg - weitere öffentliche
Aufträge?
und diese Informationen an Frau Goller weitergeben.
Keine
Kenntnis über die Titel der Bilder. Frido Goller hat sie sich
ausgedacht, fast
nichts signiert. Die wenigen Signaturen L.B. Luitgard Bauhaus, so ihr
Mädchenname. Keine Jahreszahlen. Die meisten Ölbilder späte 50er und
60er
Jahre, die Aquarelle fast alle vor dem besagten Datum der Zeitung, in
die sie
wohl beim Umzug von Neckarrems nach Gächingen verpackt worden waren,
nur die
ganz kleinen sind in den 8Oern entstanden.
Angesichts
dieses dürftigen Wissenstandes, bin ich nun ganz auf die Bilder selber
angewiesen und dabei erwartet wahrscheinlich der eine oder andere von
mir, daß
ich mit klugen Worten wie ,expressiver Realismus´ oder
,impressionistischer Was-Weiß-Ich-Was' Luitgard Schalls Bilder in
die
Kunstgeschichte einordne. Dagegen habe ich schon immer etwas gehabt,
denn
entweder kennt sich der Zuhörer in der Materie aus, dann kann er diese
Einordnung selber vornehmen oder er versteht nichts von Kunstgeschichte
und
dann sind ihm diese Begriffe nicht hilfreich.
Folgen Sie
mir daher auf einem anderen Weg. Vielleicht kommen wir so eher zu den
Bildern
der Luitgard Schall und fliegen nicht mit klugen Worten über sie dahin.
Ich
habe alle Bilder geputzt, soweit es mir möglich war restauriert und
gerahmt. So
handwerklich dies alles erscheint, es ist nicht der schlechteste Weg,
Bilder
kennen und verstehen zu lernen. Und ich möchte Ihnen jetzt ganz
einfach beschreiben,
was sich so in meinem Kopf abspielte, als ich so primitiv handwerklich
tätig
war. Damit Sie meine Gedanken und Erfahrungen nachvollziehen können,
haben wir
in diesem Raum ein paar Bilder aufgehängt, die Sie in die Lage
versetzen
können, an meinem Erkenntnisprozeß mit Luitgard Schalls Bilder
teilzuhaben.
Ab
hier freie gesprochene Ausführung an den im Raum aufgehängten Bildern!
Daher
nur Stichworte.
Bild Nr.2:
Gespräch mit Frido Goller bei der ersten in
Augenscheinnahme dieses Bildes:
Ich: Das Bild ist doch von Lothar, ich
selber besitze doch so ein frühes Spachtelbild, nur viel größer. Das
ist nie
von Luitgard. Bei der Titelsuche: Arbeitstitel ,, Turm". Später, nach
Kenntnis der Ölkreidezeichnung, kein Turm, sondern eine Frauengestalt.
Eindeutig
nicht Lothar, da völlig andere Behandlung der Spachteltechnik und der
Raumgestaltung.
Bild Nr. 7, 3, 4, 5, 6
Ihr
Hauptthema: Blumen. Die Blüte, ob von Tulpe oder Mohn, von Sonnenblume
oder
Rittersporn. Sie wollte in ihrer Jugend zunächst Gartenarchitektin
werden, so
war zu erfahren. 70% der Bilder, die
Sie heute sehen werden, sind Blumenbilder und auch auf ihrer Keramik
in den
Jahren vor ihrem Tod immer wieder Blumen. (Es gibt oben eine Mappe, in
der Sie
die entsprechenden Fotos finden).
Manche Landschaften können auch Blüten sein.
Dabei Bildhauerin: im engen Sinn des Wortes
- Fläche und Relief, die Farbe; rot. Grundformen, der Versuch zur
Reduktion
auf das Wesentliche, die archaische Form. Die Blüte ganz häufig als 3
oder 4
Teilung mit weißen oder blauem Zentrum. Urformen. Hier sind ihre Bilder
ganz
eigenständig und ganz auf der Höhe der Zeit.
Bild Nr.8:
Mir zu erst sehr fremde Bilder, die sich
dann durch ihr plastisches Werk erschlossen und die auf die
Töpferarbeit
hinweisen. Erdklumpen, Farbkugeln, die zu Landschaften werden.
Betrachten Sie
die damals in ganz neuer Technik erstellte Betonplastik, die vor dem
Theater im
Gang steht und dieses Bild. Diese Bilder erschlossen sich mir nur
zögern, aber
mittlerweile... und auch hier ganz eigenständig und modern.
Bild Nr.9..
Sie beherrschte ihr Handwerk perfekt. Dieses
Bild ist zwar nicht ein Bild, das man so noch nie gesehen hätte, wie
z.B. diese
roten Bilder. So haben andere bereits gemalt, aber mit welcher
Perfektion im
Handwerklichen, ob nun Farbgebung, Flächenaufteilung, Pinselstrich.
Dies gilt
auch für ihre Aquarelle.'
intensive Farbgebung, zarte Nuancierung.
Noch mal
zurück zum Handwerklichen: der primitive Luitgard / Lothar
Schall-Test, den
ich entwickeln konnte: Beim Rahmen von Lothars Bildern gab es eine
Rahmenfarbe, dieses ins metallisch fluoreszierende Blau, daß zu seinen
Bildern
immer paßte. Ich hatte noch Farbe von ihm und probierte es damit bei
Luitgard
Schalls Bildern. Es funktioniert nicht. Obwohl sie sicher mit
Schall-Farben
malte, sie hatte eine andre Palette.
Es gibt
also viele Bilder, die, wenn sich Luitgard Schall im Kunstbetrieb
hätte einen
Namen machen können oder wollen, großartige Bilder genannt werden
müssen.
Gleichwohl gibt es auch Bilder, die - zumindest meiner,
zugegebenermaßen
subjektiven, Bewertung - dieses Prädikat nicht verdienen. Dies ist -
meiner
Meinung nach -immer dann der Fall, wenn ihr ,,Herz" zu sehr beteiligt
ist.
Jeder, der sie kannte, wußte, wieviel ihr Hunde und Katzen bedeuteten.
Auch die
späteren Malven- und Sonnenblumenbilder - ich ordne die Bilder zeitlich
so ein
- sie sind ja nicht datiert, scheinen mir nicht die künstlerische Reife
der
frühen Bilder zu besitzen. Lag es an nachlassender Kraft? Lage es am
Nachlassen des Wollens? Hatte sie Angst, dem Meister Konkurrentin zu
sein? Ich
gestehe Ihnen gerne ein, daß mir beim Rahmen der Bilder immer wieder
der
Gedanke an die Künstlerehe Clara Wiek / Robert Schumann in den Sinn
kam. Kann
solch eine Ehe gelingen, oder muß nicht einer von beiden zwangsläufig
zurückstecken?
Sie sehen
und ich habe es längst auch selbst eingesehen: Ich bin völlig
ungeeignet etwas
Definitives über Luitgard Schall und ihre Kunst zu sagen und Frido
Goller hätte
vielleicht doch jemand anderen bitten sollen.
Ich wende mich
daher schnell wieder den Fakten zu: Friederike Goller hat diesen
Nachlaß nach
Lothar Schalls Tod in diesem Jahr von dessen Erbin Friederike Danzer
und ihrer
Mutter geschenkt bekommen, und dies, weil Frido Goller mit Luitgard
Schall
gemeinsam getöpfert hat, gemeinsame Reisen unternommen hat, gemeinsam
geweint
und gemeinsam gelacht hat. Kurz: viele Jahre eng befreundet war.
Nach der
riesigen Freude über diesen Schatz, den Frido Goller da völlig
unverhoffte
besaß, kam dann recht bald die Frage, was tun? Die Wände ihres kleinen
Häuschens in Friedrichshafen bieten nicht viele Platz. So reifte der
Gedanke
1. eine Austeilung zu machen und 2. die Bilder für einen guten Zweck zu
versteigern - natürlich nicht ohne sich vorher einige besonders liebe
Bilder
selber zu reservieren. Und zwar zu versteigern zugunsten der
Organisation, der
Luitgard Schall viel Ermutigung in ihrer Krankheit verdankte und der
sie immer
wieder Spenden zukommen ließ, der ,,Deutschen Gesellschaft für
Muskelkranke
e.V." Ich denke, dies ist eine gute Idee. Falls Sie sich genauer über
diese Organisation informieren wollen, dann benutzen Sie doch die dort
vorne
ausgelegte Broschüre.
Doch welche
Probleme tun sich einem auf wenn man etwas Gutes tun will! Da ist die
Frage der
Steuer, da ist die Frage der Spendenbescheinigung, da ist die Frage
der
Preise!
Erlauben
Sie mir, daß ich nur kurz auf die Frage der Preise eingehe, auf die
anderen
Fragen werde ich dann bei der Versteigerung eingehen.
Die Preise setzen sich aus vielerlei
Aspekten zusammen: Da ist zunächst einmal der Wille, möglichst vielen
Interessenten die Möglichkeit zu geben, Bilder die gefallen, zu
kaufen, damit
der gute Zweck gefördert wird, sprich möglichst viel Geld zusammen
kommt. Dem
entspricht auch ein Gedanke, der sich aufdrängt, wenn ich mir
vorstelle ein
Bild zu sein: Denn wenn ich Bild wäre, ich wollte lieber billig
verkauft werden
und an einer Wand hängen und dem Betrachter Freude bereiten, als in
einem
Depot liegen und auf meine Wertsteigerung warten. Zum anderen ist es
aber
auch so, daß ich, wenn ich Bild wäre, nicht gerne unter Wert verkauft
werden
würde. Zudem würde ich, wie gesagt, wenn ich Bild wäre, mit den
Bildern anderer
Künstler solidarisch handeln wollen, d.h. ich möchte die Preise nicht
kaputt
machen. Oft haben wir Bilder aber auch bereits Besitzer und die
Besitzer haben
sich in uns so verliebt, daß sie vor Liebe blind für unseren
tatsächlichen Wert
sind, und so werden wir manchmal auch über Wert gehandelt. Schließlich
müssen
Sie bedenken: auch Bilder altern, kriegen Risse, Schrunden,
Wasserflecken, dann
mag uns keiner mehr so teuer kaufen, obwohl wir eigentlich doch
Meisterwerke
sind.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die
Psyche eines Bildes jetzt begriffen haben, dann werden Sie sich über
die
Preisgestaltung nicht mehr wundern, sondern werden verstehen, wie
schwierig es
ist, einen Minnimal-Preis festzulegen, wenn man etwas liebgewonnen hat
und
zugleich möglichst viel für einen guten Zweck verkaufen will. Ich
denke, jeder,
der ein Bild ersteigern möchte und ich hoffe, möglichst viele von
Ihnen
erweisen Luitgard Schall diese Ehre, wird zu einem Bild kommen, denn
Sie können
aus der Ferne steigern, wie die ausliegenden
Versteigerungs-Anmeldungs-Zettel
zeigen und Sie können sich - wenn knapp bei Kasse - sicher auch
vertrauensvoll
an Frido Goller wenden, denn man kann ja auch über einen längeren
Zeitraum
zugunsten der ,,Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke" kleine Beträge
über weisen, die sich dann allmählich summieren. Es gibt aber noch
etwas viel
wichtigeres zu vermelden, das ich wieder bei meiner handwerklichen
Tätigkeit
entdecken konnten - sei es beim Rahmen der Bilder, sei es beim
Aufhängen der
Bilder für diese Ausstellung. Am Anfang dachte ich, dies Bild! Das und
kein
anderes! Heute denke ich, wenn nicht das, dann das und wenn das nicht,
dann
das usw. Gibt es ein besseres Qualitätsmerkmal für Kunstwerke, als der
einfach
Umstand, daß das wahre Kunstwerk, je länger man sich mit ihm
auseinandersetzt,
einen immer mehr in seinen Bann schlägt. Nicht immer ist die erste
große Liebe
auch eine wahre Liebe. Ich kann Ihnen also nur empfehlen: Nehmen Sie
sich
Zeit! Und die Zahl der Bilder, die Sie interessieren werden wird immer
größer.
Sie haben es gemerkt! Sie sind heute auf
einer etwas merkwürdigen Vernissage: Da geht es um Spenden, um Geld, um
Kunst
und da geht es zugleich um einen Menschen, der uns eines Tages verließ,
um in
einer Klinik in Norddeutschland Linderung - von Heilung konnte ja keine
Rede
mehr sein - von seiner fortschreitenden Muskelkrankheit zu erlangen und
der
nicht mehr zurückkam, sondern starb, und dann gemäß seinem eigenen
Wunsch auf
dem Meer bestattet wurde und aus unserem Leben verschwand, sozusagen
ohne
jeden Punkt.
Ich wünsche mir für all diejenigen, die
Luitgard Schall gekannt und geschätzt und geliebt haben, daß diese
Austeilung
vielleicht der abrundende Punkt sein kann, der noch fehlte. Für alle
anderen
unter Ihnen glaube ich, eine interessante Begegnung mit einer
Künstlerin versprechen
zu können, die - so sehe ich das Ganze - ihr Licht unter den Scheffel
stellte,
damit das Licht anderer um so mehr leuchte.
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