Zur Eröffnung der Ausstellungvon
Joachim Wilhelmy |
Als ich vor fast vierzig Jahren die Familie Gutbrod kennen lernte, sah ich mich in der Ludwigsburger Wohnung und im Gächinger Wochenendhäuschen mit einer Fülle von Bildern konfrontiert, die von Walter Gutbrod - meinem zukünftigen Schwiegervater - stammten. Ich hatte mich also irgendwie dazu zu stellen! Es stand zwangsläufig die Frage im Raum: Ist das Kunst? Und damit auch die Frage: Was ist Kunst?
Meine eigene Biographie - aufgewachsen in Leverkusen direkt neben
Köln - hatte mich schon früh durch mehrere glückliche Umstände
u.a. auch mit der Bildenden Kunst in Berührung gebracht. Der erste glückliche
Umstand, das waren meine beiden vorzüglichen Kunsterzieher Korthe
und Wild am Gymnasium in Leverkusen, der zweite, daß es in Leverkusen
unter einem Dr. Udo Kultermann ein Museum gab, das total am Puls der Zeit war
und dass es in Köln bzw. Aachen einen Schokoladenfabrikanten gab, dessen
Arbeiter offensichtlich so große Gewinne erwirtschafteten, daß er
derweil Kunst sammeln konnte und dabei vor nichts zurückschreckte, ich
meine Herrn Ludwig und er diese seine Sammlung in Köln zeigte und sich
später von der Stadt Köln noch ein Museum dafür bauen ließ.
Und drittens der Umstand, daß mein Vater Pfarrer war und die Pfarrer ja
zu allem und jedem eingeladen werden und so immer auch Einladungen zu Kunstausstellungen
bei uns eintrudelten, die mein Vater - da selber nicht sehr kunstinteressiert
und meist im Stress - mir weitergab. Und da die Ausstellungsgegenstände
mich interessierten, der Sekt und die Häppchen meist gut waren, so nahm
ich die oft doch recht von Ismen gespickten und zum Teil langweiligen, zum Teil
aber auch über meinen Horizont hinausgehenden Reden in Kauf und sah damals,
was man in Baden-Württemberg erst viele Jahre später sah: Meine Welt
war Andy Warhol, Yves Klein, Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein, auch schon die
ersten Sachen von Beuys kurz all das, was damals noch unbekannt war und heute
weltberühmt. Und mit diesem Bild von moderner Kunst, stehe ich nun in Ludwigsburg
im Wohnzimmer der Gutbrods oder in Gächingen und sehe die Bilder meines
zukünftigen Schwiegervaters, die auf jeden Fall nicht das waren, was ich
unter moderner Kunst verstand: kein Experiment, keine Campell-Dosen oder Maggi-Schachteln,
keine blauen Schwämme auf blauem Grund, keine verfremdeten Comics, keine
Fettecken, sondern ganz normale Wandbilder mit erkennbaren Gegenständen.
Ist das Kunst?
Sie ahnen, dass irgendwann am Schluss meiner Ausführungen wohl eine Antwort kommen muss, aber geben Sie mir noch ein wenig Zeit, denn die Dinge liegen nicht einfach.
Diese Kunst der 60er Jahre, also Pop-Art, Op-Art, Monochrome Malerei
usw., diese Kunst der 60er Jahre scheint mir einen Wendepunkt in der abendländischen
Kunstgeschichte zu markieren, der spätestens mit der Kunst des beginnenden
20 Jhs. eingeleitet wurde und mit der monochromen Malerei seinen Abschluss fand.
In der Kunst sollte danach nichts mehr so sein wie früher. Früher
war die Kunst einem breiten Publikum zugänglich. Dürers Bilder verstand
jeder, bei Beuys brauche ich ein Lexikon, Mozarts Don Giovanni wurde am nächsten
Tag auf den Straßen gepfiffen, kennen Sie einen Komponisten der letzten
Donaueschinger Musiktage, und wenn ja, könnten Sie etwas vom dem dort gehörten
pfeifen! Oder nehmen wir die Literatur: Goethes "Werther" kann jeder verstehen,
man muss ihn nur lesen. Aber nehmen sie James Joyce... und schon sind Sie auf
weiten Strecken hilflos. Moderne Kunst ist immer mehr eine Sache für Zirkeln
geworden, für eingeweihte Kenner und Spezialisten.
Was ist da in den letzten 100 Jahren passiert?
Versuche ich meine Antwort zusammenzu fassen: Der abendländische Kunstbegriff geriet immer weiter weg vom ursprünglichen Herkunftswort "Kunst"- also die Umschreibung einer handwerklichen Fähigkeit und rutschte immer mehr in die Richtung des Neuen, der Künstler hatte also noch nie Gesehenes, noch nie Gehörtes, noch nie Gelesenes in die Welt zu setzen. Das beginnt schon mit dem Genie-Begriff. So jedenfalls funktionieren unsere Kunst- Musik- und Literaturgeschichten: Nur wer Neues bringt, taucht da auf. Das führte die Künstler oder die Kunst immer weiter von einem breiten Publikum weg.
Endpunkt in der Malerei - wenigstens meiner sicherlich unmaßgeblichen
und laienhaften Ansicht nach - war wie oben bereits erwähnt die monochrome
Malerei, denn sie landete im Extremfall bei einer einzigen Farbe. Mehr als seine
Kunst auf eine Farbe zu reduzieren oder auf einen Strich - weiter konnte man
nicht mehr gehen. Womit konnte ich als Maler jetzt noch in die Kunstgeschichte
eingehen? Das Wandbild war damit eigentlich am Ende und es ist nur konsequent,
daß dann die "Happenings", das "soziale Kunstwerk", die Auffassung "der
Weg ist das Werk" und schließlich die heutigen Installationen und die
Multimedialen Kunstwerke des digitalen Zeitalters folgten. Und immer mehr Betrachter
waren ratlos und klinkten sich aus. Diese Ausweglosigkeit weiter nach vorne,
in die Zukunft drückt sich symptomatisch in dem ominösen Begriff "Postmoderne"
aus. Er erinnert an unsere Zeitrechnung: vor und nach Christi Geburt. Drückt
dieser Begriff womöglich aus, daß nach der Moderne nur noch ein Weg
zurück in die Praemoderne möglich ist, weil alles ausgereizt wurde,
was möglich war oder ist, oder beginnt jetzt ein totaler Paradigmenwechsel
und damit ein völlig neues Kunstverständnis?
Walter Gutbrod ließ sich durch all diese Richtungen und Forderungen nach noch Nie-Gesehenem nicht in seinem Weg beirren. Er beharrte sein Leben lang auf dem Gegenstand und dem gemalten Bild. Also kurz gesagt: Walter Gutbrod wird nicht in die Kunstgeschichte eingehen und die Bilder, die Sie vielleicht mit nach Hause nehmen, eignen sich daher auch nicht zur Kapitalanlage, sie werden Ihnen eines Tages keine Millionen bei Sotheby's bringen. In diesem Sinn sehen Sie hier also keine Kunst.
Schlagen wir uns nach dem Begriff "Kunst" mit einem weiteren Begriff
herum: "Epigone" Laut Lexikon: "Nachgeborener, Nachahmer ohne eigene Schöpferkraft."
Sind die Werke Walter Gutbrods typische Werke eines Epigonen? Ohne Frage, wenn
Sie die frühen Arbeiten betrachten! Sie werden dort immer wieder feststellen,
dass deutlich zu erkennen ist, wer hier Pate gestanden hat, wer gerade genau
studiert wurde, aber je weiter wir in die fünfziger und sechziger Jahre
vordringen, um so deutlicher zeigt sich eine ureigene Handschrift und von dieser
Zeit an würde es uns überhaupt keine Schwierigkeiten bereiten einen
echten Walter Gutbrod zweifelsfrei zu identifizieren. Ich finde, das ist schon
was, denn da fällt - mir wenigstens - ein kurzes Zitat meines Kunsterziehers
aus der Schule ein. Es stammt von Emil Zola und lautet : "Kunst ist ein Stück
Natur oder Wirklichkeit, gesehen durch ein Temperament". Diese Definition von
Kunst hat den Vorzug, dass sie auch denen eine Chance gibt als Künstler
zu gelten, die nicht im Trend des momentan Neuesten liegen, sich ihm gar aus
Überzeugung widersetzen, die also folglich auch nicht in der Kunstgeschichte
auftauchen werden.
Das Wort Temperament meint ja offensichtlich so etwas wie eine persönliche Sichtweise, die aus der eigenen Veranlagung, aus der jeweiligen Individualität hervorgeht. Und ich komme nun nicht umhin etwas zu der Person meines Schwiegervaters zu sagen.
Ja, Temperament hatte er - zunächst einmal im einfachen Sinn des Wortes gesprochen - das kann man wohl sagen und für alle Beteiligten war es nicht immer leicht mit ihm. Etliche seiner ehemaligen Schüler erinnern sich seiner Temperamentsausbrüche, sei es in Gestalt von Ohrfeigen, sei es in Gestalt von gezielten Kreide- oder Schlüsselbundwürfen und auch über meine eigenen Erfahrungen wäre so manches zu berichten, doch uns interessiert ja nicht so sehr dieses Temperament, sondern vielmehr das Temperament, das Zola meinte, also diese spezielle Individualität, sozusagen die Brille, mit der ein Mensch die Welt sieht oder der Filter, mit dem er Wichtiges von Unwichtigem trennt.
Der lebensnotwendigste Zugang zur Welt war für Walter Gutbrod
ohne Frage der optische: Wo immer er war, ob im Restaurant, in der freien Natur
oder vor dem Fernseher, immer war ein Block zur Hand und in Tausenden von Skizzen
hat er alles festgehalten, was ihm festhaltenswert erschien. Wir haben in der
Ausstellung eine etwa 6 Meter lange Reihe von Skizzen einiger weniger Stunden
zusammengestellt, damit Sie von dieser Art zu arbeiten einen Eindruck gewinnen
können. Es waren optische Tagebücher, oft auch mit Notizen verbunden,
sei es zur Farbe, falls ihm die Skizze zur Vorlage für ein Bild dienen
sollte, sei es angesichts eines Politikers, den er gerade im Fernsehen gesehen
hatte und mit dem er unzufrieden war und dessen ìsaudummes Gesichtî
er in der Skizze festhielt, um so seine Abneigung auszudrücken, oft versehen
mit einem entsprechenden Spruch: ìbist du jetzt zufrieden, du Hundî,
oder beim Essen im Restaurant, voll konzentriert beim Gespräch und dennoch
einen genau fixierend, ein kleines Portrait schaffend, ohne Blick auf das Skizzenblatt
und oft auch ohne den Kuli abzusetzen (Einzüger), ganz darauf vertrauend,
daß er seine Technik voll beherrscht. Das setzte sich in den Bildern,
die er nach den Skizzen dann zu Hause malte fort. Auf sehr vielen Bildern werden
Sie Notizen finden, sei es zum jeweiligen Anlass, sei es, dass er die Musik
vermerkt, die er gerade bei Malen hört, sei es eine Beschimpfung, sei es
ein Freudenausdruck. Seine Bilder waren die Fortsetzung dieses Tagebuchs, sie
waren sein optisches Gedächtnis über sein Leben. So ist es auch nicht
verwunderlich, dass er die Bilder ungern hergab. Wenn man eins wollte, so vertröstete
er einen auf später, er brauche es noch ein paar Tage, dann könne
man es haben. In Wirklichkeit bekam man dann oft einige Tage später eine
Kopie, die erste Fassung behielt er. Oft bekam man das Bild auch überhaupt
nicht, er schrieb nur aufs Bild für Regine, Linde, Martin, Coa usw. Erachten
Sie es bitte deshalb nicht als pietätlos, wenn Sie von uns Bilder geschenkt
bekommen, auf denen unsere Namen stehen. Im Laufe der Jahre standen sie auf
sehr vielen Bildern. Die Bilder, die uns eng ans Herz gewachsen sind, die haben
wir schon behalten.
Bevor wir weiter der Frage nach dem Temperament im Sinne Zolas nachgehen,
zunächst noch einige Bemerkungen zu dem oben bereits genannten alten Verständnis
von Kunst, als einer handwerklichen Fähigkeit: "Kunst kommt von Können"
und "Kunst kommt von Kenntnissen", setzt also Kenntnisse voraus. Unsere Ausstellung
zeigt Bilder von Walter Gutbrod aus einem Zeitraum von mehr als 70 Jahren und
wenn sie sich die Bilder seit Mitte der Zwanziger Jahre bis in die Kriegs und
Nachkriegszeit anschauen - also aus der Zeit, in der er meines Dafürhaltens
nach noch nicht seinen eigenen Stil gefunden hatte, dann werden Sie auf jeden
Fall feststellen können, dass er sein Handwerk aus dem ff beherrschte,
also im Handwerklichen ein Könner war. Und auch dass er Kenntnisse hatte,
ist leicht zu bestätigen. Die Kunstgeschichte stand ihm von der Antike
bis zur aktuellen modernen Kunst zu Gebote. Es war ein Vergnügen mit ihm
in einem Museum Bilder zu betrachten oder eine Kathedrale aufzusuchen. Immer
lernte man dazu. Dies bestätigen selbst die Schüler gerne,
die mal einen Schlüsselbund an den Kopf bekamen. Von diesem ìAlles
genau wissen wollenî zeugen auch die vielen Tabellen, die er anfertigte
um die verschieden historischen, kunsthistorischen und musikgeschichtlichen
Stile synoptisch darzustellen und seinen Kindern und Schülern nahe zu bringen,
auch die Fülle der Bücher - damit sind wir beim Lesen, einer zweiten
wichtigen Art und Weise Walter Gutbrods, sich die Welt anzueignen - die alle
so intensiv durchgearbeitet und mit Kommentaren versehen sind, daß wir
sie kaum mehr jemandem zu schenken wagen. Er hat sich die Bücher im wahrsten
Sinn des Wortes einverleibt.
All dies zusammengenommen - seine handwerklichen Fähigkeiten und seine Kenntnisse - zeigen, dass er nach dieser Phase des Aneignens, Lernens und Suchens Bilder malte, die nicht etwa so wurden, wie sie sind, weil er es nicht anders, nicht besser gekonnt hätte, sondern diese Bilder wollte er so.
Und damit sind wir wieder beim ìTemperament à la Zolaî. Ausgangspunkt aller Bilder ist für ihn die Wirklichkeit, die Natur, die Person, der reale Augenblick oder seine reale Gemütsverfassung. Ich kenne kein Bild, das irgendwo seinen Ausgangspunkt in einer reinen Phantasievorstellung hätte. Diese Wirklichkeit geht nun durch den ìFilterî "Temperament Walter Gutbrod" und heraus kommt dann eine Sicht dieser Wirklichkeit, die seine momentane Wahrnehmung der Wirklichkeit wiedergibt. Dieser Filter kann sich permanent verändern. Er kann von liebevoller Zuneigung bis Hass gehen, durchmisst also alle Gemütszustände, deren Walter Gutbrod fähig war und genau das will er aufs Papier bringen. Frau Berger Fix, die Museumsleiterin in Ludwigsburg, verwies anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung mit Werken von Walter Gutbrod auf ein Buch, das Künstler beschreibt, deren Richtung der Walter Gutbrods entspräche. Der Titel lautet: ìExpressiver Realismusî und da ist was dran, so könnte man seinen Stil nennen, wenn man denn unbedingt einen Ismus braucht. Das Buch hat aber darüber hinaus einen bezeichnenden Untertitel "Eine vergessene Generation". Und das ist auch was dran.
Ich denke, dass hier nun ein Wort zu seiner Maltechnik angebracht
erscheint. In der Zeit, als er seinen Stil gefunden hatte, hatte er von der
Leinwand oder dem Papier auf einen neuen Malgrund gewechselt, es ist das Pergamentpapier
oder Butterbrotpapier, wie wir es als Kinder nannten, also das Detailpapier
der Architekten, um die Bezeichnung der Vollständigkeit halber zu nennen.
Aber der Name Detail-Papier führt in die falsche Richtung, wollen die Architekten
auf diesem Papier doch - wie der Name sagt - sehr genaue Details festhalten.
Für Walter Gutbrod ging es in eine ganz andere Richtung. Dieses Papier
ermöglichte ihm mit einer Technik, die ich so noch nicht gesehen hatte,
genau das aufs Papier zu bringen, was er wollte und wie er es wollte, nämlich
die Wirklichkeit gesehen durch den momentanen Filter seiner Befindlichkeit,
und so etwas muss logischer Weise schnell gehen! So etwas wie eine Momentaufnahme
in der Fotografie. Diese Technik bestand darin, dass er mit Ölfarbe malen
konnte ohne das komplizierte Spannen einer Leinwand auf sich nehmen zu müssen
oder die unschönen Ölflecken um die Farben herum zu bekommen, wenn
man auf normalem Papier malte. Und darüberhinaus konnte er die Farbe mit
Terpentin so weit verdünnen, dass die Malweise im Ölbild ausgeweitet
werden konnte auf Effekte, die sonst nur im Aquarellieren möglich sind.
Diese Bilder trockneten auch relativ schnell und sie waren im Gegensatz zu den
sperrigen Leinwänden platzsparend unterzubringen. In einer kleinen Dreizimmer-Wohnung
unbedingt von Vorteil. In den letzten Lebensjahrzehnten trug er die Bilder 50
Stückweise zusammengerollt in einen Tresor, den er bei einer Sparkasse
hatte. Mit dieser Maltechnik hatte er den Weg gefunden, der es ihm ermöglichte
seine unerschöpfliche Schaffenskraft zu befriedigen. So verwundern Sie
sich bitte nicht über Zahlen oft im dreistelligen Bereich auf den Bildern,
denn eine Zeit lang zählte er die Bilder und gab ihnen Nummern.
Wenn man dies alles zusammen nimmt, kann man zu dem Schluss kommen,
hier befriedigt jemand seinen Schaffensdrang, das ist sein gutes Recht. Aber
ich als Betrachter dieser Bilder muss ja nicht unbedingt eine Befriedigung beim
Betrachten dieser Bilder erfahren. Machen sie in wenigen Minuten Ihre eigenen
Experimente. Ich kann jetzt nur aus meiner eigenen langjährigen Erfahrung
im Umgang mit den Bildern von Walter Gutbrod sprechen: Ich entdecke immer wieder,
dass die Realität, durch seinen Filter gesehen, mich auf wesentliche Dinge
hinweist.
Verachten Sie mir in diesem Zusammenhang die Portraits, die Köpfe nicht. Die Menschen in Walter Gutbrods Bildern kommen auf den ersten Blick oft wie Karikaturen daher, aber nichts ist falscher als dies, denn eine genaue Betrachtung zeigt, dass er nie seine Personen verrät und der Lächerlichkeit preis gibt, sondern, dass - bei aller Schärfe der Zeichnung - immer ein letztlich liebevoller Blick auf den Menschen vorherrscht und nur das deutlich herausgefiltert wird, was das eben Spezifische ist, die Essenze, die diese Person ausmacht.
Viele seiner Bilder sind mit drei Noten signiert. Damit werde ich
jetzt die Kurve zur Gesellschaft der Musikfreunde versuchen hinzukriegen.
Neben dem Optischen und der Weltaneignung durch Bücher, war die Musik ein ganz zentraler Punkt in Walter Gutbrods Leben. Nicht nur, dass er sehr gut Klavier spielte und ein eifriger Konzertgänger und Schallplattenhörer war. Nein, er beteiligte sich in der Nachkriegszeit aktiv am Aufbau des Stuttgarter Kammerorchesters zusammen mit dessen Dirigenten Karl Münchinger. Daraus entwickelte sich eine lange Freundschaft mit der Familie Münchinger und die Unterstützung der musikalischen Arbeit von Karl Münchinger ging dann in der Familie Gutbrod bis in den außermusikalischen Bereich, nämlich dass der kleine Sohn Wolfgang während der Konzerte zusammen mit seinem Nachttopf oft eine Bleibe im Hause Gutbrod fand.
Auch bei der Gründung der Ludwigsburger Schlossfestspiele durch Wilhelm Krämer wirkte Walter Gutbrod fördernd mit (ein schon an den Sohn weitergegebenes Portrait von Wilhelm Krämer hängt in der Ausstellung). Durch das Stuttgarter Kammerorchester und die Ludwigsburger Schlossfestspiele lernte die Familie Gutbrod viele Größen der damaligen musikalischen Welt kennen. Und da die Töchter immer nach dem Konzert die Blumensträuße übergeben durften, können sich beide als von vielen berühmten Solisten "Geküsste" bezeichnen.
Zu Wilhelm Kempff, dem unvergessenen Pianisten, bestand schon vor dem Krieg eine intensive Freundschaft. Und ich selbst kann mich glücklich nennen ihn durch die Familie Gutbrod persönlich kennengelernt zu haben.
So sind also die Noten in seinem Signum leicht zu verstehen. Musik war beim Malen immer gegenwärtig und sie finden auf vielen Bilder, ganz ohne direkten Zusammenhang mit dem Bild, Namen von Komponisten, Symphonien, Sonaten und Interpreten. Sein letzter großer Favorit war Sergiu Celebidache, liebevoll "Celi" genannt. Auch sein Name taucht immer wieder auf den Bildern auf.
Also
- wir sind uns sicher, daß die "Gesellschaft der Musikfreunde" von ihm
auch zu Lebzeiten durch eine Ausstellung volle Unterstützung erfahren hätte.
Und in diesem Sinne verschenken wir die Bilder in seinem Sinne
und wann immer Sie nachher auf einem Bild die drei Noten sehen, denken Sie daran:
Spenden für den Flügel ist ganz wichtig.
>Ob die Bilder Kunst sind oder nicht, das mögen Sie nun
selber entscheiden. Wenn Kunst etwas mit "prodesse" und "delectare" zu tun hat,
also mit nützen und erfreuen und so sahen es die Alten in der Antike, dann
bin ich mir sicher, dass die Bilder von Walter Gutbrod wie oben schon erwähnt
nützen, indem sie durch seinen Filter auf das Wesentliche einer Landschaft,
einer Person hinweisen, es also herausfiltern, ich bin mir aber auch durch den
jahrzehntelangen Umgang mit den Bildern sicher, dass sie Ihnen Freude machen
werden, wie sie uns all die Jahre erfreut haben und hoffentlich noch lange erfreuen
werden.
Zum Schluss noch einen kleinen Hinweis: Frühe Ansätze - in einigen wenigen Bildern hier vertreten - zeigen die Auseinandersetzung mit der Industriegesellschaft, das hörte aber immer mehr auf und Walter Gutbrod konzentrierte sich - neben den Köpfen - immer mehr auf die von menschlichen Eingriffen unversehrte Natur, daher bei Bildern mit Architektur auch mehr auf das eher in die Natur eingebettete Dorf als die Stadt. Daher seine Liebe zur Schwäbischen Alb, zu Lonsingen - wo er auch begraben liegt, zu Gächingen, wo er lange Jahre seine Wochenenden verbrachte und zu Offenhausen, das für viele Ferien seiner letzten Lebensjahrzehnte ein unverzichtbarer Ort geworden ist. Die Natur und deren Verwandlung durch Jahreszeiten und Licht beschäftigte ihn, z.B. immer wieder der so schwer zu malende Schnee. Und je älter er wurde, umso mehr nahm er sich selbst - das Temperament Walter Gutbrod - zurück und griff, um das, was er sah dem Betrachter zu vermitteln auch auf kräftigere Farben zurück, als wolle er die Natur im schönsten Licht preisen.
Ich wollte daher mit Max Frisch schließen, der seinen "Homo Faber" also seinen modernen Fabrikmenschen, seinen Techniker, am Schluss des gleichnamigen Romans - die Technik ganz aus den Augen verlierend - sagen ließ "Ich preise das Leben", doch dann fand ich in einem Skizzenblock dieser Tage eine Notiz - ich vermute ein Zitat - und wer es unter ihnen kennt, sollte mir seine Herkunft verraten, das noch besser das ausdrückt, was Walter Gutbrods Werk ausmacht:
"Singe
Seele,
singe,
Du singest nie das Irdische aus!"
In
diesem Sinne eröffne ich
hiermit die Ausstellung.
Hermann
Bohn
Letzte Änderung: 29.10.2002